Debatte über Gentechnik bei Pflanzen: „Hersteller werden damit werben“
Sollen Gentechnik-Pflanzen auf den Teller kommen, ohne dass Verbraucher es merken? Bayer-Lobbyist Berninger und Bioland-Chef Plagge sind uneins. Ein Streitgespräch.
taz: Herr Berninger, Bayer hat den Vorschlag der EU-Kommission begrüßt, dass die meisten Pflanzen der neuen Gentechnikmethoden wie Crispr/Cas nicht mehr auf Lebensmittelverpackungen gekennzeichnet werden müssen. Wollen Sie den VerbraucherInnen Gentech-Pflanzen auf den Teller schmuggeln?
Matthias Berninger: Nein, überhaupt nicht. Wir reden ja von zwei unterschiedlichen Gentechnikgenerationen. Bei der Gentechnik, die seit 1996 auf dem Markt ist, geht es um sogenannte transgene Pflanzen, die auch Gene einer anderen Art beinhalten können. Jetzt reden wir darüber, dass wir im Rahmen des bestehenden Genoms einer Pflanze die Züchtung effektiver gestalten. Da wird sich die neue Methode einreihen in die Methoden, die sich schon heute – um bei Ihren Worten zu bleiben – auf den Teller der Verbraucherinnen und Verbraucher schleichen: nämlich in die Veränderungen des Genpools bei Pflanzen, die mithilfe der Mutagenese durch Radioaktivität oder mit genotoxischen Chemikalien erzeugt werden.
Herr Plagge, werden Verbraucher gentechnisch veränderte Pflanzen ohne Kennzeichnung noch vermeiden können, falls sie nicht auf die teuren Bioprodukte ausweichen wollen?
Plagge: Wie die EU-Kommission für eine echte Wahlfreiheit beim Verbraucher sorgen will, das hat sie völlig unzureichend beschrieben. Außer, dass der Einsatz auch dieser neuen Gentechniken im Ökolandbau unzulässig ist. Für die konventionellen Kollegen, die derzeit gentechnikfreie Lebensmittel anbieten und ja auch sehr erfolgreich in Europa vermarkten, wird das in der Tat ziemlich schwierig werden, sollte der Gesetzesvorschlag so bleiben.
Herr Berninger, die Saatguthersteller sollen nach diesem Vorschlag nicht mehr Nachweisverfahren liefern für Pflanzen, die mit der neuen Gentechnik erzeugt worden sind. Könnte man diese Pflanzen im Labor noch erkennen?
Berninger: Nein, das kann man in der Tat nicht. Es ist genau das Gleiche wie bei der Mutagenese, dass Sie die Sorten nicht mehr wirklich unterscheiden können. Landwirte werden aber von uns eine klare Kennzeichnung des Saatguts erhalten, die transparent macht, dass diese neuen Methoden hier angewandt wurden. Ich glaube ohnehin, dass wir in der Züchtung viele Vorteile sehen werden, die auch für Verbraucherinnen und Verbraucher am Ende ein Vorteil sind, was Haltbarkeit angeht, was Geschmack, was Nährstoffgehalt angeht. Hersteller werden damit auch werben.
Reform: Die EU-Kommission hat Anfang Juli vorgeschlagen, die Kennzeichnungspflicht für Pflanzen aufzuheben, die mit Hilfe neuer Gentechnik-Methoden wie Crispr/Cas geschaffen worden sind. Auch die Tests auf Gesundheitsrisiken sollen dann weitgehend wegfallen. Denn die neue Gentechnik verspricht Getreide, das besser mit der Klimakrise klarkommt. Doch Umweltschützer warnen: Am Ende könnte es nur noch Sorten geben, die beispielsweise noch mehr Pestizideinsätze ermöglichen und durch Patente die Macht von Konzernen erweitern. Diesen Dienstag wird der Rat der EU-AgrarministerInnen nun das erste Mal über die Vorlage der Kommission sprechen.
Streitgespräch: Berninger und Plagge diskutierten am vergangenen Mittwochabend per Video im taz Talk. Die schriftliche Version hier ist gekürzt und leicht sprachlich bearbeitet. Berninger und Plagge haben ihre Aussagen autorisiert. Die Videoaufzeichnung ist abrufbar unter https://taz.de/Live-Talk-zu-Gentechnik-in-Lebensmitteln/!5948296/
Warum finden Sie es problematisch, dass die Verbraucher erkennen können, dass gentechnisch veränderte Pflanzen in einem Lebensmittel sind?
