Pränatale Diagnostik: Tests testen lassen

Schwangere können ihr Ungeborenes seit 2022 kostenlos auf Trisomien testen. Das soll riskantere Untersuchungen vermeiden – bisher mit wenig Erfolg.

Eine Medizinisch Technische Assistentin schaut sich eine Blutprobe in einem Reagenzglas mit an, Archivfoto

Fehlende Gewissheit: Die Fehlerquote liegt bei NIPTs bei etwa 30 Prozent Foto: Patrick Seeger/dpa/picture alliance

BREMEN taz | Es klang fortschrittlich, was Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, damals gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, im April 2019 in einer Parlamentsdebatte versprochen hatte: Keine Schwangere, die sicher ausschließen will, ein Kind mit Trisomie 21 („Downsyndrom“) zu bekommen, müsse in Zukunft aus Kostengründen eine „gefährliche“ Fruchtwasseruntersuchung machen lassen. Möglich wäre das, wenn die gesetzlichen Krankenversicherungen die Kosten für den sogenannten nichtinvasiven Pränataltest (NIPT) übernehmen. Das ist seit 2022 der Fall. Zuvor mussten Schwangere den Test selbst bezahlen.

Ob Lauterbach mit seinem Versprechen recht behalten hat, müsse die Bundesregierung evaluieren, heißt es in einem Antrag Bremens an den Bundesrat. Dieser soll am Freitag über den Antrag abstimmen. Dass über die Tests diskutiert wird, ist wichtig. Denn eine taz-Recherche zeigt: Die Tests werden nicht so eingesetzt wie ursprünglich gedacht. Sie ersetzen die riskanteren Fruchtwasseruntersuchungen nicht unbedingt, sondern im Gegenteil, sie provozieren sie.

Bei dem NIPT, der seit 2012 für den deutschen Markt zugelassen ist, wird ab der zehnten Schwangerschaftswoche das Blut der Schwangeren untersucht. Mit fast 100-prozentiger Sicherheit lassen sich die Trisomien 13, 18 und 21, bei denen Chromosomensätze drei- statt zweifach vorliegen, ausschließen. Diese können zu unterschiedlich schweren Fehlbildungen führen.

Dass der Test eine Kassenleistung ist, hat nicht das Parlament entschieden, sondern der für solche Fragen verantwortliche Gemeinsame Bundesausschuss aus Krankenkassen und Kas­sen­ärz­t:in­nen. Das war fünf Monate nach der parlamentarischen „Orientierungsdebatte“ im Jahr 2019.

Die Befürchtungen treffen zu

Der Antrag aus Bremen geht zurück auf das Protokoll eines Fachaustauschs, initiiert von dem Bremer Landesbehindertenbeauftragen und der Landesfrauenbeauftragten. In ihm wird die Bundesregierung gebeten, ein Monitoring zur Inanspruchnahme des Tests und den Konsequenzen daraus einzurichten sowie ein Expertengremium zu „rechtlichen, ethischen und gesundheitspolitischen Grundlagen der Kassenzulassung des NIPT“ zu berufen. Die Länderkammer wird dem am heutigen Freitag voraussichtlich zustimmen, nachdem dies von zwei Fachausschüssen des Bundesrats empfohlen wurde.

Die taz-Recherche zeigt, dass einige der in dem Antrag genannten Befürchtungen zutreffen. So hatten bereits im Vorfeld der Entscheidung Me­di­zi­ne­r:in­nen davor gewarnt, der Test könne wie eine Reihenuntersuchung bei fast allen Schwangeren eingesetzt werden. Tatsächlich kommt der NIPT nach den der taz exklusiv vorliegenden Zahlen derzeit in jeder dritten bis vierten Schwangerschaft – die nicht zu einem frühen Zeitpunkt abgebrochen wird – zur Anwendung, Tendenz steigend.

Grundlage für diese grobe Schätzung sind Abrechnungsdaten aller 17 kassenärztlichen Vereinigungen – in Nordrhein-Westfalen gibt es zwei –, die der taz mitgeteilt haben, wie oft in ihrem Bereich der NIPT Trisomien abgerechnet wurde. Im dritten Quartal 2022, dem ersten nach Kassenzulassung, war dies deutschlandweit 51.367-mal der Fall, im vierten Quartal 2022 schon 60.081-mal. Auch der GKV-Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen hatte parallel zur taz die Daten abgefragt und gibt auf Anfrage etwas höhere Werte an. Die Differenz kann mit einem unterschiedlichen Abfragezeitpunkt zu tun haben.

Aussagen auf Länderebene lassen sich nicht treffen, da es nur wenige Labore in Deutschland gibt, die den Test auswerten. Nur sie beziehungsweise ihre Ärz­t:in­nen können mit den Kassen abrechnen. Aus dem Bundesland mit dem größten Labor, in dem bisher ein Drittel aller Tests ausgewertet wurden, liegen der taz Daten für das erste Quartal 2023 vor. Diese zeigen eine weitere Zunahme, allerdings nicht so stark wie zuvor.

Die Häufigkeit lässt sich errechnen, wenn man die Tests – umgerechnet etwa 250.000 im Jahr – ins Verhältnis zu den Geburten setzt: 739.000 Kinder wurden im Jahr 2022 geboren, die Daten des Statistischen Bundesamts für das erste Quartal 2023 zeigen, dass es in diesem Jahr weniger sein werden. Das ist nicht gleichzusetzen mit allen Schwangerschaften – aufgrund von Mehrlingsgeburten und frühen Fehlgeburten. Andererseits sind 10 Prozent aller Pa­ti­en­t:in­nen in Deutschland privat versichert, deren Tests müssten noch einmal hinzugerechnet werden. Es spricht daher einiges dafür, dass eher eine von drei als eine von vier Schwangeren den Test macht.

