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Debatte um Palästinensertuch KufiyaShitstorm gegen Gedenkstätte Buchenwald

Ein internes Papier stellt palästinensische Symbole unter Antisemitismusverdacht. Der Gedenkstättenleiter verspricht eine Überarbeitung.

Kommunistische Gruppen versuchten, in Buchenwald gegen den Gaza-Krieg zu protestieren, und stellen diesen in eine Linie mit den NS-Verbrechen Foto: Markus Schreiber/ap Photo

Berlin taz | Eine Handreichung zur Identifikation antisemitischer und rassistisch eingestellter Besucher der Gedenkstätte Buchenwald sorgt seit wenigen Tagen für empörte Reaktionen in den so genannten sozialen Medien.

Das 57-seitige interne Papier ist für Mitarbeiter und Sicherheitspersonal gedacht, um Personen von einem Besuch des Geländes auszuschließen, die das ehemalige Konzentrationslager als Bühne für ihre politische Forderungen nutzen wollen, sagte Gedenkstättenleiter Jens-Christian Wagner der taz. Dazu zählen insbesondere Propagandaaktionen von Rechtsextremen. Doch das Papier thematisiert auch vorgeblich Israel-feindliche Symbole. Und die haben es in sich.

Denn dabei werden auch harmlose Zeichen zu gefährlichen und damit möglicherweise antisemitischen Symbolen erklärt. So heißt es über das Palästinensertuch Kufiya, dieses sei „eng mit dem Streben nach der Vernichtung Israels verbunden“. Weiter steht dort: „Das Tragen der Kufiya kann mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Sympathie mit militanter Israelfeindschaft bedeuten.“

Neben korrekten Hinweisen auf anti-israelische und damit potentiell antisemitische Symbole wie die auf rote Dreiecke, die für die Terrororganisation Hamas stehen, oder von Landkarten, auf denen der Staat Israel getilgt ist, wird behauptet, bei der Parole „Ceasefire Now“ (Waffenstillstand jetzt) handele es sich um eine „einseitige Forderung zu Lasten Israels“. Dabei hat selbst US-Präsident Donald Trump dieses Verlangen vorangetrieben. Ein Olivenzweig könne neben Steinschleuder und Schlüssel „als Negierung des Rechts von Jüdinnen und Juden auf ein Leben in Israel verstanden werden“. Das Zeigen von Wassermelonen ginge oft einher mit „Parolen des israelbezogenen Antisemitismus“.

Morddrohungen im Netz

Leser dieser Auszüge reagierten darauf mit Empörung. Gedenkstättenleiter Wagner berichtete von Morddrohungen im Internet gegen Mitarbeiter der Gedenkstätte, aber auch von Solidaritätsbekundungen. Er verwahrte sich gegen die „wüsten Beschimpfungen meiner Kollegen im Netz. Das können wir nicht dulden.“

Wagner sprach von einem „Shitstorm“, der sich angesichts solcher Formulierungen derzeit über seine Einrichtung ergießt. „Ich bin darüber nicht glücklich“, sagte Wagner zu dem Papier. Er selbst habe die Handreichung nicht gekannt und teile die Kritik an einigen Formulierungen. „Ich teile die Einschätzung, dass das überarbeitungsbedürftig ist“, sagte er. So sei dort auch von „umstrittenen Gebieten“ für die „besetzten Gebiete“ die Rede. Das sei falsch. Es müsse deutlich werden, „dass Kritik an der Politik der israelischen Regierung nicht per se antisemitisch ist“, sagte Wagner. Eine Überarbeitung der Handreichung sei bereits in Arbeit.

Das der taz vorliegende interne Dokument gelangte nach dem Besuch von Juristen aus Schleswig-Holstein in der Gedenkstätte an die dortige Justiz und fand von dort den Weg an die Öffentlichkeit. Die Weitergabe aus den Händen der Gedenkstätte hätte nicht passieren dürfen, sagte Wagner.

