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Debatte um ArbeitspflichtViel Schmutz, wenig Substanz

Sind die Vorschläge der CDU zu Arbeitspflicht für Bürgergeldempfangende nur Wahlkampfgetöse? Was im Wahlprogramm wirklich vorgesehen ist.

Who kehrs? Bei einer Arbeitspflicht für Bürgergeld­empfangende ginge es wohl um Tätigkeiten wie Straßen­reinigung Foto: Florian Peljak/SZ Photo

Berlin taz | „Leistung“ ist das Wort des Wahlkampfes. Die Union postuliert „Leistung muss sich wieder lohnen“. Die SPD definiert Leistungsträger in Abgrenzung als die, „die viel leisten – und nicht nur die, die sich viel leisten können“. Und auch die Grünen wenden sich an die, die „den Laden jeden Tag am Laufen halten“. Alle drei werben um die rackernde Mitte – was aber ist mit Arbeitslosen und Bürgergeldempfänger:innen?

Beide Gruppen sind nicht deckungsgleich, obwohl der rechtslastige Diskurs etwas anderes suggeriert. Doch von den 5,6 Millionen Bür­ger­geld­emp­fän­ge­r:in­nen, sind laut Agentur für Arbeit fast 1,5 ­Millionen minderjährige Kinder unter 15 Jahren also nicht erwerbsfähig. Jede fünfte Bürgergeldempfänger:in, mithin über 825.000 Menschen, ist erwerbstätig, darunter die Hälfte in sozialversicherungspflichtigen Jobs. Eine halbe Million Menschen pflegt Angehörige, kümmert sich um Haushalt oder Erziehung oder gilt als erwerbsunfähig. Am Ende bleiben 1,7 ­Millionen Menschen die arbeitsfähig, aber ohne Arbeit sind.

Wenn es nach der Union geht, soll es für diese ab März deutlich ungemütlicher werden. Im Wahlprogramm heißt es, man werde das sogenannte Bürgergeld in der jetzigen Form abschaffen und durch eine neue Grundsicherung ersetzen. Der Vermittlungsvorrang – also die Pflicht, einen Job anzunehmen, auch wenn das bedeutet, eine Weiterbildung abzubrechen – solle wieder eingeführt werden. Wer nicht bereit sei, Arbeit anzunehmen, dem will die Union das Geld komplett streichen. Spitzenpolitiker, wie der parlamentarische Geschäftsführer Thorsten Frei, gehen sogar noch weiter und rufen nach einer Arbeitspflicht für Bürgergeldempfänger:innen. So weit, so markig.

Doch was steckt hinter den Sprüchen? Werden Bür­ger­geld­emp­fän­ge­r:in­nen bald auf brandenburgischen Baumwollplantagen schuften? Ansonsten – Geld weg? Die Rechtslage gibt das nicht her: Der Staat ist qua Verfassung verpflichtet, ein menschenwürdiges Existenzminimums und ein Mindestmaß an Teilhabe zu gewährleisten. Das Bürgergeld von aktuell 563 Euro für Alleinstehende bewegt sich gerichtlich bestätigt bereits auf diesem Niveau. Und auch bei Sanktionen hat das Bundesverfassungsgericht rote Linien gesetzt: Kürzungen von 30 Prozent sind in Ordnung, 60 oder 100 Prozent gehen zu weit.

Fördern und Fordern

Spricht man mit Fach­po­li­ti­ke­r:in­nen von Union, SPD und Grünen, drängt sich der Eindruck auf, dass hier eine Debatte läuft, die laut ist, viel Schmutz aufwirbelt, aber wenig Sub­stanz hat.

Unionsfraktionsvize Hermann Gröhe, zuständig für Arbeit und Soziales, sagt im Gespräch mit der taz, es gehe der Union um die Wiederherstellung der Verbindung von Fördern und Fordern. „Bei gleichzeitiger Stärkung der Vermittlungsanstrengungen. Das kann auch die Vermittlung in eine Berufsausbildung sein, die die Chancen am Arbeitsmarkt erhöht.“ Zur Arbeitspflicht wie in Schwerin äußert sich Gröhe nur karg. „Die Rechtslage lässt das zu und Arbeitsmarktpolitiker sollten sich das unvoreingenommen anschauen.“

Während Kanzlerkandidat Friedrich Merz von zweistelligen Milliardenbeiträgen spricht, die man beim Bürgergeld einsparen könne, sieht Gröhe erst mal Investitionsbedarf. „Sicherlich kann man im Bereich des Bürgergeldes auch zu deutlichen Einsparungen kommen. Dazu müssen aber zunächst Vermittlungsanstrengungen verstärkt werden“, meint Gröhe. Er ist sogar sicher, dass die allermeisten Langzeitarbeitslosen arbeiten wollen.

