Debatte Vegane Ernährung: Besser Pillen als Schwein
Dass Veganer*innen Vitamin B12 nehmen müssen, ist nicht neu. Wer ständig davon redet, weiß nicht, was bei Tieren so alles in den Trog kommt.
D ie Reaktionen auf das „Positionspapier zur veganen Ernährung“, das die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) vergangene Woche veröffentlichte, waren verwirrend. Die Tierrechtsorganisation Peta zum Beispiel „begrüßt das Positionspapier der DGE als einen Schritt in die richtige Richtung“, weil es sich den veganpositiven Positionen anderer internationaler Institute annähere und die vielen Vorzüge der rein pflanzlichen Kost erwähne.
Auch Jost Maurin von der taz begrüßte das Papier, denn es zeige, „wie unverantwortlich der Medienhype der vergangenen Jahre um die rein pflanzliche Kost war. […] Wer Vitaminpillen schluckt, zum Ernährungsberater geht und regelmäßig seine Blutwerte untersuchen lässt, kann ausschließlich vegan essen und gesund bleiben.“
Diese Diskrepanz ist nicht ganz verwunderlich: Als Tierrechtsorganisation sieht Peta Zeichen für den kommenden Veganismus überall aufdämmern, während taz-Redakteur Maurin eher die Rolle des früheren Elchs übernimmt und in seinen Artikeln gern betont, dass man auch etwas Biofleisch essen solle. Aber was steht nun drin in diesem Positionspapier?
Zunächst sollte man sich daran erinnern, dass auch die Ernährungswissenschaften keine rein „objektive“ Veranstaltung sind, sondern verschiedene Meinungen beherbergen. Die DGE ist für ihre konservative Haltung zum Vegetarismus/Veganismus bekannt. Noch heute (am 17.4.) findet sich auf der DGE-Website eine Info zur veganen Kinder- und Jugendernährung, die wiederholt vegane und makrobiotische Ernährung verwechselt oder zusammenfasst. „Ein Beispiel [für die vegane Ernährung] ist die makrobiotische Ernährungsweise“, heißt es da, und an zentraler Stelle wird eine Studie über makrobiotisch ernährte Kindern in Holland aus den 1980er Jahren erwähnt. Solche Fauxpas stehen einer Einrichtung mit wissenschaftlichem Anspruch nicht gut zu Gesicht.
Das ist nicht neu
Zweitens sollte man, bevor man sich durch die jetzt vorgelegten elf Seiten liest, bereits einiges Vorwissen zu anderen ernährungswissenschaftlichen Themen besitzen, sonst wird man eventuell von der Vielzahl der erwähnten Nährstoffe erschlagen: Calcium, Eisen, Jod, Selen, Folat und wie sie alle heißen. „Meine Güte, brauchen Veganer aber viele Nährstoffe!“, denkt mancher anscheinend. Doch alle Menschen brauchen diese Nährstoffe, und es klingt immer höchst kompliziert, wenn ein*e Ernährungswissenschaftler*in sie alle auflistet. Man schaue sich zum Beispiel mal das DGE-Positionspapier zur Folatversorgung an; dort wird betont, dass Schwangere besonders auf Folsäure achten müssen, es aber meist nicht tun. Aber auch „die Folatzufuhr der Bevölkerung [ist] insgesamt zu niedrig“, was „zum großen Teil am geringen Gemüseverzehr“ liege.
Am Ende bleibt dennoch der Eindruck, dass das DGE-Papier der veganen Ernährung doch sehr skeptisch gegenübersteht. Man rät nicht vehement von ihr ab, sondern gesteht immerhin zu, dass eine vegane Lebensweise unter bestimmten Voraussetzungen gesund sein kann. Und weist darauf hin, dass der kritischste Stoff das Vitamin B12 ist, das in pflanzlicher Nahrung so gut wie nicht vorkommt.
Mit Verlaub, aber das ist nicht neu. Jede*r Veganer*in weiß das und sollte Vitamin B12 supplementieren. Auch dass Hülsenfrüchte besonders viel Protein enthalten, habe ich bereits gelernt, als ich 1982 Vegetarierin wurde; und dass Vollkornprodukte wesentlich besser sind als Weißmehl, sollte jede*r zu beherzigen suchen, der oder die Getreideprodukte zu sich nimmt. Das DGE-Papier betont auch die Bedeutung von hochwertigen Ölen und Nüssen und rekurriert hier auf die Empfehlungen des Instituts für alternative und nachhaltige Ernährung in Gießen. Ich würde raten, sich daher am besten gleich an dessen „Gießener Ernährungspyramide“ nach Leitzmann und Keller zu halten.
Die DGE empfiehlt des Weiteren den Gang zum Ernährungsberater (der vermutlich 99 Prozent der deutschen Bevölkerung gut tun würde) und die Kontrolle bestimmter Blutwerte durch den Arzt (dito). Ob dieser Aufwand das vegane Projekt nun insgesamt fragwürdig macht oder nicht, da bleiben die Verfasser*innen des DGE-Papiers offenbar selbst etwas zwiegespalten. Im abschließenden Teil wird Leser und Leser*in jedenfalls nicht verschwiegen, dass die US-amerikanische Academy of Nutrition and Dietetics, das australische National Health and Medical Research Council, das portugiesische National Programme for the Promotion of a Healthy Diet sowie die Canadian Paediatric Society eine gute vegane Ernährung in allen Lebensphasen für möglich halten.
Festhalten am Euter
Zum Schluss möchte ich noch etwas anmerken zu den „Vitaminpillen“, die wir Veganer*innen nach allseits beliebtem Vorurteil ständig schlucken müssen. Wer so redet, weiß gar nicht, was bei den Tieren in den Ställen alles in den Trog kommt. Um ihre immense Milchleistung erbringen zu können, erhalten Kühe in großen Mengen Futterkalk, aber auch Phosphor; und bei Schweinen, Hühnern und Puten werden fast alle B-Vitamine sowie Vitamin K, A, D, E und weiteres zugefüttert. Es grenzt schon an eine animistische Denkweise, so starrsinnig daran festzuhalten, Calcium partout aus dem Euter einer Kuh und die Vitamine D und B12 auf dem Umweg übers Schwein zu sich nehmen zu wollen.
In der Nationalen Verzehrstudie II aus dem Jahr 2008 gaben 31 Prozent der Frauen und 24 Prozent der Männer an, regelmäßig Nahrungsergänzungspräparate zu sich zu nehmen – das waren garantiert nicht alles Veganer*innen. Auch jodiertes Salz, Vitaminbonbons, Fruchtsäfte mit Eisen oder Calcium und Multivitaminsäfte wurden keineswegs erst für uns erfunden.
Bei Verdacht auf irgendwelche Mängel oder „anfliegende“ Erkältungen Vitamintabletten einzuwerfen, ist Volkssport geworden; viel sinnvoller aber ist es, die eigenen Blutwerte überprüfen zu lassen und gezielt etwas zu sich zu nehmen. Das gilt für alle. Denn jede gesunde Ernährung erfordert etwas Know-how, daran kommen Allesesserinnen genauso wenig vorbei wie Veganer.
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