Berninger: Ich habe überhaupt kein Problem damit, dass man kennzeichnet. Wenn wir analog zu den Kennzeichnungsregelungen im Ökolandbau dann irgendwann ein System haben, das auch auf die Vorteile dieser neuen Züchtungsmethoden hinweist – zum Beispiel, dass dort wesentlich weniger Klimaemissionen mit der Technologie verbunden sind –, können wir da gerne drüber reden. Womit ich ein Problem habe, ist, dass die Kennzeichnung nicht nur als Transparenzinstrument eingesetzt wird, sondern gerne auch als Waffe verwendet wird, mit der man eine Schlüsseltechnologie verteufeln will.
Plagge: Sie sagen immer, wir haben die Wahl zwischen Radioaktivität und Chemie, also der alten Zufallsmutagenese und der präzisen Genschere. Das ist ein Narrativ, das ist konstruiert in irgendwelchen PR-Agenturen, aber das entspricht überhaupt nicht der Realität. Unsere Zuchtgrundlagen basieren nicht auf der Zufallsmutagenese. Die Ökozüchter arbeiten nicht mit diesen Methoden. Wir lehnen auch diese ab.
Der 52-Jährige ist „Senior Vice President Public Affairs, Science & Sustainability“ des Chemiekonzerns Bayer, der seit der Übernahme von Monsanto auch der weltgrößte Saatguthersteller ist. Davor war Berninger Lobbyist für den Schokoriegel- und Lebensmittelkonzern Mars und außerdem lange Zeit Grünen-Spitzenpolitiker, unter anderem 2001 bis 2005 als parlamentarischer Staatssekretär der damaligen grünen Bundesagrarministerin Renate Künast.
Berninger: Ihre Standards verbieten Ihnen ja nicht, dass Sie ein konventionelles Saatgut kaufen, das so hergestellt wurde.
Plagge: Können sie ja gar nicht, weil es dafür keine Regulierung, weder für die Kennzeichnung noch für die Transparenz, gibt. Wir haben jetzt sowohl mit der neuen Ökoverordnung als auch mit Bioland-, Demeter- und anderen Züchtungsrichtlinien klare Leitlinien erstellt. Da sind diese Zufallsmutagenese-Verfahren nicht erlaubt.
Berninger: Sie sagen, dass Sie im Züchtungsbereich weder auf Mutagenese setzen noch auf neue Züchtungstechnologien. Es wäre ja sehr konsequent, wird aber die Zeit noch weiter verlängern, die Sie brauchen, um für die Ökobauern das Saatgut zu liefern, das ihnen ermöglicht, unter den schwierigeren Bedingungen zu produzieren.
Herr Berninger, wo sind denn welche Pflanzen der neuen Gentechnik auf dem Markt, die helfen, die Klimakrise zu bewältigen?
Der 52 Jahre alte Agraringenieur ist Präsident von Bioland, dem mitgliederstärksten deutschen Ökobauernverband. Außerdem ist er Vorsitzender der EU-Gruppe von Ifoam, der Internationalen Vereinigung ökologischer Landbaubewegungen.
Berninger: Nehmen wir eine Pflanze wie den Mais, der erheblich unter Trockenheit und unter extremen Stürmen leidet, weil er dann umknickt. Hier ist es uns gelungen, den Maisstiel so sehr zu verkürzen, dass er Stürmen widersteht und den gleichen oder sogar größere Erträge möglich macht. Darüber hinaus können wir Wurzelsysteme im Mais so verändern, dass der Mais viel tiefer im Boden Wurzeln schlägt und damit auch gegen Trockenheit besser resistent ist.
Aber dieser Mais ist ja nicht auf dem Markt.
Berninger: Nein, der ist in der Gen-Editierungs-Variante deshalb noch nicht auf dem Markt, weil diese Züchtungstechnologien noch relativ neu sind. Aber die Pflanzen werden getestet, die Daten werden gesammelt, und das Beste ist: Die funktionieren, und das kann man manchmal an ganz einfachen Sachen sehen. Man hat also ganz normalen Mais, und dann hat man Kurzhalmmais, und dann ist klar erkennbar, welcher nach einem extremen Sturm noch steht und welcher nicht mehr steht.
