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Debatte SPD und KapitalismuskriseKapital und Krankenbett

Kommentar von Mathias Greffrath

Ihr fehlt ein Schuss Utopie und Mut zur Gegenmacht. Wie kann die intellektuell und personell ausgetrocknete SPD wiederbelebt werden?

Es wächst die Zahl der Ärzte am Krankenbett der SPD Foto: Francesca Schellhaas / photocase.de

S ozialdemokraten sind „Ärzte am Krankenbett des Kapitalismus“ – so formulierte es inmitten der Weltwirtschaftskrise Fritz Tarnow auf dem SPD-Parteitag von 1931. Allerdings ging Tarnow, ein gemäßigter Theoretiker der „Wirtschaftsdemokratie“, davon aus, dass der Patient bald ableben würde. „Selbst wenn wir nicht überzeugt sind, dass die Medizin den Patienten heilt, sondern nur sein Röcheln lindert, […] geben wir sie ihm, und denken im Augenblick nicht so sehr daran, dass wir doch Erben sind und sein baldiges Ende erwarten.“

Nun, nach Diktatur, Kapitalvernichtung und Weltkrieg lebte der totgesagte Patient strahlender als je zuvor auf, und die Zusammenbruchstheorien verstaubten. Sozialdemokraten setzten nun auf die Variante: „Wenn die Pferde fressen, haben auch die Spatzen etwas davon“ – ein paar Jahrzehnte lang mit einigem Erfolg.

Bis zur Finanzkrise 2008. Da sprach Nicolas Sarkozy in Davos den Satz: „Wir erleben nicht eine Krise im Kapitalismus, sondern eine Krise des Kapitalismus.“ Deshalb müsse alles anders werden. Auch unsere Kanzlerin sprach damals so. Aber alles blieb wie bisher, und nur allmählich schleicht sich das böse Wort von der „säkularen Stagnation“ in die Debatten der Ökonomen. Die kündigte sich seit Mitte der siebziger Jahre an, als Wachstum und Produktivität in den Stammländern des Kapitalismus abzunehmen und die Finanzspekulation zu blühen begann.

Mit dem diskreten Niedergang sank auch der Stern der Sozialdemokratie, und die letzte kräftige Ration für die kapitalistischen Pferde – Steuersenkungen und Sozialabbau unter der Regierung Schröder – hat ihren Abstieg noch beschleunigt: 300.000 Mitglieder weniger, Wählerschwund und die tödliche Allianz mit einer sozialliberal gewendeten CDU, mit der die Parteieliten die illusorische Hoffnung auf ein neues, kräftiges Wachstum teilen.

Rot-Rot-Grün ist keine Option

Seit einigen Wochen kommt die 20-Prozent-Marke in Sicht. Es wächst die Zahl der Ärzte am Krankenbett der SPD. „Die Linke muss wieder kämpfen“, fordern, fast schon verzweifelt, der Philosoph Rainer Frost und der Journalist Bernd Ulrich in der Zeit. Wer, wenn nicht die Sozialdemokratie, könne den Nationalstaat überwinden und „transnationale Handlungsperspektiven“ für Migration und globale Gerechtigkeit entwickeln. „Solidarität oder Barbarei“, spitzen sie zu. Es klingt nach einem letzten Stoßgebet.

Die SPD müsse zum Champion einer ökologischen Weltwirtschaft werden, ein Grundeinkommen durchsetzen, öffentliche Unternehmen und Genossenschaften fördern, so das Rezept des Politikwissenschaftlers Claus Leggewie. Aber sein Befund – „die Sozialdemokratie muss um ihre Regierungsfähigkeit fürchten“ – ist leider von gestern. Rot-Rot-Grün, also die Wiedervereinigung der drei linken Parteien, ist inzwischen auch rein rechnerisch keine Option mehr.

Es stimmt ja: Nur eine vereinigte, ökosoziale, vor allem aber – national wie europaweit – regierende Linke könnte Finanzbomben entschärfen, den Niedergang der Städte, die Bedrohung des Mittelstands, die Misere der Bildungsinstitutionen, die Erosion des Arbeitsmarkts und die grassierende Zukunftsangst wenden.

