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Debatte SPD und EuropaGabriels Spieltheorie

Ulrich Schulte
Kommentar von Ulrich Schulte

Sigmar Gabriel bedient in der „Bild“ billige Ressentiments gegen die Syriza-Regierung. Warum ist die Europapolitik der SPD so mutlos?

Immer für eine volksnahe Parole gut: Sigmar Gabriel. Foto: dpa

W er wissen will, wie die SPD zu Griechenland steht, muss die Bild-Zeitung lesen. Sigmar Gabriel veröffentlichte am Montag vor einer Woche einen Debattenbeitrag, in dem er die linke Syriza-Regierung wüst beschimpfte. Spieltheoretiker und Hardliner seien da am Werk, die die Zukunft ihres Landes verzockten. Gabriels Kommentar gipfelte in dem Satz: „Wir werden nicht die überzogenen Wahlversprechen einer zum Teil kommunistischen Regierung durch die deutschen Arbeitnehmer und ihre Familien bezahlen lassen.“

Damit bedient der SPD-Vorsitzende ein Klischee, das von Medien und marktliberalen Politikern in der europäischen Krise immer neu variiert wird. Wir Deutschen haben die Schnauze voll, für irre Kommunisten und faule griechische Luxusrentner zu zahlen. Diese Erzählung ist einfach, stammtischtauglich und – nachweisbar – falsch. Gabriel wählte das richtige Blatt, Bild hetzt seine Leser seit Langem mit widerlichen Parolen gegen das griechische Volk auf. Tags darauf zitierte die Zeitung genüsslich den Vizekanzler als wichtigsten Kronzeugen.

Nun meldete sich Gabriel erneut in Bild zu Wort, dieses Mal mit anderem Zungenschlag. Er habe Bundeskanzlerin Angela Merkel aufgefordert, „die kleinen Leute in Deutschland und Griechenland zu schützen“. Ach so.

Ja, was denn nun? Will die SPD den Griechen helfen oder nicht? Und was sagt Gabriel am kommenden Montag?

Zunächst sollte man den SPD-Chef nicht für dümmer halten, als er ist. Gabriel kann man vieles vorwerfen, aber er ist kein dumpfer Nationalist. Seine erste Suada in der Bild ist genau kalkuliert, jede Silbe wurde überlegt und autorisiert. Selbst wenn man Gabriel eine gewisse Verärgerung über die kompromissunwillige Syriza-Regierung zugute halten mag, bleibt nur ein Motiv für die Beschimpfung übrig: Gabriel spielt bewusst mit Ressentiments, weil er hofft, dies helfe seiner Partei aus dem 25-Prozent-Dauertief.

Erst gibt er dem deutschen Wutbürger wider besseres Wissen recht, weil das Schlagzeilen bringt. Wenig später macht er sich unangreifbar, indem er Versöhnliches hinterherschickt. Gabriel setzt also auf Ambivalenz beim wichtigsten Thema der Legislaturperiode: der Zukunft Europas. Athen retten? Von der SPD kommt ein eindeutig uneindeutiges Sowohl-als-auch.

Längst widerlegter Mythos

Dabei gäbe es gerade für Sozialdemokraten inzwischen viel zu tun. In Griechenland verarmen ganze Bevölkerungsschichten. Familien mit Kindern leiden Hunger. Schwerkranke gehen nicht zum Arzt, weil sie sich die Krankenversicherung nicht mehr leisten können. Viele staatliche Strukturen sind völlig verrottet, dafür ist zu einem Gutteil die sozialdemokratische Pasok verantwortlich, die jahrzehntelang regierte. All das weiß Gabriel.

Er weiß auch, dass einige der Reformvorschläge der EU-Institutionen das Leid der Menschen vergrößern würden. Mehrwertsteuererhöhungen treffen vor allem Arme, weil sie alles Geld in den Konsum stecken müssen. Und der Mythos, dass sich griechische Durchschnittsangestellte mit Mitte fünfzig in die üppige Rente verabschieden, ist längst widerlegt. Ebenso kann man in Zeitungen nachlesen, dass die Rentenleistungen in Griechenland eine existenziellere Funktion als in Deutschland erfüllen, weil dort keine Grundsicherung existiert. Es hat also rationale Gründe, dass sich Syriza gegen manches wehrt.