Herr Plagge, können wir es uns leisten, auf die neue Gentechnik zu verzichten, wenn wir die Landwirtschaft fit für den Klimawandel machen wollen?
Plagge: Einen Mais kleiner zu züchten, dass er weniger transpiriert in seiner Ertragsbildung oder tiefere Wurzeln bildet, löst unser systemisches Problem mit dem Klimawandel nicht. Das löst auch nicht die Frage, wie ich überhaupt das immer seltener werdende Wasser im Boden speichern kann.
Herr Plagge, warum glauben Sie nicht, dass die Versprechen der neuen Gentechnik eingelöst werden können?
Plagge: Ich glaube, dass das Risiko für die Bauern und auch für die Bürgerinnen viel zu groß ist, sich auf diese Versprechungen zu verlassen, und dass wir überhaupt nicht die Zeit haben, abzuwarten, bis die Konzerne liefern.
Berninger: Worauf wollen wir denn sonst warten? Haben wir denn aktuell eine Lösung? Ist der Ökolandbau die Lösung für die Welternährung?
Plagge: Die Methoden des Ökolandbaus mit seinem systemischen Ansatz sind ein großer Teil der Lösung. Das ist das Thema Boden, Bodenleben, Bodenfruchtbarkeit, ein Boden, der die extremen Witterungsbedingungen aushalten kann. Ich erlebe das in der Diskussion mit den Berufskollegen und auch mit den Politikern, die sagen: In Spanien wird es heiß und trocken, jetzt brauchen wir ganz schnell die neue Gentechnik. Die anderen Maßnahmen werden vernachlässigt: wie ich wegkomme von den immer knapperen, teilweise fossilen Wasserressourcen, wie ich wieder hinkomme, zu einer Bodenfruchtbarkeit, die Wasser länger halten kann, was ich mache mit den Extremwettersituationen. Das scheint noch nicht angekommen zu sein bei Ihnen, Herr Berninger. Sie verkaufen ein Geschäftsmodell, das primär erst mal einem Konzern wie Bayer helfen wird, mit den Investitionen der letzten Jahre und auch denen, die sie jetzt tätigen, Rendite zu erwirtschaften.
Berninger: Das macht Bioland aber auch.
Plagge: Wir haben keine Patente. Bei Bioland und auch im Ökolandbau generell wird Wissen offen geteilt, das sich über Jahrzehnte über Fruchtfolgen, Unkrautregulierung, Pflanzenschutz, Qualitäten, Saaten, Vermehrung und so weiter gebildet hat. Der Ökolandbau steht für einen Open-Source-Ansatz. Unser Geschäftsmodell ist, dass alles frei zugänglich ist und dass wir versuchen, vor allen Dingen auch Landbausysteme zu schaffen, die unabhängig sind von externen Inputs.
Herr Berninger, Pflanzen der neuen Gentechnik können patentiert werden. Andere Züchter können dann diese Pflanzen nicht weiterzüchten ohne Zustimmung des Patentinhabers, also etwa Bayer. Würde diese Patentierung zum Gegenteil dessen führen, was Sie versprochen haben, sodass wir die Pflanzen doch nicht schneller an den Klimawandel anpassen können?
Berninger: Was die Entwicklung dieser neuen Pflanzen angeht, das passiert ja nicht nur in Großkonzernen, sondern auch an Universitäten und in Start-ups, zum Teil mit staatlicher Förderung, zum Teil mit Förderung von Wagniskapital. Wer immer diese Investition macht, der möchte auch Patentschutz haben. Wie gehen wir mit den Patenten um? Die kleineren Züchter in Europa – und wir reden hier von Züchtern mit deutlich zweistelligen Millionenumsätzen – werden Zugang haben. Auch die ärmsten Kleinbauern haben lizenzfreien Zugang zu unseren Innovationen. Wir sind, glaube ich, so offen, wie man sein kann, ohne dass man komplett darauf verzichtet, dass das, was bei uns auch mit viel Geld erforscht wird, dann entsprechend geschützt wird. Wir zahlen übrigens selber auch sehr viel Patentgebühren, gerade an kleinere Start-ups.
Herr Plagge, ist damit das Problem gelöst?