Aber dafür müsste sie, genauso wie die Grünen, den Glauben an die Wiederkehr des Wachstums – die ideologische Kehrseite der alten Zusammenbruchshoffnung – aufgeben. Sie müsste die Radikalisierung von rechts als Symptom ihrer Schwäche begreifen und Visionen einer gerechten und zukunftsfähigen Gesellschaft ohne Wachstum entwickeln. Das hieße auch: über Konsumeinbußen und unangenehme Eingriffe in Lebensgewohnheiten und Besitzstände reden, und zwar nicht nur bei den einem Prozent der Superreichen. Auch für die Normalbürger gilt: Fördern und Fordern.

Muss, müsste, könnte. Schon gut: Es ist müßig, das von einer intellektuell wie personell ausgetrockneten SPD zu erwarten. Denn ihr Vorsitzender fremdelt, wenn der französische Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty („Das Kapital im 21. Jahrhundert“) die wachsende Ungleichheit geißelt und deren Vertreter nicht auftauchen, wenn der ehemalige griechische Finanzminister Gianis Varoufakis Tausende junger Menschen mit der Idee eines sozialistischen Europa begeistert; die den analytischen Schulterschluss mit Sarah Wagenknecht dem linkskonservativen Peter Gauweiler überlässt.

Konsequenterweise verschreibt der vorerst letzte Arzt am Krankenlager, Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung, eine regenerierende Kur in der Opposition als letzte Chance für die Wiederbelebung.

Ein Schuss Utopie gesucht

Was dabei geschehen könnte, das deutet sich, vorerst als zartes Pflänzchen, in England an: die Eroberung einer erstarrten Sozialdemokratie durch die Basis. Der Theoretiker und Aktivist Paul Mason skizziert in seinem inspirierenden Buch „Postkapitalismus“ die Wiedervereinigung einer erneuerten Sozialdemokratie mit den sozialen Bewegungen, von denen viele der Politik – und, schlimmer noch: dem Staat – nichts mehr zutrauen. Sie setzen deshalb auf Exitstrategien, romantische Fluchtbewegungen, hilflose Petitionen und Selbsthilfe im Kleinen. Ihre intellektuellen Wortführer propagieren die Überwindung der Konsumkultur durch individuelle Lebensreform oder bleiben in Kulturkritik stecken.

Eine wirkliche Gegenmacht gegen die totale „Landnahme“ eines digital aufgerüsteten, autoritären Turbofeudalismus aber kann nur über eine Instandbesetzung der politischen Institutionen entstehen. Dazu braucht es, so Mason, einen Schuss Utopie und das Narrativ eines „guten Staates“, der intelligente Investitionspolitik betreibt, die Sozialsysteme durch Steuern finanziert, Genossenschaften fördert, die Infrastrukturen entprivatisiert, den Finanzsektor und die Monopole der Informationswirtschaft vergesellschaftet.

Kurzum: die technischen und menschlichen Produktivkräfte freisetzt, die von einem Amok laufenden Kapitalismus gefesselt werden. In den siebziger Jahren hieß das „systemüberwindende Reformen“. Vor hundert Jahren nannten es Sozialdemokraten: „Zukunftsstaat“. Und am Montag verriet SPD-Chef Sigmar Gabriel einer Putzfrau: „Wir sind eine staatstragende Partei.“ Nur zu.

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31 Kommentare

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  • Lasset die Toten in Frieden ruhn!

  • "Finanzbomben entschärfen",

    hat Island gemacht, indem sie einfach nicht bezahlt haben und die Verantwortlichen ins Gefängnis brachten.

    "den Niedergang der Städte", wir haben in DLand Urbanisierung, Konzentration auf bestimmte Gebiete, andere Gebiete - Entvölkerung

    "Bedrohung des Mittelstands" "Erosion des Arbeitsmarkts", ja durch Deindustrialisierung.

    Die Frage ist, welche Systeme funktionieren? Solange Geld der größte ANtrieb ist? Genossenschaften gibt es, aber in Maßen. Im direkten Vergleich halten sie oft nicht stand, MüllerMilch, Südmilch ...

  • 6G
    6474 (Profil gelöscht)

    ".. ICH kann die Agenda zurückrollen, dann muss ich damit Leben das ICH am WELTMARKT nicht mehr direkt konkurrenzfähig bin, weniger Export habe und damit weniger Arbeitsplätze , dann fliegt MIR die Binnenachfragelüge um die Ohren und ich habe erstmal eine Rezession."

