Debatte um Palästinensertuch Kufiya: Shitstorm gegen Gedenkstätte Buchenwald
Ein internes Papier stellt palästinensische Symbole unter Antisemitismusverdacht. Der Gedenkstättenleiter verspricht eine Überarbeitung.

Das 57-seitige interne Papier ist für Mitarbeiter und Sicherheitspersonal gedacht, um Personen von einem Besuch des Geländes auszuschließen, die das ehemalige Konzentrationslager als Bühne für ihre politische Forderungen nutzen wollen, sagte Gedenkstättenleiter Jens-Christian Wagner der taz. Dazu zählen insbesondere Propagandaaktionen von Rechtsextremen. Doch das Papier thematisiert auch vorgeblich Israel-feindliche Symbole. Und die haben es in sich.
Denn dabei werden auch harmlose Zeichen zu gefährlichen und damit möglicherweise antisemitischen Symbolen erklärt. So heißt es über das Palästinensertuch Kufiya, dieses sei „eng mit dem Streben nach der Vernichtung Israels verbunden“. Weiter steht dort: „Das Tragen der Kufiya kann mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Sympathie mit militanter Israelfeindschaft bedeuten.“
Neben korrekten Hinweisen auf anti-israelische und damit potentiell antisemitische Symbole wie die auf rote Dreiecke, die für die Terrororganisation Hamas stehen, oder von Landkarten, auf denen der Staat Israel getilgt ist, wird behauptet, bei der Parole „Ceasefire Now“ (Waffenstillstand jetzt) handele es sich um eine „einseitige Forderung zu Lasten Israels“. Dabei hat selbst US-Präsident Donald Trump dieses Verlangen vorangetrieben. Ein Olivenzweig könne neben Steinschleuder und Schlüssel „als Negierung des Rechts von Jüdinnen und Juden auf ein Leben in Israel verstanden werden“. Das Zeigen von Wassermelonen ginge oft einher mit „Parolen des israelbezogenen Antisemitismus“.
Morddrohungen im Netz
Leser dieser Auszüge reagierten darauf mit Empörung. Gedenkstättenleiter Wagner berichtete von Morddrohungen im Internet gegen Mitarbeiter der Gedenkstätte, aber auch von Solidaritätsbekundungen. Er verwahrte sich gegen die „wüsten Beschimpfungen meiner Kollegen im Netz. Das können wir nicht dulden.“
Wagner sprach von einem „Shitstorm“, der sich angesichts solcher Formulierungen derzeit über seine Einrichtung ergießt. „Ich bin darüber nicht glücklich“, sagte Wagner zu dem Papier. Er selbst habe die Handreichung nicht gekannt und teile die Kritik an einigen Formulierungen. „Ich teile die Einschätzung, dass das überarbeitungsbedürftig ist“, sagte er. So sei dort auch von „umstrittenen Gebieten“ für die „besetzten Gebiete“ die Rede. Das sei falsch. Es müsse deutlich werden, „dass Kritik an der Politik der israelischen Regierung nicht per se antisemitisch ist“, sagte Wagner. Eine Überarbeitung der Handreichung sei bereits in Arbeit.
Das der taz vorliegende interne Dokument gelangte nach dem Besuch von Juristen aus Schleswig-Holstein in der Gedenkstätte an die dortige Justiz und fand von dort den Weg an die Öffentlichkeit. Die Weitergabe aus den Händen der Gedenkstätte hätte nicht passieren dürfen, sagte Wagner.
Buchenwald als Bühne
Anlass für die insgesamt zehn Seiten umfassenden Deutungsversuche vorgeblich anti-israelischer Symbole seien wiederholte Versuche kommunistischer Gruppen gewesen, in Buchenwald gegen den Krieg in Gaza zu protestieren und damit diesen in eine Linie mit den nationalsozialistischen Verbrechen zu stellen. Dies, so Wagner, sei bei Feierlichkeiten zum 8. Mai und anlässlich des Gedenkens an den Tod von KP-Führer Ernst Thälmann 1944 geschehen und werde nicht geduldet.
„Das eigentliche Problem in Buchenwald ist aber nicht Israel-bezogener Antisemitismus, sondern es sind deutsche Rechtsextremisten“, stellte Wagner klar. Deshalb seien auch vier mal so viele Seiten in der umstrittenen Handreichung diesem Rechtsextremismus und seinen Chiffren gewidmet. Diese Erklärungen müssten regelmäßig aktualisiert werden, schon wegen neuer von Neonazis gern getragener Kleidermarken. Handreichungen wie die von Buchenwald werden auch von anderen NS-Gedenkstätten hergestellt und eingesetzt, um auf Szene-typische Accessoires von Neonazis aufmerksam zu machen.
Erst vor wenigen Monaten hatte Wagner Distanz zur israelischen Regierung deutlich gemacht, als diese die Einladung des israelischen Philosophen Omri Boehm in die Gedenkstätte scharf kritisiert hatte. Er zeigte sich bestürzt über die Einflussnahme und warnte vor einer Verdrehung der Geschichte. Boehm, dem von Seiten Jerusalems ein anti-israelisches Verhalten unterstellt worden war, sei ein „absolut respektabler, großartiger, international renommierter Philosoph“, sagte er.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Generaldebatte im Bundestag
Getrieben von den Rechtsextremen
Soziologe über AbtreibungsgegnerInnen
„Das Ziel ist, liberale RichterInnen zu verhindern“
Utopie eines Israel-Palästina
Eine Vision in dunkler Zeit
Hitze und Klimapolitik
Kommt zurück, Futures!
Inhaftierte Aktivist*in in Ungarn
„Herr Wadephul muss Maja T. zurück nach Hause holen“
Studie über Wohngebäude-Modernisierung
Wärmewende kostet in Deutschland 1,4 Billionen Euro