Demo für Menschen in Moria: Stinkefinger für Seehofer
In Berlin haben Tausende dafür demonstriert, Geflüchtete von den griechischen Inseln nach Deutschland zu holen. Protest gab es in vielen Städten.
Nach Veranstalterangaben kamen 10.000 Menschen, nach Polizeiangaben waren es 3.000, die vom Berliner Hauptbahnhof zum Bundesinnenministerium zogen. Auch in anderen deutschen Städten gab es Demonstrationen. In Leipzig kamen laut dpa 1.800 Protestler zusammen, in Hamburg mehr als 1.200 und in Frankfurt am Main 300.
Tareq Aaaows, der die Berliner Demonstration angemeldet hat, war 2015 selbst nach Deutschland geflüchtet. „Mal zu Fuß, mal mit Bussen, aber ich war wohl mehr Zeit zu Fuß unterwegs“, sagt er der taz. Europäische Abschottungspolitik hat er am eigenen Leib erlebt. Und das prangerte er Mittwoch als Vertreter des Netzwerks Seebrücke auf dem Lautsprecherwagen an:
„Was auf Moria geschieht, ist keine Naturkatastrophe. Es ist politisch gewollt, dass Geflüchtete an den europäischen Außengrenzen vor sich hin vegetieren“, sagte er. „Diese Abschottung wird die Flüchtlingsbewegungen aber nicht stoppen“, zeigte er sich überzeugt.
Bisher blockt Seehofer
Das sahen die Demoteilnehmer, die sich diszipliniert an die Abstandsregeln hielten und Mund-Nasen-Schutz trugen, auch so. Die zentrale Forderung: Die ehemaligen Bewohner des „Lagers der Schande“ müssten sofort in europäische Städte ausgeflogen werden.
Allein 170 Städte in Deutschland haben mittlerweile erklärt, Flüchtlinge aufnehmen zu wollen. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) verhindert aber seit geraumer Zeit per Veto, dass tatsächlich Flüchtlinge herkommen. Vor den Demonstranten, die am Mittwoch vor seinen Dienstsitz zogen, bekam er dafür den Stinkefinger gezeigt. Als die Demonstranten gegen 20.40 Uhr das Ministerium erreichten, riefen sie dort „Wir haben Platz“ oder „Evakuierung sofort“. Im Ministerium brannte da kein Licht mehr.
Das Ausländergesetz sieht vor, dass die Länder und Kommunen nicht ohne den Bund über die Aufnahme von Flüchtlingen entscheiden können. Eine Bundesratsinitiative, die Berlin und Thüringen schon Ende 2019 eingebracht hatten, will das ändern. Ihr zufolge sollen Bundesländer in eigener Verantwortung über die Aufnahme entscheiden dürfen.
Berlins Linken-Vorsitzende Katina Schubert freute sich auf der Demonstration, dass es jetzt aus weiteren Bundesländern Stimmen gebe, die das befürworten: aus Bremen, Brandenburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen.
Am Montag – noch vor dem Brand in Moria – hatte das Netzwerk Seebrücke vor dem Bundestag 13.000 Stühle aufgestellt: Ein Stuhl für jeden Insassen des Lagers auf Lesbos, die dort ohne ausreichende medizinische Versorgung, ohne Abstandsmöglichkeiten in Zelten oder Bretterverschlägen vegetierten. „Wir haben Platz“ sollten die Stühle eindrucksvoll zeigen.
Aktuell hatten Seebrücke und die anderen Flüchtlingsorganisationen wenige Informationen zum Schicksal der Menschen, die durch das Feuer ein weiteres Mal ihre gesamte Habe verloren haben. 13.000 Menschen seien auf der Insel auf der Suche nach einem Platz zum Schlafen. Anwohner der 85.000 Einwohner zählenden Insel hätten ihre Straßen abriegelt, so berichten Augenzeugen. Es bestehe die Gefahr, dass Rechtsextreme die Situation weiter anheizen. Angaben zu Toten durch das Feuer sowie zur Brandursache gebe es keine.
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