Ängstliche Unterordnung

Steckte Deutschland in einer tiefen Krise, würde Gabriel solche Bedingungen vehement zurückweisen. Schließlich setzt die SPD, wenn es um deutsche Interessen geht, auf klassischen Keynesianismus. Auf die Wirtschaftskrise im Jahr 2009 reagierte die damalige Große Koalition mit dem Kurzarbeitergeld und einer Abwrackprämie für Autos. Sie rettete mit vielen Steuermilliarden Arbeitsplätze, stärkte eine wichtige Industrie und stützte den privaten Konsum. Dafür hat sich die SPD später zu Recht gelobt, Deutschland kam stark aus der Krise heraus.

Den Griechen aber empfiehlt die SPD das Gegenteil. Gabriels widersprüchliche Signale in Bild sind ja kein Ausrutscher, sie stehen für einen Wesenszug sozialdemokratischer Europapolitik. Die SPD traut sich nicht, Merkels Diktum der Austerität ernsthaft infrage zu stellen, obwohl es in Europa zu sozialen Verwerfungen führt. Schon in der Opposition zu Schwarz-Gelb stimmte die SPD – ebenso wie die Grünen – allen Maßnahmen zu. In der Koalition setzt sie diese Strategie der mutlosen Unterordnung fort.

Finanzbuchhalter unter sich

Die SPD müsse die Sorgen und Ängste der Deutschen ernst nehmen, rechtfertigte Gabriel seine Attacken gegen Syriza im Willy-Brandt-Haus. Sie müsse sich trauen, die Sprache der normalen Leute zu sprechen. Hach ja, wer würde da nicht reflexhaft nicken, so ähnlich hatte der Privatmann Gabriel schon seinen Besuch bei Pegida gerechtfertigt. Aber mit solchen Aussagen entzieht sich Gabriel seiner politischen Verantwortung.

Ja, eine Mehrheit der Bürger treibt die Sorge um, dass die Rettung Griechenlands Steuergeld nutzlos verbrennt. Das belegen Umfragen immer wieder. Aber diese Sorge wird der Komplexität der Angelegenheit nicht gerecht. Denn die Alternative, ein Grexit, wäre ebenso teuer, vielleicht teurer. Schulden verschwinden nicht, weil sie in Drachmen berechnet werden. Das Bestürzende an der deutschen Debatte ist, dass sie von Finanzbuchhaltern geführt wird, egal ob sie nun für die Union oder die SPD arbeiten.

Um kurz pathetisch zu werden: Es geht nicht um Geld. Es geht um die Zukunft Europas. Es geht darum, ob ein sehr reicher Staatenbund einem in Not geratenen Mitglied solidarisch unter die Arme greift. Oder ob er ein Armenhaus vor der eigenen Haustür zulässt. Am Ausgang dieser Krise wird die ganze Welt Europa und Deutschland messen.

Die Bild-Zeitung maximiert ihren Profit, indem sie Schwache gegen Schwache ausspielt. Aber eine linke Volkspartei müsste sich trauen, für Solidarität zu werben, auch wenn dies dem Bauchgefühl vieler Deutscher widerspricht. Europa ist zu wichtig für billigen Populismus. Manchmal müssen Politiker Führung übernehmen, das gilt auch für Sigmar Gabriel. Wenn nicht jetzt, wann dann?

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Ulrich Schulte
Leiter Parlamentsbüro
Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.
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22 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • 6G
    628 (Profil gelöscht)

    Der Gabriel mag nicht dumm sein, er ist aber auf jeden Fall unfähig. Er will den Schröder machen, hat dafür aber nicht das Zeug. Beim Gabriel bemerkt jeder sofort seine Sprunghaftigkeit, Inkonsequenz und Inkompetenz. Schröder konnte immerhin den Anschein eines zupackenden, hemdsärmligen Machers erwecken, der weiß, was er tut.