Das Problem ist dabei weniger, dass viele Frauen vor der Geburt wissen wollen, ob sie ein Kind mit Downsyndrom erwarten, der häufigsten Chromosomenstörung. Durchschnittlich 0,2 Prozent aller Föten weisen diese Fehlbildung auf, nach der seit Langem in der Schwangerenvorsorge gesucht wird. Ob ein entsprechender Befund automatisch zum Schwangerschaftsabbruch führt, wie es der Bremer Antrag nahelegt, lässt sich für Deutschland nicht überprüfen.

Anders als etwa in Dänemark gibt es kein bundesweites Fehlbildungsregister. Nach Daten des Landes Sachsen-Anhalt wurde das Downsyndrom im Jahr 2021 35-mal nachgewiesen, in 19 Fällen wurde die Schwangerschaft abgebrochen. In Dänemark halbierte sich nach Testeinführung im Jahr 2004 die Zahl der jährlich mit dem Downsyndrom geborenen Kinder von durchschnittlich 10 auf 5 pro 10.000 Lebendgeburten.

Die Gefahr einer massenhaften Anwendung des NIPT liegt an anderer Stelle: der hohen Falsch-positiv-Rate. Das bedeutet, dass der Test in 30 Prozent der Fälle eine Trisomie falsch erkennt, bei jüngeren Frauen noch häufiger. Das ist keine neue Erkenntnis, wie der Bundesratsantrag nahelegt, sondern lange bekannt. Prä­na­ta­l­me­di­zi­ne­r:in­nen – auf die Diagnose von fetalen Fehlbildungen spezialisierte Gy­nä­ko­lo­g:in­nen – hatten darauf erfolglos hingewiesen.

Sie hatten gefordert, die Kostenübernahme davon abhängig zu machen, ob es Grund zu der Annahme gibt, dass eine Trisomie vorliegt, etwa ein höheres Alter der Schwangeren oder ein auffälliger Ultraschallbefund. So eingesetzt, als Diagnoseinstrument, könnte der Test eine invasive, mit Risiken behaftete Untersuchung ersetzen und wäre tatsächlich „schlicht und ergreifend viel besser“, wie Lauterbach es 2019 formuliert hatte. Stattdessen ist die Entscheidung der Schwangeren überlassen, ob sie den Test will oder nicht.

Die Bremer Antragsteller warnen davor, dass Frauen jetzt Schwangerschaften aufgrund eines positiven NIPT abbrechen lassen, ohne sich mit weiterer Diagnostik zu vergewissern, dass das Ergebnis stimmt. Belege dafür gibt es keine. Aus den Daten des Statistischen Bundesamts lässt sich kein Zusammenhang zwischen der Einführung des NIPT und einer Zunahme an Schwangerschaftsabbrüchen herauslesen. Denn diese sind zwar im vergangenen Jahr deutlich angestiegen – aber das gilt auch für die Quartale vor der Kassenzulassung.

Es scheint sich eher zu bewahrheiten, was Prä­na­ta­l­me­di­zi­ne­r:in­nen bereits im März der taz gesagt hatten und jetzt in ihren Praxen erleben: Sie führen einen hohen Anteil invasiver Untersuchungen aufgrund eines positiven NIPT durch. Dabei wird über eine Hohlnadel durch die Bauchdecke Fruchtwasser oder Plazentagewebe entnommen. Das Fehlgeburtsrisiko liegt laut jüngeren Studien bei unter 0,5 Prozent.

Tests sinnvoller nutzen

Die Gesamtzahl dieser Untersuchungen ist zwar leicht gesunken, wie aus weiteren, der taz vorliegenden Abrechnungsdaten der kassenärztlichen Vereinigungen* hervorgeht: So gab es im zweiten Halbjahr 2022 9,1 Prozent weniger Fruchtwasser- und 13,7 Prozent weniger Plazentauntersuchungen als im Vorjahreszeitraum. Als Erfolg ließe sich das aber kaum verkaufen, wenn man bedenkt, dass der NIPT diese Diagnosemethoden überflüssig machen sollte, sagt Jochen Frenzel vom Berufsverband der Frauenärzte.

Den auch im Bundesratsantrag geäußerten Verdacht, er und seine Kol­le­g:in­nen würden die Schwangeren schlecht beraten oder ihnen sogar den Test empfehlen, weist er zurück. Viermal fünf Minuten könnten die Gy­nä­ko­lo­g:in­nen für die Beratung abrechnen – in dieser Zeit sei es kaum möglich, umfassend über Vor- und Nachteile aufzuklären. Die Verantwortung für Fehlentwicklungen liege nicht bei den Ärz­t:in­nen oder den Schwangeren, sondern dem Gemeinsamen Bundesausschuss. „Der hat hier einfach versagt.“

Der Berufsverband niedergelassener Prä­na­ta­l­me­di­zi­ne­r:in­nen geht davon aus, dass die Testhäufigkeit nach der ersten Anlaufphase weiter ansteigen wird, wie er der taz in einer Stellungnahme schreibt. Und: Sinnvoll genutzt werden könnte der Test nur in Verbindung mit einem speziellen Ultraschall im ersten Trimester – also wenn dieser eine Auffälligkeit gezeigt hat. Dieser könnte auch andere Fehlbildungen erkennen – nur 5 bis 10 Prozent von ihnen werden von Chromosomenstörungen ausgelöst. Aber dieses sogenannte Ersttrimester-Screening ist keine Kassenleistung.

*ohne Mecklenburg-Vorpommern

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