     

    ^^ich habe nun keine ahnung ob ICH auf dem weltmarkt längerfristig konkurrenzfähig bin oder sein möchte, aber das was DU da erzählst, erzählt die FDPCDUSPD seit 15 jahren. "wir müssen uns an den chinesen und japanern orientieren,die arbeiten auch 14 stunden am tag und haben nur 3 tage im jahr ferien in denen sie dann auch noch überstunden machen. wir vorbildlich, also immer schneller, immer schneller, konkurrenzfähig bleiben,konkurrenzfähig bleiben,sonst leben wir hier bald wie in uganda! schnell, die wirtschaft von frankreich und griechenland mit billig-export kaputtmachen,bevor die UNS kaputtmachen.schnell, noch einen unterbezahlten mini-job mehr annehmen damit der vermieter noch mehr geld aus der alleinerziehenden mutter rauspressen kann.schnell, den unverschuldet arbeitls gewordenen arbeiter noch ein bischen mehr auf dem jobcenter gängeln, damit er bereitwillig jede leiharbeit annimmt und unseren export-status erhält.denk an deine stadt die schicki-tourismus braucht und deshalb obdachlose verjagt, denk an dein land beim fließbandjob das exportüberschüsse braucht,schneller,schneller.. .!!!"

    • @6474 (Profil gelöscht):

      ehhh, welcher Vermieter? Ich kenne viele, die haben seit Jahren die Mieten nicht erhöht.

    • @6474 (Profil gelöscht):

      Habe ich gesagt, dass ich die Situation "top" finde? Ich verstehe nur woher sie kommt und durch Aufenthalte in China weiß ich auch, dass dies erst der Anfang ist. Übrigens überwiegt auch bei Ihnen die Fehlvorstellung, dass deutsche Exporte "billiger" sind als andere europäische, sie haben nur ein besseres P/L (praktisch ist die Forderung deutsche Exporte sollten teurer sein, das Eingeständnis dass Franzosen zb ihre Qualität und Produktivität nicht steigern können). Und wie unten dargelegt, man kann dies alles nicht tun! Man darf sich nur nicht einreden dass dies ohne Nachteile oder Kosten kommt, weil weder werden die Franzosen aus Nettigkeit uns nen Teil der Exporte abgeben, wenn dort gekauft wird, noch wird der Chinese wieder brav reisanbauen gehen, damit es in Deutschland höhere Sozialleistungen gibt.

    • 6G
      6474 (Profil gelöscht)
      @6474 (Profil gelöscht):

      @KRÄHENAUGE

  • Nee, wie sehen die Alternativen zu den Parteien aus, die jede Verbesserung der Lebensbedingungen verhindern?

    Die SPD und ihren Sarrazin braucht niemand.

  • "Das hieße auch: über Konsumeinbußen und unangenehme Eingriffe in Lebensgewohnheiten und Besitzstände reden, und zwar nicht nur bei den einem Prozent der Superreichen. Auch für die Normalbürger gilt: Fördern und Fordern."

     

    Ja das ist ein bemerkenswerter Satz in der TAZ! So sieht das nämlich aus; nicht immer auf dem 1 % Superreichen rumhacken oder "nimms den Reichen gebs den Armen".

    Es geht um einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz in dem man schauen muss was 99 % der Bevölkerung hinkriegen an Veränderungen. Das zu überzeugen ist eh schwierig genug.

     

    Das reiche 1 % oben eiert dann sowieso hinterher.... weil es da Chancen zum Geschäftemachen sieht.

    Agieren statt reagieren!

    • 1G
      10236 (Profil gelöscht)
      @Tom Farmer:

      Ja! Vergesst die Reichen! Vermögensteuer weg, Erbschaftssteuer weg und Wiedereinführung des totalen Bankgeheimnisses! Damit wir nie wieder auch nur annähernd solche Statistiken betrachten können:

      https://www.reimon.net/wp-content/uploads/2012/10/Gesamtvermoegen_Verteilung.jpeg

      http://img.welt.de/img/finanzen/crop117239603/97869321-ci3x2l-w900/DWO-Reiche-1.jpg

      http://img.godmode-trader.de/charts/21/2014/09/einkommensverteilung.png

       

      BTW, der Vorschlag erinnert mich an die Rede von Gerhard Schröder 2003, wo er seine Reformen angekündigt hatte:

      "Alle Kräfte der Gesellschaft werden ihre Beitrag leisten müssen: Unternehmer und Arbeiternehmer, freiberuflich Tätige und auch Rentner. Wir werden eine gewaltige gemeinsame Anstrengung unternehmen müssen, um unser Ziel zu erreichen."

