Debatte über Pränataltests im Bundestag: Fortschritt oder „Selektion“?
Seit 2022 ist der Test auf mögliche Trisomien für Schwangere Kassenleistung. Bundestagsabgeordnete wollen das nun überprüfen lassen.
NIPT können in einem frühen Stadium der Schwangerschaft durch eine einfache Blutentnahme Hinweise auf eine genetische Anomalie des Fötus geben. Die Bekannteste ist Trisomie 21, auch bekannt als Downsyndrom. Allerdings gibt es auch andere genetische Fehlbildungen wie Trisomie 13 und 18, die zu deutlich schwereren Beeinträchtigungen führen. Seit 2022 werden die Kosten eines NIPT von der Krankenkasse übernommen. Seitdem ist die Zahl der Schwangeren, die den Test durchführen lassen, deutlich gestiegen.
„NIPT als Kassenleistung ist ein humanitärer Rückschritt“, sagte der Abgeordnete Hubert Hüppe der taz. Der Test wirke der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen entgegen und führe zu mehr Abtreibungen ungeborener Kinder mit Behinderungen. „Der Test dient nicht der Therapie, sondern der Selektion“, so Hüppe. Der Status als Kassenleistung verleihe NIPT ein besseres Image. Frauen, die ihn ablehnten, gerieten aber unter weiteren Rechtfertigungsdruck, so Hüppe.
Die Antragsteller:innen behaupten einen Zusammenhang zwischen dem Einsatz von NIPT und der gestiegenen Anzahl von Spätabbrüchen. Statistische Belege gibt es dafür keine. Die Spätabbrüche sind in Deutschland im gesamten Zeitraum 2012 bis 2022 kontinuierlich angestiegen, also auch, bevor der NIPT kostenlos wurde.
Keine klaren Richtlinien
Der Test wird auch deswegen häufiger durchgeführt, weil unklar geregelt ist, wann er eingesetzt werden sollte. Als der NIPT 2022 Kassenleistung wurde, hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) dafür keine klaren Richtlinien festgelegt. Medizinische Studien haben ergeben, dass ein NIPT für jüngere Schwangere nicht allgemein sinnvoll ist, weil es dann eine höhere Chance gibt, dass der Test falsch positiv ist.
Die fehlende Festlegung lässt einen großen Handlungsspielraum für Gynäkolog:innen. Um sich rechtlich abzusichern, führen viele den Test in Situationen durch, in denen er medizinisch nicht unbedingt notwendig ist. Auch aus Sicht der Schwangeren bleibt durch diese Regelung eine Unsicherheit.
Der Antrag der Abgeordneten kritisiert das und verweist auf eine Umfrage, nach der etwa 30 Prozent der Frauen die Informationen, die sie von den Krankenkassen über den Test bekommen, als klare Empfehlung zur Durchführung des Bluttests verstehen würden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!