  • Tatsächlich? Sigmar Gabriel hat einen Debattenbeitrag in der Bild "veröffentlicht[]"? Und ich dachte immer, die Bild-Zeitung sei die Spielwiese von Kai Diekmann!? Na ja, wahrscheinlich kann einfach nicht jeder bei Gasprom unterkommen, wenn er keine Chance mehr hat, noch weiter aufzusteigen. Vor allem jetzt nicht, wo "der Russe" nicht mehr so befreundet ist wie früher.

     

    Nein, ein DUMPFER Nationalist ist SPD-Chef Gabriel bestimmt nicht. In gewisser Weise könnte man ihn sogar einen Internationalisten nennen. Nicht nur wegen TTIP. Gabriel kennt offenbar nicht bloß keine Parteien mehr. Er kennt im Zweifel auch keine Nationen. Er kennt bloß noch Interessen. Und dass die SPD-Schwesterpartei Syriza einen großen Teil jener Fehlentscheidungen getroffen hat, für die angebliche "Kommunisten" nun büßen sollen, verschweigt er ganz geschickt. Es fragt ihn ja auch keiner. Die eine Krähe, heißt es, hackt der anderen kein Auge aus.

     

    Was soll der arme Mann auch machen? Eine konkurrierende LINKE, der man, wie hierzulande, einfach eine DDR-Geschichte um den Hals hängt, bevor man sie ins kalte Wasser schmeißt, haben die Griechen ja nun leider nicht. Was Sigmar Gabriela aber auf gar keinen Fall vorgeworfen werden kann ist, dass er ein "waschechter Demokrat" wäre. Als solcher, schließlich, müsste er der Demokratie vertrauen. Gerade auch in ihrem Herkunftsland. Das tut er nicht. Er zieht den Glauben an Verträge vor. Vor allem, wenn sie seinen Freunden aus der Weltwirtschaft die Pfründe sichern.

     

    Nein, keine Sorge, unterschätzen werde ich den SPD-Chef sicher nicht. Dass ich ihn aber jemals überschätzen werde, halte ich für auch nicht sonderlich wahrscheinlich.

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    "Die Bild-Zeitung maximiert ihren Profit, indem sie Schwache gegen Schwache ausspielt..."

  • Apropo Grundsicherung. Die Einführung der Grundsicherung wurde von Syriza auch wieder abgeschafft: http://www.zeit.de/2015/25/griechenland-regierung-europaeische-union-verantwortung/seite-2

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    Gabriel arbeitet mit Hochdruck auf seine Anschlussverwendung zu: Universalpolitikerdarsteller ohne Profil.

  • Na - SiggiPlopp-Schutztruppe am

    Werkeln - oder was!

    dennoch 2.0

     

    "…Das Bestürzende an der deutschen Debatte ist, dass sie von Finanzbuchhaltern geführt wird, egal ob sie nun für die Union oder die SPD arbeiten.…"

     

    Korrekt -

    Aber damit - mit Verlaub Herr Schulte -

    ist diese - ihre Sentenz weiter oben -

     

    "…Zunächst sollte man den SPD-Chef nicht für dümmer halten, als er ist. Gabriel kann man vieles vorwerfen, aber er ist kein dumpfer Nationalist.…"

     

    Schlicht falsch!

    Denn eben Letzteres einigt parteienübergreifend - &SiggiPlopp einschließend - diese asoziale

    bankenaffine crowd von Korinthenkackern.

     

    Alles andere ist billige Nebelkerzenwerferei -

    weil frauman die eigentlichen bankenproduzierten Verwerfungen der Euro-Krise im Kotau vor dem Finanzkapital nicht angehen will;

    Allerdings wird eben solche Vogelstraußpolitik auf Dauer nicht durchzuhalten sein -

     

    Aber - auch das - wissen diese

    Polit-Zyniker nur zu genau.

    http://www.taz.de/Debatte-SPD-und-Europa/!5206238/

  • "Schulden verschwinden nicht, weil sie in Drachmen berechnet werden."