       

      "Alle" und "wir"? Nichts gegen Gemeinsamkeitsgefühle, aber letztendlich läuft es auf "viele" und "ihr" hinaus.

      • @10236 (Profil gelöscht):

        Was Sie schreiben habe ich weder gesagt noch gemeint.

        Sie leben nicht im Südwesten und können sicher nicht sehen, dass nicht der plakative Porsche Fahrer sondern

        das Massenphänomen 'links reden, rechts handeln' das Problem darstellt.

        Daraus ergibt sich die Konsequenz den größeren Multiplikator für einen ökologischen, gerechteren, toleranteren.... zu identifizieren. Den sehe ich in der Mittelschicht und daher sollten hier angesetzt werden, auch politisch.

        Der Artikel ist daher aus meiner Sicht zutreffend und das oft gelesene hysterisieren einer Umverteilung nicht der Schlüssel sondern ein Ablenkungsmanöver. Ihre Themen Reichensteuer usw. alles ok aber eben nur Blitzableiter.

        • @Tom Farmer:

          Aha, also die berühmte Mittelschicht ist Schuld. Die Gesellschaftsschicht, die seit Jahren so geschröpft und gegängelt wird, dass sie mittlerweile erodiert und am Auflösen ist. Die Schicht, die ihr ganzes Leben unter Druck steht bis sie sich in ihre Hartz-Renten absetzen dürfen?

  • Mhh manchmal finde ich die Forderungen an die SPD schon frech. Es geht hier um eine fest in unserem Wirtschaftssystem verankerte Partei, ja auf der Seite der Arbeitnehmer, aber die SPD war nie eine Partei "gegen" das System auf dem die BRD beruht, es gibt für diese Bestrebungen auch keine wie auch immer geartete Mehrheit in Deutschland, und dennoch verlangt man von der SPD permanent Positionen die weit unter ihren 20% liegen im Wählerwillen einzunehmen, um mehr als 20% zu erhalten, da ist doch der Wunsch eher Vater des Gedankens.

    • 6G
      6474 (Profil gelöscht)
      @Krähenauge:

      "Es geht hier um eine fest in unserem Wirtschaftssystem verankerte Partei, ja auf der Seite der Arbeitnehmer, aber die SPD war nie eine Partei "gegen" das System...."

       

      ^^"....Dennoch gab es in der Partei ideologische Gegensätze und Streit über den richtigen Kurs . Während der revolutionäre Flügel um Karl Kautsky auf Klassenkampf setzte und im Einklang mit Marx und Engels die Überwindung der kapitalistischen Ordnung und Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft beschwor, wollten die von Eduard Bernstein angeführten "Revisionisten" die Lage der Arbeiterschaft durch soziale Reformen schrittweise verbessern, was eine möglichst effektive Arbeit in den Parlamenten voraussetzte. Beginnend mit dem Erfurter Programm von 1891 gelang es der SPD, diese konträren Vorstellungen so erfolgreich in sich zu vereinen, dass sie bis 1912 zur stärksten politischen Kraft aufstieg und ihre Mitgliederzahl 1914 erstmals die Millionenmarke überschritt..... http://www.bpb.de/politik/grundfragen/parteien-in-deutschland/42082/geschichte"

       

      soviel mal zur geschichte der SPD...

    • 1G
      10236 (Profil gelöscht)
      @Krähenauge:

      "...und dennoch verlangt man von der SPD permanent Positionen die weit unter ihren 20% liegen im Wählerwillen einzunehmen..."

       

      ??? http://www.zeit.de/wirtschaft/2016-05/umfrage-deutschland-friedrich-ebert-stiftung-soziale-ungleichheit

       

      "aber die SPD war nie eine Partei "gegen" das System auf dem die BRD beruht"

       

      Das verlangt auch keiner. Schon die Rückkehr zu den sozialistischen Verhältnissen (Spitzensteuersatz, Rente, ALG) unter Helmut Kohl wäre ein Riesenfortschritt.

