Demo in Berlin ohne Anstandsregeln: Ziemlich falsch gelaufen
Eine als Bootstour angemeldete Demo zur Unterstützung der Clubkultur in der Corona-Krise läuft aus dem Ruder. Überraschend kommt das nicht.
t az Es war klar, dass es nach der Lockerung der Corona-Auflagen irgendwann Bilder geben würde von Parties im öffentlichen Raum, die aus dem Ruder laufen. Am Pfingstsonntag ist es dann im wahrsten Sinne des Worte passiert: Eine als Demonstration angemeldete Bootstour von der Spree über den Landwehrkanal hin zum Urbanhafen zog mehr als tausend TeilnehmerInnen an, die zumeist in Schlauchbooten und zu lauter Musik für den Erhalt der Clubkultur protestierten.
Allerdings war nicht nur die Musik zu laut – das wäre wohl Kreuzberg am hellichten Tag bei bestem Wetter noch eine Weile zuzumuten gewesen an diesem Tag, der zu normalen Zeiten der wichtigste Tag des Karnevals der Kulturen ist. Doch die TeilnehmerInnen des Protestes ignorierten die Anstandsregeln sehr offensichtlich, trugen auch keinen Mund-Nase-Schutz, wie es solche Protesten angemessen ist und dann beendeten sie die zur Sause gewordene Demo auch noch direkt vor einem Krankenhaus.
So entstanden Fotos mit doppelter Symbolik: die Partypeople, die nur ihre durchtanzten Nächte zurück haben wollen und dafür auf alle nur solidarisch funktionierden Maßnahmen pfeifen, im Gegensatz zu jenen medizinischen Angestellten, die um das Leben von Corona-Erkrankten kämpfen und gegebenenfalls die mangelnde Solidarität ausbaden müssen.
Auch die Reaktionen waren erwartbar: 24 Stunden nach dem Wasserrave distanzierte sich die Clubcommission von der Versammlung. Deren Veranstalter hätten zwar „zweifellos gute Absichten gehabt“ – nämlich dieselben wie die Clubcommission. Allerdings sei dieser Plan nicht aufgegangen: auch deshalb, weil die Commission nicht eingebunden war. Im Ergebnis stehe die Demo im „völligen Kontrast“ zu den eigenen Bemühungen.
Lockerungen in Frage gestellt?
Auch die Grünen reagierten auf die Ausschweifungen im Heimkiez: Einen „Bärendienst“ hätten die TeilnehmerInnen der Clubkultur erwiesen, twitterte etwa Daniel Wesener, parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion im Abgeordnetenhaus. Lockerungen bei Open Air-Veranstaltungen, die ab 2. Juni gelten, würden dadurch in Frage gestellt.
„Mindestens schlechter Stil“, bescheinigte Fraktionschefin Silke Gebel; „unverantwortlich und auf allen Ebenen falsch“, schrieb Stadträtin Clara Herrmann. Und natürlich hieb auch die Opposition im Abgeordnetenhaus ordentlich drauf.
Kritik gab es noch aus einem weiteren Grund: Parallel fanden auch in Berlin Proteste gegen Polizeigewalt statt, Hintergrund ist die Ermordung George Floyds in Minneapolis. Und da fanden nicht wenige KommentatorInnen etwa bei Twitter einen Aufzug von überwiegend weißen Menschen unangemessen.
Es lief also so ziemlich alles falsch, was falsch laufen konnte; von daher sind die harschen Kommentare verständlich. Und vielleicht war dieses falsche Symbol ein rechtzeitiges Warnsignal in Corona-Zeiten.
Die Party kam nicht aus dem Nichts
Allerdings sollte nun auch keiner so tun, als wäre eine solche Demoparty aus dem Nichts gekommen in einer Stadt, die die obersten Tourismuswerber mehr als ein Jahrzehnt lang vor allem als 24/365-Partymetropole weltweit angepriesen haben. Dass davon was hängen bleibt, auch bei den BewohnerInnen, ist wenig verwunderlich. Und auch die (Mit-)Regierenden sind nicht frei von Fehlern in der Corona-Pandemie. So hat es der Senat nicht mal geschafft, einen Bußgeldkatalog zu formulieren, der vor dem Verfassungsgericht Bestand gehabt hätte.
Und SPD-Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci scheitert regelmäßig dabei, den eigenen SenatskollegInnen die aktuelle Corona-Situation und ihre eigene Taktik gegen die Pandemie verständlich zu machen. Kein Wunder, dass die Bevölkerung sich noch schwerer damit tut, die Lage zu verstehen, etwa wenn der offiziell bekannt gegebene R-Wert innerhalb von wenigen Tagen dramatisch schwankt von „alles easy“ bis zu „jetzt müssen wir aber wirklich aufpassen“.
Solche Parties wie die am Pfingstsonntag wird es wieder geben, da muss man sich in Berlin nichts vormachen. Wer ab und an morgens durch Parks joggt, sieht die Spuren der Nacht: Flaschen, Pizzaschachteln, etc. Umso wichtiger ist es jetzt, politische Ideen zu entwickeln, wie die Partykultur nicht völlig durch Corona platt gemacht wird, denn Clubs und auch Konzerthallen dürften die letzten sein, die wieder aufmachen können – auch da darf man sich keinen Illussionen hingeben.
Der Senat braucht zudem eine klarere Kommunikation der Corona-Lage – zusätzlich zur Corona-Ampel. Denn Grün heißt eben nicht, dass auch alle Boote fahren dürfen.
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