     

    Was passiert denn eigentlich bei einem Staatsbankrott? Ist das nicht ein Schuldenschnitt auf die harte Tour?

     

    Zu einem Grexit kann die Griechen niemand zwingen. Warum also nicht Staatsbankrott, also Schuldenschnitt, Neuanfang, dann Reichensteuer etc. bis zur schrammschen Idealwelt?

    • @Dhimitry:

      Also:

       

      Ein Schuldenschnitt bedarf der Vereinbarung zwischen Schuldner und Gläubiger(n).

      Üblicherweise wird nur ein Teil der Schulden erlassen :-(

      Aber, wenn vereinbart, könnten die von den „Institutionen“ auch bisher schon gezahlten Überbrückungskredite zur Finanzierung der laufenden Zahlungsverpflichtungen weitergehen :-) ,

      aber eben auch wieder mit Auflagen :-(

      Irgendwelche Wahlversprechen haben sich damit erledigt :-(

       

      Der Staatsbankrott wird vom Schuldner einseitig erklärt. Damit ist er (i.d.R.) alle seine Schulden los :-)

      Allerdings ist dann niemand mehr verpflichtet, weitere Zahlungen an ihn zu leisten Er kann dann nur versuchen, sich auf dem Kapitalmarkt Geld zu astronomischen Bedingungen zu leihen, um das Lebensnotwendigste abzusichern :-(

      Wahlversprechen gehören natürlich auch nicht dazu :-(

       

      Was ist besser, Pest oder Cholera?

      • @Pfanni:

        Es ist auch heute niemand verpflichtet Zahlungen zu leisten, oder? Das machen die Euopäer schon aus freien Stücken.

         

        Wenn Griechenland in der Lage ist einen Primärüberschuss zu erzielen, dann sollte es nach einem Staatsbankrott, bei dem alle Schulden annuliert werden, auch in der Lage sein, sich selbst zu finanzieren. Oder ist das zu simpel?

        • @Dhimitry:

          Ich glaube, das erfasst die Situation. Ich frage mich deswegen schon lange, wovor Griechenland eigentlich Angst hat.

           

          Dass wir die Europäischen Verträge noch mehr brechen (schon die Unterstützung war ein Vertragsbruch) und die Grenzen nach Griechenland zumachen?

           

          Dass wir die griechischen Euromünzen und Scheine nicht mehr akzeptieren und europaweit beschlagnahmen?

           

          Dass Europa dem NATO-Mitglied Griechenland den Krieg erklärt um es zu zwingen, keinen Euro mehr zu nutzen?

  • Mit der Aufnahme Griechenlands kam uns die SPD teuer genug.

    Unsere Urenkel werden da noch hinzahlen.

    Es ist besser, wenn die SPD irgendwo im Nirwana verschwindet.

  • "Spieltheoretiker [..] seien da am Werk"

     

    Da hätte der Herr Gabriel gut daran getan im Neuland mal nach dem Begriff zu suchen ... aber der Bildzeitungsleser wird es auch nicht kapieren.

     

    So lange dieser Mensch in der Partei Rang und Namen hat kann ich mein Kreuz jedenfalls nicht dort machen - ich würde gerne so einen "Spieltheoretiker" mitwählen - naja bleibt vielleicht noch die Partei mit der promovierten VWLerinn...

  • Dass viele Politiker sich nicht genieren, sich von den Machern dieses verlogenen, menschenverachtenden ...blatts mit Interviews oder gar Kolumnen vereinnahmen zu lassen, mag sich noch damit erklären, dass auch der Pöbel (zu dem, in diesem Sinne, übrigens erschreckend viele Akademiker gehören) in der Wählerschaft entsetzlich viele Wählerstimmen hat und deshalb irgendwie "erreicht" werden muss. Wenn aber der Vorsitzende der SPD, zu deren treuen Stammwählern ich bis vor wenigen Jahren noch zählte, sich unreflektiert oder gar mit Bedacht in die Hetzkampagne dieser Volksverhetzer einspannen lässt, gibt es keine Entschuldigung mehr - das charakterliche Defizit ist zu groß.