      • @10236 (Profil gelöscht):

        Ich weiß nicht so ganz wohin Sie mit einer Umfrage wollen in der Leute Ungleichheit bestätigen. Wir reden hier von Wahlergebnissen, und in einer Umfrage die mich keinen Cent kosten sind die meisten Leute sehr generös bei einer Wahl hat keine Partei die für mehr Umverteilung eintritt mehr als 10% Bundesweit bekommen seit 8 Jahren, zu letzt haben sich die Grünen eine blutige Nase geholt bei der BTW.

         

        Nunja dieser Artikel geht schon schwer weiter als zurück zu Kohl ( nicht da sich damit ein Problem hätte, vorallem die Absenkung des Spitzensteuersatzes mit gleichzeitiger Senkung der Bemessungsgrenze war ein Undingen). Bei den allgemeinen Forderungen auch, und unterm Strich fehlt vielen leuten halt immer die Ehrlichkeit heutzutage auch Nachteile zu benennen. Ich kann die Agenda zurückrollen, dann muss ich damit Leben das ich am Weltmarkt nicht mehr direkt konkurrenzfähig bin, weniger Export habe und damit weniger Arbeitsplätze , dann fliegt mir die Binnenachfragelüge um die Ohren und ich habe erstmal eine Rezession.

         

        Ja dafür habe ich keine vom Jobcenter drangsalierten Personen (wobei ich da weniger Sadisten als einfach pauschal Unfähige kennengelernt habe), kein ALG2, keine Aufstocker und keine Leiharbeitsfirmen von VW (sehr lustig Platz 6 vom Umsatz her in Deutschland) und kann schauen ob ich meine Wirtschaft umbaue für Fragestellungen der Zukunft.

        • 1G
          10236 (Profil gelöscht)
          @Krähenauge:

          "...dann fliegt mir die Binnenachfragelüge um die Ohren..."

           

          Was ist "die Binnennachfragelüge"?

           

          Ich kann den Begriff "konkurrenzfähig" oder "wettbewerbsfähig" nicht mehr hören. Mittlerweile dient er vorwiegend dazu eine Volkswirtschaft mit einem Betrieb gleichzusetzen und entsprechend Kosten- und Einnahmeseite zu definieren. Am besten alle verkaufen (=exportieren) und sparen bei den Kosten (=Löhne, Sozialleistungen). Nochmal: ***alle***. So ein Schwachsinn hat man den Leuten die letzten 15-20 Jahre aufgetischt. Und dann jammert der Schäuble, dass er jetzt lieber 3% Inflation und 3% Zinsen hätte. Woher soll die Inflation kommen? Von der deutschen Lohnentwicklung? Da bastelt sich jemand ein VWL-Märchenwald. Dass das ursprünglich (Agenda) als eine gewaltige Umverteilungsmaschine gedacht war, ist mir schon klar. Jetzt wäre langsam die Zeit zuzugeben, dass es nicht funktioniert hat.

          • @10236 (Profil gelöscht):

            Ich habe es mal provokant formuliert, der allgemeine Duktus ist, dass verstärkte Lohnerhöhungen die sinkenden Exporte ausgleichen indem eine verstärkte Binnenkonjunktur (grausiges Wort) auftritt. Wenn man sich allerdings unsere Handelsbilanzen anschaut ist das schwerlich zu erwarten, die Exportindustrien können im Binnenmarkt gar nicht auftreten (Die Erzieherin mit 5% mehr Lohn kauft keine Verpackungsmaschine) und Konsumgüter fertigt Deutschland eher wenig. Dazu kommt, dass entgegen der Vermutung momentan ja keine schlechte Konsumnachfrage besteht, also wäre zu sehen wieviel Menschen überhaupt noch MEHR konsumieren würden.

             

            Ich finde die Begriffe auch nicht prickelnd, aber deshalb kann ich ihre Auswirkungen nicht ausblenden, wenn Deutschland seine Position verändert (***alle*** beeinflussen wir ja nicht), in dem Fall ist der Vergleich mit einem Betrieb gar nicht so falsch, wenn wir als einzige die Kosten hochfahren, werden wir weniger Exportieren, mehr Importieren und in eine Rezession fallen. Erstmal! (das dass wichtige, ich sage nicht, dass man dort für immer verharrt, aber wer behaupten möchte er dreht die Agenda um und alles ist töfte muss sich nicht wundern wenn man ihn für inkompetent hält).