Plagge: Nein, überhaupt nicht. Wenn wir mit den Züchtern sprechen, dann ist genau das die größte Sorge: dass es eben keine Revision der europäischen Biopatentrichtlinie gibt. Es muss ausgeschlossen werden, dass nur ein Eingriff mit Crispr/Cas oder mit anderen Genscheren dafür sorgt, dass ich Eigenschaften, die ich in Wildpflanzen finde und die ich einkreuzen kann, patentieren kann.
Berninger: Ganz so ist es ja auch wieder nicht. Was wir heute feststellen, ist, dass die Biotechnologie sich in vielen Teilen der Welt durchgesetzt hat, nicht weil es böse Patente gibt, sondern weil diese Pflanzen Eigenschaften haben, die sehr viele im Landwirtschaftsbereich auch nachfragen.
Herr Berninger, laut EU-Kommission sind derzeit rund 300 Gentechnikpflanzen für den Import als Lebens- oder Futtermittel zugelassen in der Europäischen Union. Gentechnikpflanzen sind also nicht verboten. Dass sie kaum gegessen werden, liegt also nicht an der Regulierung, oder?
Berninger: Die Europäer haben damals entschieden: Wir verbieten die Gentechnik im Essen. Und dann haben sie eine scheunentorgroße Hintertür offen gelassen, indem die Gentechnik bei den Futtermitteln zugelassen wurde. Wir hatten, was die traditionelle Gentechnik angeht, in Europa basierend auf einer großen gesellschaftlichen Mehrheit eine Haltung, die sie abgelehnt hat. Das verschiebt sich jetzt.
Das stimmt nicht. Die 300 Zulassungen beziehen sich nicht nur auf Futter, sondern das sind auch Lebensmittel.
Berninger: Der Lebensmitteleinzelhandel hat dem Anbau in Europa einen Riegel vorgeschoben und hat die Produkte aus seinen Regalen verbannt.
Herr Plagge, warum brauchen wir eine Risikoprüfung, wo es doch kaum Hinweise dafür gibt, dass Gentechnikpflanzen die Gesundheit gefährden?
Plagge: Eine Risikoprüfung brauchen wir aus meiner Sicht vor allen Dingen, wenn es um das Thema der Resistenzen von Pflanzen gegen Krankheitserreger geht. Das Risiko ist evident vorhanden, dass es zu Resistenzbrüchen kommen kann. Und das muss aus meiner Sicht geprüft werden, ob ich für bestimmte Resistenzen, die so wie im Antibiotikabereich begrenzt vorhanden sind, in bestimmten Anbauregionen zum Beispiel Flächenbegrenzungen erstellen muss. Alle großen Kartoffelzüchtungshäuser sagen: Es braucht unbedingt Anbaubeschränkungen von resistenten oder toleranten Kartoffelsorten. Ihr könnt auf keinen Fall jetzt die neuen Sorten auf all euren Flächen anbauen, weil sonst die Brüche vorprogrammiert sind.
Über die Pläne der EU-Kommission muss ja das EU-Parlament entscheiden und auch der Rat der Mitgliedstaaten. Wie sollte die Bundesregierung abstimmen?
Plagge: Sie sollte erst mal überhaupt abstimmen. Sie sollte sich auf jeden Fall positionieren. Wenn das größte Land und die größte Volkswirtschaft Europas sich nicht positioniert, was sich ja schon in den Vordebatten ein bisschen angebahnt hat, dann wäre das furchtbar. Wie sie sich positionieren sollte? So, wie das zumindest Teile der Bundesregierung schon getan haben: Es muss eine Koexistenz gesichert werden, damit es tatsächlich einen fairen Wettbewerb der unterschiedlichen Systeme geben kann. Dafür brauchen wir Kennzeichnung, Rückverfolgbarkeit, Koexistenzmaßnahmen, noch anders, als sie die EU-Kommission vorgeschlagen hat, und wir brauchen auf jeden Fall parallel eine Lösung für die offene Patentfrage.
Berninger: Ich bin der gleichen Meinung: Enthaltung ist keine Haltung. Die Bundesregierung sollte eine Position finden. Die Wissenschaftsministerinnen von Baden-Württemberg, Hamburg und auch auf Bundesebene weisen uns den Weg in die Richtung, in die auch die Bundesregierung gehen sollte. Man kann jeden Vorschlag verbessern, das Ziel muss aber sein, dass man diese neuen Innovationen willkommen heißt.
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