Buchenwald als Bühne

Anlass für die insgesamt zehn Seiten umfassenden Deutungsversuche vorgeblich anti-israelischer Symbole seien wiederholte Versuche kommunistischer Gruppen gewesen, in Buchenwald gegen den Krieg in Gaza zu protestieren und damit diesen in eine Linie mit den nationalsozialistischen Verbrechen zu stellen. Dies, so Wagner, sei bei Feierlichkeiten zum 8. Mai und anlässlich des Gedenkens an den Tod von KP-Führer Ernst Thälmann 1944 geschehen und werde nicht geduldet.

„Das eigentliche Problem in Buchenwald ist aber nicht Israel-bezogener Antisemitismus, sondern es sind deutsche Rechtsextremisten“, stellte Wagner klar. Deshalb seien auch vier mal so viele Seiten in der umstrittenen Handreichung diesem Rechtsextremismus und seinen Chiffren gewidmet. Diese Erklärungen müssten regelmäßig aktualisiert werden, schon wegen neuer von Neonazis gern getragener Kleidermarken. Handreichungen wie die von Buchenwald werden auch von anderen NS-Gedenkstätten hergestellt und eingesetzt, um auf Szene-typische Accessoires von Neonazis aufmerksam zu machen.

Erst vor wenigen Monaten hatte Wagner Distanz zur israelischen Regierung deutlich gemacht, als diese die Einladung des israelischen Philosophen Omri Boehm in die Gedenkstätte scharf kritisiert hatte. Er zeigte sich bestürzt über die Einflussnahme und warnte vor einer Verdrehung der Geschichte. Boehm, dem von Seiten Jerusalems ein anti-israelisches Verhalten unterstellt worden war, sei ein „absolut respektabler, großartiger, international renommierter Philosoph“, sagte er.

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18 Kommentare

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  • Morddrohungen?

    Die Handreichungen haben also Kriminelle hervorgelockt.



    Würde Anzeige erstattet?

  • Mir gefällt die nuanzierte Einstellung von Herrn Wagner!



    Wenn mir gesagt wird die Kufiya stehe im (starken) Verdacht pro-Hamas, antisemitisch und Terrorismus befürwortend zu sein, dann regt sich in mir etwas auf — so etwas wie Zorn. Ist denn die Kippa — ich habe zu Hause eine "Ehrenkippa" von einem jüdischen Freund — ein verdächtiges Zeichen der Befürwortung von der unausprechlichen Brutalität der israelischen Armee und der Siedler im Westjordanland? NEIN! Solche Aussagen geben mir geradezu den Wunsch, neben meiner Kippa auch eine Kufiya zu zeigen! Die einzig mögliche Haltung ist es zugleich Philopalestinenser und Philosemit zu sein. Dazu noch gegen Hamas und Netanyahu und ihre Komplizen.

  • Das Problem mit den Symbolen ist doch, dass es sich um einen Wettlauf zwischen den Extremist:innen und denjenigen handelt, die uns Normals vor deren Hass schützen wollen. Da müssen interne Papiere schon sein, die regelmäßig aktualisiert werden. Ist jedenfalls besser als Verbote.



    Ich sehe insbesondere zwei Skandale: Erstens, dass überhaupt Holocaust-Gedenkstätten vor „Linken“ geschützt werden müssen – haben wir vergessen, dass Kommunist:innen zu den ersten Opfern der Nazis gehörten? Zweitens, dass Hassprediger Todesdrohungen gegen Mitarbeiter:innen der Einrichtung öffentlich aussprechen und die Reaktion darauf ist, dass die Leitung zurückrudert – sollte nicht eigentlich die sonst so oft geforderte gute polizeiliche Ermittlung sofort beginnen?



    Und mal wieder: Warum sollten Aufrufe zur Gewalt gegen Mitarbeiter:innen irgendwie gearteter kulturell-historischer Einrichtungen jetzt eigentlich okay sein? Auch und gerade als Linke sollten wir nicht das Faustrecht und Lynchjustiz fordern, finde ich. Manchmal fühle ich mich damit inzwischen aber arg in der Minderheit.

