Debatte über sexistische Songtexte: Mordballaden und Gewaltfantasien
In Großbritannien wird debattiert, warum auch Frauen frauenverachtende Songs gut finden können. Leicht zu beantworten ist das nicht.
Warum lieben Frauen ausgerechnet diejenigen Männer und ihre Musik, die sie, im günstigsten Fall, wie ein heißes Sexsymbol behandeln und im weniger günstigen Fall wie ein bescheuertes Spielzeug?“ Fragt die Autorin Manon Steiner in dem Buch, das so heißt wie einer der vielen Songs der Rolling Stones, in denen Frauen wie ein bescheuertes Spielzeug behandelt werden: „Unter meinem Daumen / Das süßeste Haustier der Welt / Unter meinem Daumen / Das Mädchen, das mich einst untergekriegt hat“, singt Mick Jagger 1966 in „Under My Thumb“. Einer von diesen „Songs that hate women and the women who love them“, so der Untertitel des Buches.
An dieser Versuchsanordnung arbeiten sich 29 Autorinnen aus England und Nordamerika ab, alle verstehen sich als Feministinnen. „Die Haltung von Frauen zur Musik ist anders als bei Männern. Unsere Perspektive wird vernachlässigt, weil es im Musikjournalismus viel zu wenige Frauen gibt“, sagt die Herausgeberin Rhian E. Jones, ihre Kollegin Eli Davies ergänzt: „Was tust du, wenn du einen Künstler liebst, aber gleichzeitig weißt, dass es diese beunruhigende Seite an ihm gibt?“
In autobiografischen Texten geht es um frauenverachtende Songs von Elvis Costello, Bob Dylan und AC/DC, auch um Nick Caves Mörderballaden, bei denen ewig die Frauen ins Gras beißen. Okay, weiße, alte Männer, so what? Aber die Autorinnen schauen auch in die Gegenwart: Gothic, Emo, Metal. Und auf Jay Z, reichster Mann im Hip-Hop und Gatte von Beyoncé.
„Ich schlage sie, ich ficke sie, ich liebe sie, ich verlasse sie, weil ich sie verdammt noch mal nicht brauche.“ So brüstet sich Jay Z in „Big Pimpin'“, „einer der ätzendsten frauenverachtenden Songs der jüngeren Vergangenheit. Aber trotzdem werde ich nicht müde, ihn immer wieder zu hören“. Schreibt Amanda Barokh in „Under My Thumb“ (Repeater-Verlag, 400 Seiten, etwa 9,18 Pfund). Ihr Vater stammt aus dem Iran, die kleine Amanda schämt sich vor ihren weißen Freundinnen, wenn er zu arabischer Musik lauthals mitsingt.
Aus der Rolle des Mannes ein Gefühl von Macht
Ein Gefühl, das häufig zur Sprache kommt: Scham. „Damals hat das kleine braune Kind das nicht verstanden, aber es hat sich geschämt, braun zu sein.“ Die als „arabisch“ codierte Musik markiert Amandas Andersartigkeit. Jahre später hört sie den misogynen Hit von Jay Z wieder: „Der Sound brachte meine Kindheit zurück, gesampelt wird ein alter ägyptischer Song von Abdel Halim Hafez. Bei Jay Z klangen die pathetischen Flöten aus der fernen Kultur meines Vaters nicht mehr fremd und peinlich. Sondern magisch! Wenn arabische Musik cool genug für Jay Z war, dann war sie auch cool genug für mich.“
Dank „Big Pimpin“ fühlt sich Amanda Barokh wohler in ihrer Haut. „Dann kam der 11. September.“ George Bush erfindet die Achse des Bösen, und Amanda wird kleinlaut, wenn sie gefragt wird, woher ihre exotische Schönheit komme. Brasilien? „Ähm, aus dem Irak.“ Jahre später zaubert die Shuffle-Funktion „Big Pimpin“ auf ihren Kopfhörer. „Ich hatte immer behauptet, den Song nicht zu mögen wegen des sexistischen Textes, aber irgendwie war er in meiner iTunes-Bibliothek gelandet. Hmm. Der Text ist äußerst brutal. Ich habe mir vorgestellt, ich wäre keine Frau, sondern der Protagonist des Songs. Plötzlich bekam ich das Gefühl von Macht.“
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Am Ende entdeckt Barokh hinter der Macho-Pose von Jay Z seine Verletzlichkeit: „In unserer patriarchalen, kapitalistischen Gesellschaft sind wir alle Opfer von Machtstrukturen, und die müssen wir bekämpfen.“
Barokhs Text beschreibt fast schon zu mustergültig, wie kompliziert das Leben ist, für die Tochter eines irakischen Vaters in England, die sich ihrer braunen Haut schämt, Hip-Hop liebt, durch einen Jay-Z-Song ermutigt wird, sich der arabischen Kultur nicht mehr zu schämen. Und ausgerechnet in diesem Song werden Frauen behandelt wie Dreck.
Stichwort Intersektionalität
Auch andere Autorinnen erzählen von ihrer Zerrissenheit, sagt die Herausgeberin Rhian E. Jones: „Als Feministin aus der Arbeiterklasse bin ich mir bewusst über die Spannungen zwischen Gender-Politik und Klassen-Politik. Der liberale Mittelklasse-Feminismus ignoriert oft Klasse und Race. Die intersektionale Erfahrung ist für viele eine alltägliche Realität und keine abstrakte, importierte Theorie, für die du dich mal eben entscheidest.“
Die spartenübergreifenden Erfahrungen spiegeln sich wider im intersektionalen Feminismus. Ein umkämpfter Begriff. Seine Gegner*innen werfen dem intersektionalen Feminismus realitätsferne Sprechverbote vor, seine Protagonist*innen sind schnell mit Rassismusvorwürfen bei der Hand. In diesem aufgeheizten Klima könnte das Buch „Under My Thumb“ Fronten aufbrechen. Das Wort intersectional taucht auf gut 300 Seiten ganze drei Mal auf, aber, so Rhian E. Jones: „Intersektionalität ist ein heimliches Thema des Buches.“
Viele Autorinnen sprechen aus einer gleichsam organischen Intersektionalität, weil sie mit vielfältigen Diskriminierungen aufgewachsen sind. Zumal im British Empire, wo das Erbe des Kolonialismus und eine rigide Klassengesellschaft andere, sichtbarere Machtstrukturen generiert haben als in Deutschland. So hat die Musik aus den ehemaligen Kolonien in der Karibik im britischen Pop der vergangenen 50, 60 Jahre eine viel größere Präsenz und Akzeptanz als, sagen wir, die Musik, die sogenannte Gastarbeiter aus der Türkei nach Almanya importiert haben.
Auf den Vorwurf, intersektionaler Feminismus sei eine elitäre Kopfgeburt, erwidert Eli Davies: „Elitär ist, wenn Gegner der Intersektionalität behaupten, Intersektionalität sei elitär.“
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