Gröhe hatte das Bürgergeld für die Union im Vermittlungsausschuss mitverhandelt und -beschlossen. Wenn auch, wie er betont, „nicht aus vollem Herzen“. Vielmehr sei der Einigungsdruck groß gewesen, da die Ampel die notwendige Erhöhung der Regelsätze von einer Einigung bei allen übrigen Fragen abhängig gemacht habe.

Man kann jedoch festhalten: Für den Anstieg der Bürgergeldausgaben, den sie heute lautstark beklagt, ist die Union mitverantwortlich. Aus christlicher Nächstenliebe.

Die SPD wiederum, die das Bürgergeld vor vier Jahren noch als zentrales Wahlversprechen im Programm hatte, „das zu einem Leben in Würde ausreichen und zur gesellschaftlichen Teilhabe befähigen müsse“, klingt nun deutlich kleinlauter. Im Entwurf des Regierungsprogramms, das am Samstag auf dem Parteitag beschlossen werden soll, heißt es defensiv: „Das Bürgergeld ist eine steuerfinanzierte Grundsicherung und kein bedingungsloses Grundeinkommen. Deswegen wird zu Recht Mitwirkung ein­gefordert.“

Im aktuellen Wahlkampf hängt man das Thema tief. „Über das Bürgergeld ist schon sehr viel, leider auch sehr unsachlich gesprochen worden“, sagt SPD-Arbeitsmarktexpertin und Fraktionsvize Dagmar Schmidt der taz. Am liebsten wäre es der Parteilinken, wenn mehr über andere SPD-Forderungen berichtet würde, über den Mindestlohn etwa.

Mit der Einführung des Bürgergelds am 1. Januar 2023 wollte die SPD die neoliberalen Agenda-Zeiten der Ära Schröder endgültig hinter sich lassen und die Versöhnung mit der Basis vollenden – doch ausgerechnet aus ihrer Kernwählerschaft, von den Arbeitnehmer:innen, schlug ihr massiv Kritik entgegen. Das Bürgergeld motiviere Arbeitslose wegen fehlender Sanktionen und zu hoher Regelsätze kaum noch dazu, arbeiten zu gehen.

Die Abschaffung von Sanktionen sei nie das erste Thema gewesen, so Schmidt heute. „Klar ist, wir wollen Verbindlichkeit bei Terminen und Maßnahmen.“ Der Kern der Bürger­geld­reform sei vielmehr der Kooperationsplan gewesen, erläutert sie, bei dem sich Jobcenter und Arbeitslose auf einen individuellen Fahrplan zur Rückkehr in den Arbeitsmarkt einigen „Wir wollen Arbeitslose so in die Lage versetzen, ihren Lebensunterhalt langfristig selbst zu sichern.“ Demselben Ziel diente auch der Wegfall des Vermittlungsvorrangs. „Das sollten wir nicht wieder zurückdrehen.“

Grünen wollten Sanktionen abschaffen

Es waren vor allem die Grünen, die auf die Abschaffung der Sanktionen drängten. „Die Garantie eines sanktionsfreien Existenzminimums ist auch weiterhin Beschlusslage“, sagt die zuständige Berichterstatterin im Bundestag Stephanie ­Aeffner. Die Grünen setzen vor allem auf die Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen. „Das ist die wichtigste Stellschraube, um langfristig Geld im System einzusparen“, sagt Aeffner.

Zwang zu gemeinnütziger Arbeit ist verboten

Stephanie Aeffner, Grüne

Eine Arbeitspflicht lehnen sowohl Grüne als auch SPD ab. Die Union setze auf „Populismus“. „Menschen zu gemeinnütziger Arbeit zu zwingen, ist Zwangsarbeit und verboten“, betont Aeffner. „Es gibt bereits Mitwirkungspflichten im Bürgergeld, aber eben zahlreiche Gründe, warum Menschen nicht arbeiten können“, sagt die SPD-Politikerin Schmidt. Hemmnisse wie fehlende Kinderbetreuung, fehlende Ausbildung müssten angegangen werden.

Bei näherem Hinsehen stellt man dennoch fest – trotz schriller Töne im Wahlkampf haben Union, SPD und Grüne beim Thema Bürgergeld zahlreiche Schnittmengen. „Im Gespräch mit Fachpolitikern sieht man viele Dinge ähnlich“, meint Schmidt. „Wir haben ja auch das Gesetz im Vermittlungsausschuss gemeinsam beraten und beschlossen.“

Womöglich ändert sich ab März dann auch nur der Name. Statt Bürgergeld heißt es dann eben „neue Grundsicherung“.

