piwik no script img

Debatten über SelbstbestimmungsgesetzWie eine gesprungene Platte

Seit Jahren verspricht die Regierung ein Selbstbestimmungsgesetz. Jedes Mal, wenn es fast kommt, heißt es: „Aber was ist mit Frauensaunen?“

„Aber was ist mit Frauensaunen?“ Foto: Gudella/imago

S teht Ihnen die Silvesterdebatte schon bis hier? Mir auch. Diskussionen wie die um die jugendlichen Angreifer in Berlin sind wie eine gesprungene Platte. „Wir müssen dringend über Integration sprechen“, gefolgt von „Hier ist ganz anderes entscheidend als die Herkunft“; darauf kommt „Ihr verschließt die Augen, sobald es um Ausländer geht“, dann „Tun wir gar nicht“ und „Tut ihr wohl“. Dann fühlt sich eine Innenministerin bewegt, klare Kante zu zeigen, ein paar Mei­nungs­ma­che­r*in­nen plustern sich auf und am Ende haben weder angegriffene Rettungskräfte was davon, noch „Integrationswillige“.

Sie schalten schon ab? Dann zu etwas völlig anderem. Seit Jahrzehnten fehlt in Deutschland eine menschenwürdige Regelung des amtlichen Geschlechts. Seit sechs Jahren ist sie vom Verfassungsgericht beauftragt. Seit zwei Jahren verspricht die Regierung ein Selbstbestimmungsgesetz. Und jedes Mal, wenn es fast kommt, springt die Platte. Dann heißt es von irgendwoher: „Aber was ist mit Frauensaunen?“

Das Fallkonstrukt geht so: Jemand betreibt eine Frauensauna und behält sich das Privileg vor, Leute, „die wie Männer aussehen“ an der Tür abzuweisen. Nach Selbstbestimmungsgesetz, so die Mahnung, könnte eine abgewiesene trans Frau ja mit ihrem Geschlechtseintrag wedeln und die Saunabetreiberin wegen Diskriminierung vor Gericht zerren. „Das müssen wir sauber regeln“, sagt Justizminister Buschmann fachmännisch der Zeit.

Das Saunabeispiel wurde schon so oft und mit so großer Dringlichkeit wiederholt, dass ich es manchmal ehrlich gesagt selber fast glaube. Dazu muss man aber wissen: Das hat mit der Reform des Geschlechtseintrags nichts zu tun. Trans Frauen könnten sich jetzt schon in Saunen einklagen. Mir ist nicht bekannt, dass sie das täten. Aber wenn es so wichtig ist, hier juristisch auf Nummer sicher zu gehen und unverhältnismäßige Härte gegen überforderte Sau­na­be­trei­be­r*in­nen zu verhindern, dann hätte man das längst „sauber regeln“ können. Wohlgemerkt ohne dabei Genitalkontrolle zu legalisieren.

Und noch 'ne Ehrenrunde

Auch Hilfsleitfäden und Schulungen für Mit­ar­bei­te­r*in­nen von Saunen und Bädern könnten längst unterwegs sein, Island macht’s vor. Stattdessen drehen wir eine Ehrenrunde auf der alten Platte. „Wir müssen jetzt dringend über Schutzräume für cis Frauen sprechen“, höre ich schon. „Ihr verschließt die Augen, sobald es um Transgender geht“, „Tun wir gar nicht“, „Tut ihr wohl“.

Fortschritt zugunsten der Schwächeren wird nicht immer aktiv bekämpft. Oft wird er passiv verschleppt. Die Beharrungskräfte des Status quo sind frustrierend unoriginell, das macht sie so perfide. Die meisten Po­li­ti­ke­r*in­nen finden weder trans Rechte noch Frauenräume dringlich, es sei denn, man kann beides in Scheindebatten gegeneinander ausspielen. Damit fahren sie gut, solange die Mehrheit findet, dass Antidiskriminierung schon auch irgendwie Zeit hat, bis morgen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Peter Weissenburger
Autor
Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Medien.
Mehr zum Thema

14 Kommentare

 / 
  • "Debatten über Selbstbestimmungsgesetz: Wie eine gesprungene Platte "



    Tja, und solange beide Seiten in den Debatten immer nur ihre gesprungenen Platten abspielen, statt ernsthaft auf die jeweiligen Gegenüber einzugehen, wird das auch so bleiben...

  • Für Saunen ist es auch nicht wichtig. Kreative diskriminieren Menschen werden eben No-Dick-Tage einführen und dort wo Trans-Personen erwünscht sind wird es wohl heute schon keine Probleme geben.



    Und damit steht der einfacheren Änderung des Geschelchtes in meinen Augen nichts mehr im Weg.

    Sorgen mache ich mir um andere Einrichtungen (bsp. Gefängnisse), hier würde ich im Zweifel nur das Geschlecht vor der Tat akzeptieren.

  • Ok, aber was ist denn nun mit den Frauensaunen?

    Wie würde Herr Weissenburger das Problem lösen?

  • Ich selbst habe in der Frage eine Entwicklung durchgemacht, von jemandem, der Überprüfungen wichtig und richtig fand, zu jemandem, der angesichts der fehlenden empirischen Belege für das Ausnutzen einfacher Verfahren zur Personenstandsänderung in anderen Ländern, zu einer liberalen Regelung tendiert. Über Frauensaunen habe ich nie nachgedacht. Meine regelmäßig saunierende Müttergeneration (Mutter + Schwiegermutter + Tante) würde nie wieder in eine Sauna gehen, nachdem sie da zum ersten Mal einer als solchen erkennbaren Transfrau begegnet sind. Sie würden das als einen Eingriff in ihre körperliche Würde begreifen. Bleibt wohl nur Textilsauna für alle.

  • Mit dem Trans-Europa-Express fahren, geht auch nicht mehr. Bin bei der Saunafrage jedenfalls auch ratlos schwitzend. Vllt. einfach Brustwarzenabstand als Unterscheidungsmerkmal, anstatt Geschlecht? Der ist ganz leicht messbar.

  • Umgekehrt wird ein Schuh draus.

  • Danke Peter, du hast eine Problematik gut beschrieben, die mir so in der Form bisher nicht bekannt war. Und ich stimme deiner Bewertung der Situation zu, man sollte jetzt handeln und es jetzt regeln. Ich wüsste keinen Grund warum man noch warten sollte.



    Guter Bericht von dir.

    • @Rudi Hamm:

      Da schließe ich mich an!

  • Danke für diesen unterhaltsamen aber dennoch sehr lesenswerten Text!