     

    @KENDI:

     

    Ihre Ursachen-Analyse schildert nur einen Teil der Wahrheit: Natürlich haben Korruption und Nepotismus in Griechenland (nicht nur dort, aber nicht überall so offensichtlich!) lange Tradition. Wahr ist aber auch, dass der Pump, der dazugehörte, von den Geldgebern (sog. "Finanzmärkte") im Vertrauen darauf, dass Staaten nicht in Konkurs gehen können, kräftig befördert wurde. Aber diesen Irrtum haben die "3 Institutionen" ja geheilt und die faulen Kredite sozialisiert.

     

    Die Strukturen in Griechenland in Ordnung zu bringen, gegen den Widerstand aller Profiteure, zu denen auch die Beamtenschaft gehört (!), wird viele Jahre dauern. Es ist einfach unredlich, der seit 5 Monaten amtierenden Regierung vorzuwerfen, dass in dieser Richtung noch nichts passiert sei. Und was Ihren Vorschlag betrifft, die europäischen Länder (einschl. Schweiz?) sollten die Steuerflüchtlinge abkassieren: Schön wär's - aber leider schon rechtlich und verwaltungstechnisch über die Maßen schwierig.

    • 6G
      64984 (Profil gelöscht)
      @Bitbändiger:

      Teilweise haben Sie Recht. Ja, der Pump hat Mitschuld. Nepotismus, Klientelismus und Korruption kann man mit einer Alkoholsucht vergleichen. Und wenn man einem Süchtigem Alkohol mit 80% Rabatt verkauft, wie das geschehen ist, indem man Griechenland billige Kredite gegeben hat, darf sich niemand wundern, wenn dieser Alkoholsüchtige auf der Intensivstation landet. Und diejenigen, die den Alkohol verkauft haben, tragen eine große Mitschuld – nicht an der Alkoholsucht, aber daran, dass der Patient nun auf der Intensivstation liegt und für die erheblichen Kosten, die dadurch entstehen.

      In den letzten 5 Jahren hat man versucht, den Alkoholkonsum zu regulieren, ohne gleichzeitig die Sucht zu behandeln. Das ist wie ein kalter Entzug. Ziemlich brutal und wenig erfolgversprechend. Nun kommt eine Regierung, die zunächst mal über die Behandlungsmethode sprechen will und man sagt ihr, darüber wolle man nicht sprechen. Es interessiere alleine, dass der Alkoholkonsum sofort auf ein normales Maß sinke.

      Die Alkoholsucht zu behandeln, sprich Nepotismus und Korruption zu bekämpfen, wird Jahre dauern, selbst wenn man es richtig macht. Der neuen Regierung vorzuwerfen, sie hätte das ja in den letzten 5 Monaten nicht geschafft, ist unredlich. Da haben Sie Recht. Aber es ist auch dumm.

      Denn die Behandlung der Sucht ist das einzige, was auf Dauer Erfolg verspricht. Die Reichen und Mächtigen zur Kasse zu bitten und dafür zu sorgen, dass deren Macht eingeschränkt wird (durch Aufbau starker Institutionen wie Katasteramt, Steuerverwaltung etc.) die Unterstützung durch Europa (beispielsweise europaweite Kontensperrungen, Pfändungen) wäre genau das – eine Behandlung der Sucht. Dass das nicht einfach ist- und z.B. auf viele rechtliche und verwaltungstechnische Probleme stößt, ist klar. Niemand hat behauptet, die Behandlung einer Sucht wäre einfach. Aber es ist der einzige erfolgversprechende Weg. Und wie sagte doch Frau Merkel: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

  • Sich auf Gabriel zu beziehen macht doch keinen Sinn. Gegen den ist doch selbst ein Aal ein Igel.