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22 Kommentare

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  • Ach ja, vielleicht sollte man noch erwähnen, das

    (1) wir in einer nicht zuletzt von leistungslosen PolitikerInnen mitverschuldeten Rezession stecken, die Arbeitslosigkeit nicht als Hobby für Faule generiert, sondern zur Unausweichlichkeit macht (>3 Mio Arbeitslose können schlecht

  • „Leistung muss sich wieder lohnen“

    Na, ist doch super. Endlich geht's den Superreichen und den Politikern an den Kragen. Die leisten ja nichts. Wann bekommt eigentlich Andi B. Scheuer(t) den Lohn für seine Leistungen?

    Jemand, der 1000 Wohnungen besitzt und es sich leistungslos von den Wuchermieten, die er einzieht, gut gehen lässt, muss jetzt um seine Existenz bangen. Pflegen die dann auch die Parks?

    • @Jalella:

      👍💯%

  • Ich bin für eine "Denkpflicht" vor Äußerungen von Politikern.

  • „ wir sind die Moorsoldaten und ziehen …."



    Diese Idee wurde doch zunächst bekämpft von Gärtnereien u s, weil die Tätigkeit in der Gartenpflege etc. Zum Untergang der Gärtnereien führen würde.



    Warum wird die CDU wegen ihrer verfassungsfeindlichen Pläne eigentlich nicht vom Verfassungsdienst beobachtet ?



    Kleine Episode am Rande. Habe heute in der Praxis Pat. Gefragt, ob sie Bürgergeld beziehe. Antwort: nee, vom Jobcenter. Soviel zu dem Quatsch v Linnemann, das Bürgergeld verführe zu der Annahme, es sei eine Grundsicherung. BG-Empfänger müssen dauernd ihre Kontoauszüge vorlegen, werden beraten über Arbeitsmöglichkeiten, werden auch von Arbeitgebern abgelehnt, etc. Oder leben am falschen Ort. Haben erst ihre Ersparnisse aufgebraucht uns mehr.

  • Ist es nicht an der Zeit, den viel kompetenteren Vorstandsmitgliedern der 100 größten Unternehmen aus Deutschland, eine so mediale Aufmerksamkeit, wie den politischen Akteuren, zukommen zulassen ?

  • "Am Ende bleiben 1,7 ­Millionen Menschen die arbeitsfähig, aber ohne Arbeit sind."

    Das sind nicht viele? Das ist ja fast jeder 40.te Einwohner... Das finde ich doch ganz schön viel!

    • @Petzi Worpelt:

      Da sollten Sie aber noch die Ruheständler, Studenten, Hausfrauen & Mütter, die Hausmänner & Väter und die als Privatier - lebenden Einwohner bei Ihrer Rechnung berücksichtigen.

  • taz: *Doch von den 5,6 Millionen Bürgergeldempfänger:innen, sind laut Agentur für Arbeit fast 1,5­Millionen minderjährige Kinder unter 15 Jahren also nicht erwerbsfähig.*

    Wenn Millionen wahlberechtigte Bürgergeldempfänger endlich mal wählen gehen würden ('und zwar soziale Parteien'), dann wäre die CDU/CSU vielleicht nicht mehr so anmaßend frech gegenüber arme Bürger, und Merz/Linnemann würden sich dann bestimmt auch endlich mal mit ihren Unterstellungen - dass Bürgergeldempfänger nur Faulpelze sind - zurückhalten. Leider geht die arme Bevölkerung aber kaum noch zur Wahlurne, und wenn doch, dann wählen sie sogar "politische Parteien" die ihnen das Leben noch schwerer machen.

    Übrigens könnte die CDU ja mal gegen die Steuerhinterzieher in diesem Land vorgehen, die jedes Jahr (!!!) 125 Milliarden Euro Steuergelder "spurlos verschwinden lassen". Aber gegen arme Bürgergeldempfänger zu pöbeln entspricht wohl eher der Politik der "christlichen" Union. Und dass der Diamond DA62 Pilot, der bei BlackRock 20-facher Millionär geworden ist, sich gar nicht vorstellen kann wie Bürgergeldempfänger mit ihren lächerlichen 563 Euro einen ganzen Monat überleben können/müssen, ist wohl auch klar.

    • @Ricky-13:

      Unsere Abgeordneten neigen per se, im Hinblick auf ihr recht unproduktives Dasein, welches sie auf unsere Kosten fristen, generell zu anmaßenden Äußerungen ihrem Volk gegenüber - von dem sie sich aber gerne für ihr Amt legitimieren lassen...