             

            Letzter Punkt noch zur Inflation, die liegt nicht bei ca. 0% wegen der Löhne, sondern wegen dem Ölpreis und der Korb Zusammenstellung mit relativ vielen Gütern die Billiger werden (zb. Elektronik, Milchprodukte), das was sie so gewöhnlich im Supermarkt kaufen wird im schnitt seine 2% haben.

  • Die SPD ist nicht zu retten.

  • Wo ist das Problem? Zumindest in der Regierunsverantwortung sind signifikante Unterschiede zwischen SPD, CDU und Grünen nicht erkennbar. Die Agenda 2010 war Grün/SPD, der Atomausstieg CDU. Dieser ziemlich idelogiefreie Block deckt rund 60 bis 70% der Wähler ab. Links davon bleiben rund 10%, rechts davon - mit CSU und AFD - 20 bis 30%.

    Durch den vermeintlichen Drift der CDU nach links ist die SPD mit 20% der Wählerstimmen doch gut bedient. Im Prinzip wäre sie mit Merkel ja zufrieden, wenn Merkel nur in der SPD wäre. Dabei ist Merkel eine Frau ohne Eigenschaften und passt damit genau in die Zeit. Vielleicht kann man so eine Art doppelte Parteimitgliedschaft für Merkel einführen, damit Merkel den SPD-Vorsitz zusätzlich übernehmen kann.

     

    Für mich ist die SPD überflüssig, weil sie das Problem mit der absehbaren und notwendigen Begrenzung des Wachstums nicht erkennt, nicht problematisiert und schon gar keine Lösungsansätze anzubieten hat.

  • Die SPD hält sich vor allem in der politischen "Raumkapsel" auf, die vollkommen von den Wählern abgeschottet ist. Die Briefe werden mit Textblöcken beantwortet, sogar von Praktikanten, aber kaum ein Politiker begibt sich selbst in den Alltag der Menschen. Im April 2016 ist Hans Koschnick gestorben, der noch eine absolute Mehrheit in der Bremischen Bürgerschaft bekommen hat. Jetzt gibt es kaum noch SPD-Politiker von seinem Format Da hat selbst ein parteiloser Bundespräsident mehr Bürgernähe als alle Parlamentarier. 2004 diskutierte ich mit Andrea Nahes auf einem Stiftungs-Seminar an der evangelischen Akademie Loccum. Von ihr kamen keine konkreten Vorstellungen einer zielgerichteten Politik. Während der Ex-Greenpeace Vorsitzende Thilo Bode die Forderungen für eine bessere Umweltpolitik stellte und Frauen, wie die Stifterin Ise Bosch Frauenrechte konkret durch ihr Vermögen verbessern wollte…

    Meine wichtigste Erfahrung ist: Die Kommunikation hat sich in den letzten 15 Jahren radikal geändert. Weltweit. Statt das System durch demokratische Verbesserungen á la Swiss neu in Deutschland zu verbreitern, machen Gabriel und Genossen mit verbundenen Augen weiter, bis sie ins reissende Wasser fallen und abgetrieben werden. Kaputt geht dabei sogar der technische Fortschritt.

    Wachstum ist wie ein aufblasbarer Luftballung, der bald zerplatzt!

  • 6G
    64938 (Profil gelöscht)

    Zuerst: Hartz IV und Agenda 2010 mit allem drum und dran rückgängig machen. Mit der gleichen Radikalität, mit der Angela Merkel damals mit der Kernkraft gebrochen hat!

    Dann: den Seeheimer Kreis dauerhaft entmachten, der hat uns das alles größtenteils eingebrockt.

    Schließlich: Versuchen, eine Allianz mit Grünen und Linken zu schmieden.

    Bleibt nur 1 Problem: Wo ist die charismatische Person, die das tun könnte. Vielleicht könnte Lafo ja wieder eintreten?

    • @64938 (Profil gelöscht):

      Ausserdem abgewanderte Industrien aus China nach Deutschland zurüchholen.

      • @Gabriel Renoir:

        Das klappt auch nur wenn dann hier chinesische Löhne gezahlt werden....

    • @64938 (Profil gelöscht):

      "Hartz IV und Agenda 2010 mit allem drum und dran rückgängig machen." Dann sind wir wieder bei der Arbeitslosen- und Sozialhilfe von 2005. Mit den damaligen Sätzen. Was soll daran so toll sein?