  • Es gibt weltweit weitere Missstände gegen die demonstriert werden muss und kann.



    Allerdings ist eine Gedenkstätte der Naziverbrechen meines Erachtens dafür ungeeignet. Und in Gedenkstätten der Naziverbrechen gegen Israel zu demonstrieren, ist komplett daneben.



    Auch Morddrohungen gegen Mitarbeiter der Gedenkstätten zeugen von der schlechten Verfassung der Schreiber und nicht von Umgang mit politischen Anliegen.

  • Ich habe den Leiter der Gedenkstätte Buchenwald in einem Interview zur Causa Boehm gehört und hatte den Eindruck, dass es sich um einen sehr reflektierten und sachlichen Mann handelt.



    Da er von beiden Seiten angegriffen wird, scheint er etwas richtig zu machen. Leicht macht ihm das das Leben sicher nicht.



    Der Diskurs ist schon lange vollkommen eskaliert, und ich beneide den Mann nicht um seine Position zwischen allen Stühlen.

  • "Die Weitergabe aus den Händen der Gedenkstätte hätte nicht passieren dürfen, sagte Wagner."

    Das finde ich ehrlich gesagt eine problematische Haltung. Ich kann zwar verstehen, dass das der Gedenkstätte jetzt auf die Füße gefallen ist, aber wäre es nicht passiert, wäre es dann zu der notwendigen Überarbeitung gekommen?



    Ich fand Wagner bei Jung & Naiv sehr hörens/sehenswert, aber ich denke, dass er schon wissen muss, was seine Institution da publiziert und wie sie mit ihren Besucher:innen umgeht, denn schließlich gilt dieser Leitfaden als Orientierung für das Personal und da ist es nicht einfach ein Versehen, wenn Besucher:innen aufgrund dessen zu Antisemit:innen erklärt werden.



    Gerade vor dem Hintergrund der Ereignisse und Erfahrungen die Wagner selbst während der letzten Monate machen musste, hätte ich da etwas mehr Fingerspitzengefühl erwartet.

  • Was ist an diesen Formulierungen falsch? Der Skandal ist doch vielmehr, dass man das in einer Gedänkstätte wie der in Buchenwald in ein Handbuch fürs die Mitarbeiter:innen schreiben muss. Da steht ja auch nicht drin, dass, dass sie ihre Schuhe anziehen sollen, bevor sie zur Arbeit gehen.

  • Es ist ja wohl kaum zu bestreiten, dass große Teile der Pro-Palästina-Demonstranten sich stramm antisemitisch einlassen. Insbesondere die Parole "from the river to the sea" ist kaum anders als ein Aufruf zur Vernichtung Israels und damit als Aufruf zum Genozid zu verstehen. Denn wer ist denn der größere Antisemit: Der, der mal einen judenfeindlichen Spruch raushaut, oder der, der die einzige sichere Heimstatt für Juden aus der Welt schaffen will?

    • @PeterArt:

      'Es ist ja wohl kaum zu bestreiten, dass große Teile der Pro-Palästina-Demonstranten sich stramm antisemitisch einlassen'

      Doch, das ist sehr wohl zu bestreiten, auch wenn Sie das so verstanden haben wollen.

    • @PeterArt:

      Israel ist die einzig sichere Heimstatt für Juden, weil die Welt und damit auch der Westen ihnen keine Heimstatt bei ihnen zu hause gönnen wollte. Damit tragen wir Mitverantwortung am unausprechlichen Leiden der Araber aus Palestina.

    • @PeterArt:

      Darum ging es in dem Artikel nicht. Die Devise '"From the river to the sea" wird auch von pro-israelischer Seite verwendet, und in der Tat: Es gibt ja bereits einen Staat, der vom Mittelmeer bis zum Jordan herrscht: Israel. Eine sichere Heimstatt für Palästinenser gibt es nicht. Haben sie nicht auch eine verdient?

    • @PeterArt:

      "from the river to the sea" ...