  • Na ja, Fritschens und Wadenbeissers Welt.



    Aber, man bekommt das, was man wählt.



    Ca. Aussage von einem Trump-Clon.

  • Ja, ja die MSU (Markus Söder Union, oder Merz-Söder-Union; wie es beliebt = alles das gleiche).



    Mal wieder historisch unterwegs "Arbeit macht der Frei" oder so ähnlich könnte man fast meinen. Alles nur dumme rechtsradikale Sprüche, um für die Wahlen von den tatsächlichen Inhalten abzulenken. Denn würde die MSU ernsthaft über unsere politischen Landesinhalte demokratisch gestalterisch ringen, müssten ganz andere Machervorschläge auf den Tisch, um ernsthafte Schritte nach der Wahl auch gehen zu können. Aber bereits im Wahlprogramm der MSU werden ungedeckte Schecks formuliert.



    Wie lange, meinen die Damen und Herren von der MSU eigentlich, können Sie uns Wähler noch für dumm verkaufen? Österreich, Frankreich, Ungarn, Italien und USA lassen grüssen! Und schönen Gruss auch an Herrn Weber und Frau v. d. Leyen für die tolle Unterstützung der Rechtsradikalen in der EU. Ob wir uns an Sie erinnern, wenn über den Toren wieder Inschriften zu lesen sind?

  • Hat bei den 1-Euro-Jobs doch auch nicht funktioniert.

  • Wieso "Arbeitspflicht" und Abschlag.



    Wieso nicht Bonus für Arbeit und höhere Freigrenze!



    Man motiviert durch positives handeln und nicht durch Bestrafung.

    Leistung ist kein Schimpfwort, Leistung ist etwas, was man zu Recht von jedem verlangen kann. Wer leistet, der soll deutlich besser da stehen wie wer nicht leistet. Anders funktioniert unser Wohlstand gar nicht.

    • @Hans Dampf:

      Warum sollten denn Privtier & Privatiere nicht so gut da stehen ?



      Da funktioniert der Wohlstand auch meist prächtig.

    • @Hans Dampf:

      Klingt erstmal sehr logisch.



      Was was genau ist "Leistung" oder wer legt das fest?

      Es ist doch offensichtlich abwegig, "Leistung" einfach mit "großes Einkommen" gleichzusetzen, oder?

      Mein Lieblingsbeispiel ist der Kampf gegen die Tabakindustrie: Auf meiner Seite haufenweise ehrenamtlich engagierte Leute, auf der Gegenseite gut bezahlte und völlig skrupelose Lobbyisten, die über Leichen gehen und gigantische volkswirtschaftliche Schäden verursachen.

      Wer "leistet" mehr - oder wer "schafft Wohlstand" (und wer vernichtet Wohlstand)?

      • @Eric Manneschmidt:

        Leistung ist für mich, wenn man einer Arbeit willentlich und motiviert nachgeht. Es hat erst einmal gar nichts mit einer Gehaltsgruppe oder einem Titel zu tun. Ein Müllmann ist genau so ein Leistungsträger wie eine Reinigungskraft oder ein motivierter Handwerker oder Ingenieur.



        Die Leistung eines Müllmanns und einer Reinigungskraft schafft auch Wohlstand, ist auch ein ehrwürdiger Beruf, genießt zumindest bei mir den vollen Respekt.

    • @Hans Dampf:

      Ob Ihnen da wohl jeder freischaffende Künstler Applaus zukommen läßt ?

      • @Alex_der_Wunderer:

        "Jeder" sicher nicht.

  • Welchen Sinn machen Wahlprogramme noch.



    wenn sich eh keiner daran halten will?



    Im Koalitionsvertrag stand "die Schuldenbremse ist einzuhalten", aber SPD und Grüne forderten genau diese aufzulösen. Deshalb zerbrach die Ampel. Wenn schon der Koalitionsvertrag nicht mehr bindend ist, wie sollte dann ein Wahlprogramm noch glaubhaft sein.



    P.S.: Dieser Kommentar war weder ein Ja noch ein Nein zur Schuldenbremse!

    • @Hans Dampf:

      "Im Koalitionsvertrag stand "die Schuldenbremse ist einzuhalten", aber SPD und Grüne forderten genau diese aufzulösen. ."



      Eyh, Hans Dumpf, das war vor/während Corona und vor dem Ukraine-Krieg.



      Und siehe da: @Hans Dampf lebt noch.



      Freue mich. Über jeden, der diese Scheiße überlebt hat.

      • @LeKikerikrit:

        Etwas kruder Kommentar, finden sie nicht?