      • 1G
        10236 (Profil gelöscht)
        @Chutriella:

        Soll heißen: bei der nächsten (Beschäftigungs)Krise, und sie kommt so sicher wie der nächste Herbst, wieder das gleiche Rezept: Deregulierung des Arbeitsmarktes, Ausbau des Niedriglohnsektors, noch mehr Druck auf die Arbeitslosen?

         

        Wenn das alles ist, was einem bei der nächsten Krise, und sie kommt bestimmt, einfällt, dann sollte man sich vielleicht intensiver mit dem Buch von Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee "The Second Machine Age" beschäftigen.

         

        Genauso wie die Riester-Rente kann sich der eingeschlagene Goldene Weg relativ schnell als Holzweg entpuppen.

  • Lasst doch einfach den Björn Engholm als Kanzlerkandidaten für die SPD ran.

     

    Über eine Nichtigkeit ist er 1993 zurückgetreten, aber war der beste Kanzlerkandidat der letzten 30 Jahre.

     

    Björn Engholm hat danach unter Beweis gestellt, dass er die richtigen Impulse setzt. Vom Alter her ist er wie Clinton oder Sanders zwar eher ein älteres Semester, aber das macht nichts. Er strahlt Ruhe und Reife aus.

     

    Er hat alles, was Gabriel und der versammelten Mannschaft abgeht.

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    Heute konnte man in den Nachrichten lesen, dass das Arbeits-Sozialministerium eine Verlängerung der 1-Euro-Jobs plant (http://www.t-online.de/wirtschaft/jobs/id_77851928/aenderung-bei-hartz-iv-ein-euro-jobbern-droht-die-endlosschleife.html).

     

    Die Sozialdemokraten müssten sich mit 3 großen Problemen der Zukunft befassen:

     

    1. Das Ende der Arbeitswelt, wie wir es bisher gekannt haben

    2. Das Ende der zinsbasierten Wirtschaft

    3. Umverteilungsproblematik

     

    Stattdessen verweigert sich die SPD auch nur der Diskussion über diese Problematik und marschiert sogar mit weiteren Schritten in die vermutlich (auch ökonomisch) falsche Richtung. Am Ende des Weges könnte die berüchtigte Einfünftelgesellschaft stehen, vielleicht sogar ohne Tittytainment und stattdessen mit einem disziplinierenden Regime wie es mittlerweile Andrea Nahles still und heimlich im Kleingedruckten gesetzlich festschreibt.

     

    Ich habe die Sozialdemokraten 1998 euphorisch, 2002 hoffnungsvoll, 2005 zähneknirschend gewählt. Endgültig desillusioniert wurde ich 2013, v.a. durch die Aufstellung von Steinbrück, obwohl der Schröderianer-Putsch 2008 eigentlich schon genug gewesen wäre.

    Für diese Partei gibt es wohl keine Hoffnung mehr, jedenfalls so lange nicht, bis die letzte Person, die nur mal dem Gabriel, Steinmeier, Steinbrück die Hand geschüttelt hatte von der Führung der Sozialdemokraten verschwunden ist.

    • @10236 (Profil gelöscht):

      Richtig.

       

      Aber wir haben ja auch mal, als angebliche "Alternative", "grün" gewählt - und gesehen was dabei herausgekommen ist: die zwanglose und ungenierte Eingliederung in die gesamtkapitalische Einheitspartei "BRD". Mit vorgeschaltetem Medienapparat.

       

      Nein, "Instandbesetzung der politischen Institutionen" wird nicht funktionieren solange Politik zu 100% deckungsgleich ist mit Medien.

       

      Bevor noch irgendetwas an der politischen Front bewegt werden kann muß das Einbahnstrassenmodell insbesondere der öffentlich-rechtlichen Anstalten, welche der herrschenden Politikform ein alternativloses Forum der Selbstdarstellung bietet, kritisiert und boykottiert werden. Ein System welches die herschende Politik diskussionslos durchherrschen läßt. Dazu gehört auch die "Forschungsgruppe Wahlen" mit ihren demokratiezerstörenden Wahlhilfeempfehlungen: "Wahlen werden in der Mitte gewonnen". Der Rest der Gesellschaft darf dann außen vor und unrepräsentiert bleiben - alles "arme abgehängte Proletarier" (O-Ton "SPD"-Mann Nils Schmid), mit denen man sich gar nicht mehr abgeben muß.

