Demo gegen die tschechische Regierung: Die Wut der „Kremloboti“
Die Unterstützung der Ukraine kommt in Tschechien nicht bei allen gut an. Inflation und Staatsverschuldung machen den Leuten Angst.
S o tief ist inzwischen der Graben innerhalb der tschechischen Gesellschaft, dass der Diskurs lieber auf Strohmänner setzt: ein paar Tausend „desolati“ – Desolate, wie das böhmisch-mährische Juste Milieu diejenigen bezeichnet, die das Vertrauen in den Staat verloren haben – hätten auf dem Wenzelsplatz versucht, auf sich aufmerksam zu machen, spottet es in den Kaffeehäusern.
An den Stammtischen hingegen waren es Zehntausende von Patrioten, die nach Prag gekommen waren, um der knapp zwei Jahre alten Regierungskoalition von Petr Fiala ihre Verachtung zu zeigen. Es waren keine vorrevolutionären Massen, aber auch mehr als ein paar Tausend Unzufriedene, die am Samstag aus der ganzen Republik, vor allem aus ihren unterversorgten Grenzregionen, zur „Tschechien gegen die Regierung“-Demo gereist waren.
Unter ihnen waren sicher viele Opfer eines miserablen Bildungswesens, die offen sind für jeden Schnipsel von Desinformation, sowie auch eine wachsende Zahl von sogenannten Putin-Verstehern, in Tschechien nennt man sie „Kremloboti“, die hauptsächlich gegen die tschechische Unterstützung der Ukraine sind. Die hat in Tschechien metaphysische Ausmaße angenommen: ein Sieg der Ukraine als Vollendung der tschechischen Geschichte, als Sieg der Wahrheit über Lüge und Hass.
Überall kommt das allerdings nicht an. Viele Rentner hätten lieber eine andere, inflationsgebundene Rentenerhöhung, der Klein- und Mittelstand wohl lieber bezahlbare Energiepreise – und die Mittelschicht wird bei all den obskuren Steuer- und Beitragserhöhungen im Namen der Haushaltskonsolidierung auch recht unruhig.
Umso mehr, als die Regierung von Ministerpräsident Petr Fiala sich weiter verschuldet, um Milliarden an Hilfsgeldern in die Ukraine zu schicken. Die Regierung wertet die Ängste der Bevölkerung zu sehr ab, macht sie geradezu verächtlich. Der Politologie-Professor Fiala scheint beim Regieren das Brecht’sche Axiom vergessen zu haben, nachdem erst das Fressen kommt und dann die Moral.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr