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Debatte um Antibiotika für TiereWaldi muss nicht sterben

Jost Maurin
Kommentar von Jost Maurin

Für den Menschen wichtige Antibiotika werden auch Tieren gegeben. Diese Praxis muss ein Ende haben – denn sie kostet Menschenleben.

Massenstall für Masthähnchen: Die meisten Antibiotika werden Tieren verabreicht Foto: Blickwinkel/imago

S tudien zufolge kommen in Deutschland jährlich etwa 2.400 Menschen ums Leben, weil sie sich mit einem gegen Antibiotika resistenten Keim infiziert haben. Diese Zahl zu senken, sollte oberste Priorität haben, wenn das EU-Parlament bald über schärfere Regeln für die Gabe solcher Medikamente an Tiere entscheidet.

Denn krankmachende Bakterien passen sich nicht nur in der Humanmedizin an Antibiotika an, sondern auch in den heute üblichen Massenställen. Zum Beispiel über das Fleisch der Tiere können sie dann auf Menschen übertragen werden.

Deshalb ist es nicht hinnehmbar, dass die meisten Antibiotika nicht Menschen, sondern Tieren gegeben werden. Und das auch noch oft in verantwortungsloser Art und Weise: Die Präparate werden zum Beispiel 40.000 Hühnern ins Wasser gemischt, obwohl nur einzelne Tiere erkrankt sind – weil es zu aufwändig wäre, die kranken Tiere vom Rest der Herde zu trennen und zu behandeln.

Es ist daher nur konsequent, dass der Umweltausschuss des EU-Parlaments nun zumindest die laut Weltgesundheitsorganisation für Menschen wichtigsten Antibiotika („Reserveantibiotika“) grundsätzlich aus den Ställen verbannen will. Anders als manche Tierärzte behaupten, muss Dackel Waldi dann nicht sterben, wenn er krank ist. Denn der Ausschuss sieht Ausnahmen für die Einzeltierbehandlung vor. Ja, dafür muss die EU-Tierarzneimittelverordnung geändert werden. Aber das ist möglich – die angeblich so schwerfällige EU hat schließlich schon mehrmals binnen weniger Monate Gesetze geändert.

Helfen würde Unterstützung etwa von Veterinären. Doch der Bundesverband praktizierender Tierärzte mobilisiert dafür, dass Reserveantibiotika weiterhin allen Tieren gegeben werden dürfen. Das verwundert nicht, da Veterinäre in Deutschland Antibiotika nicht nur verschreiben, sondern auch selbst verkaufen. Sie fürchten um einen Großteil ihres Umsatzes. Setzten sie sich nun im Plenum des EU-Parlaments durch, bliebe alles beim Alten: ihre Einnahmen – und die Todeszahlen.

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Jost Maurin
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1974. Er schreibt vor allem zu Ernährungsfragen – etwa über Agrarpolitik, Gentechnik, Pestizide, Verbraucherschutz und die Lebensmittelindustrie. 2022 nominiert für den Deutschen Reporter:innen-Preis 2022 in der Kategorie Essay, 2018, 2017 und 2014 Journalistenpreis "Grüne Reportage". 2015 "Bester Zweiter" beim Deutschen Journalistenpreis. 2013 nominiert für den "Langen Atem". Bevor er zur taz kam, war er Redakteur bei der Nachrichtenagentur Reuters und Volontär bei der Süddeutschen Zeitung.
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5 Kommentare

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  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    "Für den Menschen wichtige Antibiotika werden auch Tieren gegeben. Diese Praxis muss ein Ende haben – denn sie kostet Menschenleben."

    Völlig richtig. Damit wäre die Massentierhaltung auch beendet.

  • Der Einsatz von Antibiotika in der Veterinärmedizin ist deutlich zurückgegangen und bei zur Lebensmittelerzeugung genutzten Tieren erstmals geringer als beim Menschen. Dies geht aus dem neuesten Bericht hervor, den die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) und das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) veröffentlicht haben.



    Wenn nur wenige Hühner oder Puten erkrankt sind, dann werden die Tiere in ein Krankenabteil verbracht und dort behandelt. Kein Landwirt akzeptiert eine teuere Bestandsbehandlung, wenn nur wenige Tiere erkrankt sind.

    In der Veterinärmedizin machen die Reserveantibiotika rund 5% des Verordnungsvolumens aus. In der Humanmedizin 50%. Siehe hier:



    www.aok-bv.de/pres...0/index_23897.html

  • "Und das auch noch oft in verantwortungsloser Art und Weise: Die Präparate werden zum Beispiel 40.000 Hühnern ins Wasser gemischt, obwohl nur einzelne Tiere erkrankt sind [...]"

    Das kann nicht stark genug betont werden: das ist *genau* das Problem.

    Ein gesunder Organismus (ob Tier oder Mensch) kommt halwegs mit Bakterien zurecht -- das ist der Job des Immnsystems. Und zwar egal, ob die Resistenzen gegen Antibiotika haben oder nicht.

    Erst bei einer Schwächung des Immunsystems (wenn Sie im Krankenhaus sind haben Sie vielleicht so etwas) oder bei ungünstigen Umweltbedingungen (Massentierhaltung vielleicht?) klappt das nicht so optimal.

    Deshalb werden gerne bei der Massentierhaltung prophylaktisch (vorsorglich) Antibiotika verabreicht.

    Was Sie bei einer Anlage mit 40000 Hühnern erhalten ist ein Bioreaktor zur Selektion und Züchtung antibiotikaresistenter Keime.

    Aus purer Habgier.

    So viel essen kann ich nicht undsoweiter undsofort.

    • @tomás zerolo:

      Bestimmte bakterielle Erreger produzieren dramatische und tödliche Krankheitsverläufe. Denken Sie an die Hasenpest. Obwohl die Hasen in freier Natur - sprich keine Massentierhaltung - leben, verrecken die Hasen elendig. Oder denken Sie an die Brucellose, die in Afrika ganze Zebra-Herden dezimiert.

  • Zur Mortalität, die nur epidemiologisch als Rechengröße existiert, weil Obduktionen zu Qualitätssicherung ausbleiben, tritt die Morbidität hinzu, oft mit langen Krankheitsverläufen oder gar Immobilität, Invalidität, ruiniertem Leben. Ein überregionales (EU-)Register wie das der Deutschen PathologInnen für Covid-19 wäre ein Schlüssel für den Zugang zu validem Zahlenmaterial bei problematischen Resistenzen, quasi als Monitoring. Selbst die gesetzliche Verpflichtung zur Meldung von Krebserkrankungen hat aber noch wenig "heilsamen Refund". Studien sind erforderlich, Sanktionen aber wohl auch. Und: Wirksam ist Zusammenarbeit, wie bei der MRSA- Bekämpfung in der Modellregion "deutsch-niederländisches Grenzgebiet". Med. Hygiene, Mikrobiologie und Pharmakologie könnten reüssieren vom Boom, der durch die Pandemie im Sektor Wissenschaft und Forschung ausgelöst wurde. Die Schatulle der zuständigen MinisterInnen sollte hier offen bleiben, es sind wirkmächtige Investitionen möglich. EHEC ist noch in Erinnerung, oder?