      ... das wollen die Krieger auf beiden Seiten. Die einen rufen den Spruch, andere zeigen eine Landkarte - sogar vor der UNO.

    • @PeterArt:

      Doch, das ist sehr wohl zu bestreiten. Vgl. z.B. das Urteil des gewiss nicht als Hort der Israelfeindlichkeit bekannten



      VG Berlin, Urteil vom 23. August 2023 – 24 K 7/23. Zitat aus den Entscheidungsgründen, Rn. 36: „Dementsprechend plädieren auch namhafte Antisemitismusforscher dafür, den Slogan in erster Linie als Ruf nach Freiheit und Gleichberechtigung für das Gebiet zwischen dem Jordanfluss und dem Mittelmeer zu verstehen und – wenn nicht zwingende zusätzliche Beweise das Gegenteil nahelegen – eben nicht als Aufruf zu Gewalt und Zerstörung (vgl. hierzu das ins Verfahren eingeführte Gutachten von Alon Confino und Amos Goldberg zur Frage: ,Ist der Slogan „From the River to the Sea, Palestine will be free“ antisemitisch?‘).“

    • @PeterArt:

      Diese Interpretation wird nicht allgemein geteilt.

    • @PeterArt:

      Und was ist mit der gleichen Parole von israelischer Seite?

  • K-Gruppen benutzen Buchenwald um gegen Israel zu demonstrieren? Au weia.

    Und die Kufiya?

    SPIEGEL: "Nun mag die Geschichte der Kufiya zwar als harmlose Kopfbedeckung arabischer Feldarbeiter begonnen haben - aber vor knapp achtzig Jahren wurde daraus gefährlicher Stoff. Damals, in den 1930ern, war Mohammed Amin el-Husseini Großmufti von Palästina. Der Typ war ein Bewunderer Hitlers, und die Kufiya setzte er als Erkennungszeichen für arabische Männer durch."

    Wiki: "Ab 1933 unterstützte er das NS-Regime und arbeitete ab 1937 mit ihm zusammen. Von Oktober 1941 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs lebte er in Deutschland und verbreitete die nationalsozialistische Propaganda im arabischen Raum. Er wurde Mitglied der SS, mobilisierte Muslime für die Waffen-SS auf dem Balkan, setzte sich für die Blockade von Fluchtwegen für Juden aus Osteuropa ein und lieferte so tausende jüdische Kinder dem Holocaust aus."

    El-Husseini - ein Leben für den Judenhass.

    So geht Kufiyah. Die Fahne El-Husseinis.

    www.spiegel.de/pol...-0000-000000062259

    de.wikipedia.org/w...d_Amin_al-Husseini

    • @shantivanille:

      Kleidungsstücke sind durchaus vieldeutig, mit Ausnahme der Kleidung der britischen königlichen Familie, wo jedes Detail eine klare Botschaft trägt — etwa als die europhile Königin blau und gelb beim britischen Austritt aus der EU trug.

    • @shantivanille:

      Und das auf den Kopf gestellte rote Dreieck?

      Der Politikwissenschaftler Julian Schenke im Interview mit dem SPIEGEL: »Die Hamas markiert damit Kriegsziele und jüdische Menschen, die angegriffen werden sollen«, sagte er über das rote Dreieck. »Man kann die Verwendung dieses Symbols nicht anders deuten als den Wunsch, dass mehr Israelis getötet werden.«

      Gedenkstättenleiter Wagner ist mit Sicherheit die ursprüngliche Bedeutung klar, dass das auf den Kopf gestellte rote Dreieck von der SS zur Kennzeichnung von politischen Gefangenen in Konzentrationslagern benutzt wurde.

      Genauso klar ist das übrigens der Hamas und ihren sog. "propalästinensischen" Freunden, die sich bestens in der Materie auskennen.

      Sowie Neonazis, die anyway nie etwas dazu lernen. Mein Gott, haben die immer noch nicht genug von damals?

      www.spiegel.de/pan...-a056-307034f2ee72