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Debatte im Berliner AbgeordnetenhausAbschied vom Rechtsstaat?

Für Grüne und Linke öffnet das neue Polizeigesetz die Tür zum Überwachungsstaat. CDU und SPD hingegen halten erweiterte Kompetenzen für unabdingbar.

Polizeibeamte laufen am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg zu einer Personenüberprüfung, am 10.10.2025 Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Aus Berlin

Stefan Alberti

Überwachungsstaat versus nötige Anpassung an neue Bedrohungen und Möglichkeiten: Weit, sehr weit sind am Donnerstag im Abgeordnetenhaus die Einschätzungen zum überarbeiteten Polizeigesetz auseinandergegangen. Wo die CDU fragte, wer das eigentlich ernstlich ablehnen könne, sahen Grüne und Linkspartei quasi das Tor zur Überwachungshölle geöffnet. Nach kontroverser Debatte ist der seit Monaten diskutierte Gesetzesentwurf nun mit Stimmen von CDU und SPD beschlossen – und jenen der AfD, die sich noch mehr Möglichkeiten zur Kriminalitätsbekämpfung wünschte.

Bei der Neufassung des Polizeigesetzes geht es um erweiterte Befugnisse zur Kommunikationsüberwachung, dauerhafte Videoüberwachung an Orten, die als kriminalitätsbelastet eingestuft sind, den Einsatz künstlicher Intelligenz, längere Speicherung von Videomaterial aus U-Bahnhöfen und größeren Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt. Die Änderungen gegenüber der bisherigen Fassung des Polizeigesetzes, die zum Jahresbeginn 2026 in Kraft treten, umfassen 750 Seiten.

Für Martin Matz, den innenpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, bekommt die Polizei nun „zeitgemäße Instrumente an die Hand, um mit den Aufgaben unserer Zeit umgehen zu können“. Zwei Dinge schloss er für die Arbeit der Berliner Polizei ausdrücklich aus: eine biometrische Fernidentifizierung in Echtzeit und den Einsatz der umstrittenen Ermittlungssoftware Palantir. Letztere ist bei der nordrhein-westfälischen Polizei bereits im Einsatz.

CDU-Innenexperte Burkard Dregger hält moderne Instrumente für unabdingbar, um Gefahren durch Terrorismus und organisierte Kriminalität begegnen zu können. „Wir haben die Pflicht, unsere Demokratie wehrhaft zu machen“, sagte er. Mache man das nicht, werde das Vertrauen in die Demokratie erschüttert.

Innensenatorin Spranger nimmt nicht an Debatte teil

Nicht im Plenarsaal ist bei der Debatte die zuständige Innensenatorin Iris Spranger (SPD), die den Gesetzentwurf bei seiner ersten Lesung im Juli „das sicherheitspolitische Kernstück dieser Koalition“ nannte. Grüne, Linkspartei und AfD kritisieren, dass Spranger stattdessen beim Treffen der 16 Landesinnenminister in Bremen ist. Dort geht es allerdings auch um gewichtige Dinge – und Spranger gilt nicht als eine, die sich vor einer Debatte im Abgeordnetenhaus drücken würde.

An Sprangers Stelle redet Bausenator Christian Gaebler (SPD) für die Landesregierung. Der hat allerdings durchaus eine prägende Verbindung zum Thema Bedrohung: Gaebler war 2016 gerade Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Inneres und Sport geworden, als beim Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz 13 Menschen starben und seine Behörde im Fokus stand.

Die Polizei könne jetzt besser gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität vorgehen, sagte Gaebler, Frauen würden besser vor häuslicher Gewalt geschützt. „Es geht nicht um einen übergriffigen Staat, sondern um den Schutz vor übergriffigen Gewalttätern.“

Heftige Kritik von Grünen und Linkspartei

Die oppositionellen Grünen und Linken folgten dieser Argumentation nicht. Für den Grünen-Abgeordneten Vasili Franco legen CDU und SPD „die Axt an das Prinzip der Verhältnismäßigkeit“. Wer so ein Gesetz beschließe, „der verabschiedet sich vom Rechtsstaat, sagte Franco. Anders als vom SPDler Matz zugesichert, vermutet er, dass die Polizei doch mit der kritisierten Palantir-Software arbeiten könnte. Und sein Kollege Niklas Schrader von der Linkspartei warf der Koalition vor, sie gehe an die Grenzen des verfassungsrechtlich Möglichen „und manchmal auch darüber hinaus“.

Matz hat in seiner Rede zugesichert, dass die Koalition auch nach dem Gesetzesbeschluss an dem Thema dranbleiben will: Man werde schauen, ob die Änderungen als Leitplanken funktionieren oder vielleicht nochmal angepasst werden müssten. „Dann würden wir das auch machen.“

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5 Kommentare

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  • "Wer so ein Gesetz beschließe, „der verabschiedet sich vom Rechtsstaat, sagte Franco"



    Wenn demokratisch gewählte Parteien im Rahmen unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung rechtstaatlich Gesetze verabschieden, ist das also die Verabschiedung vom Rechtsstaat? Seltsame Auffassung von Rechtsstaat. Denke, die Opposition ist der geeignete Ort, darüber nochmals nachzudenken.

  • Wer meint, dass die Kameraüberwachung von öffentlichen Räumen etwas ganz schlimmes sei, soll bitte mal logisch erklären, ob z.B. Norwegen ob der in den dortigen Großstädten völlig üblichen Kameraüberwachung ein faschistoider Polizeistaat ist.

    PS: Ich bin übrigens einer der Rechtsextremisten, die Kameraüberwachung schon für die Verhinderung von Vandalismus für völlig okay halten.

    • @Suryo:

      „Ich bin übrigens einer der Rechtsextremisten, die Kameraüberwachung schon für die Verhinderung von Vandalismus für völlig okay halten."



      Zum Glück gibt es ja auch ergänzend das Vermummungsverbot. Keine Chance mehr für Vandal*innen...

      • @StarKruser:

        Man kann nicht gleichzeitig grün wählen und die extreme Verschmutzung der Umwelt durch Graffitilacke tolerieren.

        • @Suryo:

          Wer toleriert das?