Debatte Strafrecht bei V-Leuten: Spitzel über dem Gesetz
V-Leute sollen künftig sanktionslos Straftaten begehen dürfen. Das ist ein völlig unnötiger Vertrauensbeweis für die Geheimdienste.
Heil Hitler“, rufen zehn Nazis, als sie sich dem dunkelhäutigen Mann an der Bushaltestelle nähern. Als er ihren Gruß nicht erwidert, schubsen sie ihn so lange, bis er stolpert und sich verletzt. Alle zehn Nazis werden von der Polizei erwischt, aber nur neun werden bestraft. Der zehnte bleibt für die gleichen Taten straffrei. Denn er war ein V-Mann des Bundesamts für Verfassungsschutz. Das „V“ steht für Verbindung und Vertrauen.
Das wäre die verstörende Folge eines Gesetzentwurfs der Bundesregierung, mit dem gesetzliche Regeln für die Arbeit von V-Leuten aufgestellt werden. Die bemerkenswerteste Neuerung: Spitzel dürfen künftig bestimmte Straftaten verüben, ohne eine Strafverfolgung befürchten zu müssen.
Konkret geht es um zwei Mechanismen: V-Leute und verdeckte Ermittler sollen stets straffrei bleiben, wenn sie milieuspezifische Taten begehen (etwa den Hitler-Gruß zeigen) oder wenn sie Mitglied in einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung sind. Dagegen bleiben Delikte gegen individuelle Rechtsgüter – etwa Körperverletzung, Sachbeschädigung und Beleidigung – grundsätzlich strafbar. Allerdings sollen solche Verfahren gegen V-Leute und verdeckte Ermittler jederzeit eingestellt werden können, wenn nicht mehr als ein Jahr Strafe zu erwarten ist.
Die Logik des Gesetzentwurfs: Wenn sich in einer Gruppe von Extremisten alle vermummen, dann muss sich auch der V-Mann vermummen, damit er nicht auffällt. Und wenn alle zuschlagen, dann muss auch der V-Mann zuschlagen. Delikte, die dem Schutz vor Enttarnung dienen, sollen tendenziell nicht bestraft werden.
Im Bundestag fehlt jedes Problembewusstsein
Das Gesetz soll für alle Geheimdienste des Bundes gelten, also für das Bundesamt für Verfassungsschutz, den Militärischen Abschirmdienst und auch für den derzeit hoch umstrittenen BND. Der Bundestag hat den Gesetzentwurf Ende April bereits zum ersten Mal beraten. Den Koalitionsfraktionen fehlte aber noch jedes Problembewusstsein.
Dass ein derartiger Vorschlag nach dem NSU-Desaster des Verfassungsschutzes präsentiert wird, erstaunt. Eigentlich wollte die Regierung die V-Leute enger an die Kette nehmen, doch stattdessen bekommen sie jetzt sogar eine Art Freibrief für Straftaten. Die Spitzel sollen künftig ein Stück weit über dem Gesetz stehen. Ein völlig unnötiger Vertrauensbeweis für die Geheimdienste und ihre Zuträger. Denn die geplante Vergünstigung ist weder notwendig noch sinnvoll.
V-Leute, die dem Verfassungsschutz berichten, sind in aller Regel selbst Extremisten. Sie werden nicht eingeschleust, sondern angeworben. Sie sind Teil ihrer Szene. Wenn sie einen Hitlergruß oder eine IS-Flagge zeigen, dann opfern sie sich nicht für den Staat, sondern handeln gemäß ihrer eigenen Überzeugung. Schon deshalb gibt es keinen Grund, solche Straftaten von V-Leuten grundsätzlich straffrei zu stellen.
Auffällige Privilegierung
Ein Freibrief für V-Leute dient auch nicht der Tarnung. Im Gegenteil. Wenn zehn Leute sich vermummen und dann gegen neun ermittelt wird, nur gegen einen nicht – das fällt doch auf. Wenn neun auf der Anklagebank sitzen und der zehnte im Publikum, das muss ja wohl ein V-Mann sein. Der Freibrief für V-Leute ist eine so auffällige Privilegierung, dass sie für den angestrebten Zweck völlig kontraproduktiv ist.
Und wie soll das überhaupt funktionieren? Damit ein V-Mann strafrechtlich privilegiert werden kann, müssen Polizei und Staatsanwaltschaft ja erst einmal erfahren, dass es sich um einen V-Mann handelt. Also muss der Verfassungsschutz den Ermittlern mitteilen, dass der Beschuldigte als V-Mann besonders geschützt ist. Man glaubt es kaum: Sonst wird die Identität der V-Leute abgeschirmt, wo es nur geht, und jetzt soll der Verräterstatus den Behörden einfach so mitgeteilt werden, um eine Geld- oder Bewährungsstrafe zu vermeiden. Und in den Akten können dann auch andere Verfahrensbeteiligte nachlesen, warum das Verfahren eingestellt wurde. Oder soll es in solchen Fällen Geheimakten geben?
Kein Zugang zu Terrorgruppen
Innenminister Thomas de Maizière (CDU) glaubt, dass nur so der Einblick in gefährliche Gruppen erhalten bleibt und „Schlimmes“ verhindert werden kann.
Allerdings gibt es gerade in Terrorgruppen nur selten V-Leute. Und auch künftig werden die Zugangsbedingungen nicht besser. Zur Tarnung darf ein V-Mann auch künftig nur leichte Straftaten begehen. Er darf also keinen Mord als „Keuschheitsprobe“ verüben, um in eine Terrorgruppe aufgenommen zu werden. So weit geht das Gesetz zum Glück nicht. Man sollte deshalb aber auch von den V-Leuten nicht mehr erwarten als bisher. Sie werden überwiegend aus Szenen berichten, die relativ gut zugänglich sind, weil dort keine schweren Straftaten begangen werden. Strafrechtliche Privilegien sind mit diesem begrenzten Nutzen kaum zu rechtfertigen.
Und wenn der Verfassungsschutz seine V-Leute unbedingt protegieren will, läge eine andere Lösung näher. Bei einfachen Straftaten geht es in der Regel um Geldstrafen. Warum gibt der Verfassungsschutz den V-Leuten nicht einfach das Geld, um die Strafe zu bezahlen. Das Bezahlen fremder Geldstrafen gilt laut Rechtsprechung jedenfalls nicht als Strafvereitelung, ist also weniger problematisch als gesetzliche Sonderrechte für Spitzel.
Falls die Große Koalition sich aber mit dem Freibrief für V-Leute tatsächlich ein Denkmal setzen will, sollten wenigstens zwei sehr realpolitische Forderungen berücksichtigt werden. So sollte die Öffentlichkeit in einem jährlichen Bericht erfahren, wie viele V-Leute Straffreiheit oder Verfahrenseinstellungen erhielten und um welche Delikte es dabei ging. Nur so kann sich die Gesellschaft ein Bild über die rechtsstaatlichen Kosten der Reform machen.
Außerdem sollte eine Verfahrenseinstellung zumindest bei Gewalttaten von V-Leuten ausgeschlossen sein. Es ist unerträglich, wenn ein verprügeltes Opfer aus den Akten ersieht, dass der Nazi-Schläger nur deshalb straffrei blieb, weil er heimlich mit dem Staat kooperiert.
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