       

      Und es gehört dazu daß sich Medien mit alternativer Selbstauffassung endlich einmal intensiver auf das Gebiet der Medienkritik geben anstatt den obszönen medialen Burgfrieden zu halten und lediglich den neuesten Dutzend-"Tatort" zu kritisieren.

      • 1G
        10236 (Profil gelöscht)
        @Ulrich Frank:

        Die Rolle der Medien bei dem neoliberalen Wandel der letzten Jahre und bei der Zementierung des politischen Status Quo ist unbestritten. Private Interessen und politische Abhängigkeiten lassen wohl nicht viel Spielraum für journalistische Vielfalt und medialen Wettbewerb der politischen und ökonomischen Ideen.

         

        Auch in Zeiten der unzähligen Informationsquellen, die mittlerweile online verfügbar sind, bleibt für das Gros der Bevölkerung das was im Fernsehen oder der Tageszeitung verkündet wird sehr glaubwürdig. Vielleicht sogar umso mehr, je einseitiger sie rüberkommen. Die gewisse (Selbst)Orchestrierung der einzelnen Quellen lässt die Message konsistenter und stimmiger erscheinen.

         

        Die Interessen sind vorwiegend wirtschaftlicher Natur, was sicherlich die mittelfristige Aufnahme der AfD in diese neoliberale Konsensgesellschaft sorgen wird.

  • Solange die SPD meint, sie müsse ihren Teil mit dazu beitragen, das Grundsätzliche dieses entfesselten kapitalistischen Systems zu unterstützen, wird sie immer mehr an Wählergunst verlieren.- Also ist es wohl ganz okay, weil ihr ja nunmal nichts durchgreifend anderes mehr dazu einfällt, dass sie so nach und nach ganz verschwindet. Ihre Oberfunktionäre werden sich schon noch, pekunär halbwegs gesund, irgendwohin innerhalb dieses kapitalistischen Systems zu retten wissen.

  • Sozialdemokraten wie Gabriel oder Hollande und Konservative wie Merkel oder Sarkozy wollen trotz aller Krisen, Kriege und Katastrophen lieber Arzt am Krankenbett des Kapitalismus sein, als Palliativmediziner an seinem Sterbebett. Warum das so ist, hat Stefan Reinecke gerade erst erklärt: Nur im (Turbo-) Kapitalismus sind Aufsteiger-Geschichten wie die der Genannten möglich. Nur da ist das Gefälle zwischen "oben" und "unten" so groß, dass seine Überwindung als Leistung gelten kann. Zugleich sind die Grenzen so durchlässig, dass der Aufstieg in Einzelfällen gelingt. Dass es dafür des Verrats bedarf, nehmen Aufsteiger in Kauf. Die Psyche ist ein seltsames Konstrukt.

     

    Wenn die SPD (und nicht nur sie) "personell ausgetrocknet" ist, liegt das eindeutig daran, dass ihre Führer kritikunfähig sind. Im Zweifel bekämpfen sie lieber ihre eigenen Kritiker, als die Verursacher globaler Probleme. Eine "Instandbesetzung der politischen Institutionen" würde also zunächst einen kompletten Austausch der Eliten erfordern. Und wer sollte die dafür notwendige Energie aufbringen? Doch höchstens Leute, die auch nicht anders ticken als die, die sie ablösen wollen.

     

    Nein, ich glaube nicht an eine "Wiederbelebung" der alten Tante SPD. Ihre Zeit ist um. Es gibt keine guten Könige. Es hat nie welche gegeben und es wird sie auch nie geben. Gott ist tot und war es immer schon. Er ist nur eine dumme Idee. Es rettet uns kein höheres Wesen, kein Gott, kein Kaiser noch Tribun. So lange diese Erkenntnis nicht halbwegs flächendeckend durchgesickert ist, wird sich gar nichts ändern. Moderne Gesellschaften sind für moderne Menschen offenbar zu komplex, als dass sie beherrschbar erscheinen könnten. In sofern sind wir heute auch nicht besser dran, als vor 10.000 Jahren. Wobei es diesmal eine selbstverschuldete Unmündigkeit ist, in der wir uns mühsam einzurichten versuchen.