     

    Morgen wird er den Kompromiss feiern, den Merkel ausgehandelt hat und die Deutschen schicken ein paar Milliarden nach Griechenland - nicht an die Menschen dort, wohlgemerkt, sondern an die Gläubiger. Und die verarmen bestimmt nicht.

     

    Dass die Menschen verarmen spricht nicht gerade dafür, den Euro beizubehalten. Eigentlich könnte man das langsam einmal begreifen.

  • 6G
    64984 (Profil gelöscht)

    Was Ihre Meinung zu Gabriels Verhalten betrifft, teile ich ihre Meinung. Aber Sie machen es sich meiner Meinung nach auch zu einfach, wenn Sie schreiben, dass es darum geht, "einem in Not geratenen Mitgliedsland solidarisch unter die Arme zu greifen." Die Probleme Griechenlands sind nicht vom Himmel gefallen. Sie sind nicht das Ergebnis einer Naturkatastrophe. Sie sind das Ergebnis jahrzehntelanger Politik, sowohl auf griechischer Seite, was Korruption und Klientelismus betrifft, als auch europäischer Politik, die es Ländern erlaubt, schmarotzerhaft zu leben (und zwar nicht nur Griechenland, sondern auch Luxemburg, Irland, Großbritannien, etc.), d.h. eigene Vorteile daraus zu ziehen, dass man den anderen schadet.

    Und wenn Sie ehrlich sein wollen, dann sollten Sie, statt Solidarität von den kleinen Steuerzahlern zu fördern, erst mal fordern, dass die EU alle reichen und superreiche Griechen zur Kasse bittet, beispielsweise mit einer 10%igen Sondervermögensabgabe, die mit harten Maßnahmen (Kontosperrungen, Pfändungen, etc) europaweit eingetrieben wird - also auch von deutschen und britischen Konten und Immobilienbesitz in London und Berlin. Und dazu würde es auch gehören, dass die Tanz mal Zahlen recherchiert und benennt (und seien es nur Spannen), wieviel Geld von wievielen Griechen ins Ausland gebracht wurde. Es ist eine Schande, dass arme Griechen für die reichen bluten müssen. Aber es wäre eine fast genauso große Schande' wenn der normale europäische und deutsche Steuerzahler dafür blechen muss. Und dieser zweite Aspekt kommt mir bei Ihnen doch um einiges zu kurz.

    • 1G
      10236 (Profil gelöscht)
      @64984 (Profil gelöscht):

      "Aber es wäre eine fast genauso große Schande' wenn der normale europäische und deutsche Steuerzahler dafür blechen muss."

       

      Der normale Steuerzahler muss schon seit langem für Juncker's Steuersparparadies und Großbrittaniens Abneigung gegen Finanztransaktionssteuer blechen. Die Summen dürften um einiges höher sein, als die griechischen Schulden. Die massive steuerliche Entlastung der Kapitalgewinne in den letzten 20 Jahren muss irgendwo ihren Gegenpart haben. Das sehen die Leute aber nicht direkt und BILD schreibt wohl auch nicht so viel darüber.

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    Gabriel kann sich noch so viel im Relativieren üben - was bleibt ist der verhängnisvolle Satz, der sicherlich von der Bild-Redaktion in endgültige, prägnante Form gegossen wurde. Hetze pur gepaart mit der reflexartigen sozialdemokratischen Abneigung gegen alles, was links von ihr steht. Wobei nach "New Labour" und "Neue Mitte" es sich vielmehr um Etikettenschwindel handelt.

  • Sigmar Gabriel schielt so sehr nach der Zustimmung von Leuten, die sowieso nie SPD wählen würden, dass er gar nicht zu merken scheint, wie sehr er es sich mit denen verdirbt, auf die eine SPD geführte Regierung angewiesen bleibt und zu denen ich mich selbst zähle. Das gilt nicht nur für die Griechenlandfrage, sondern vor allem für TTIP und CETA. Die einst so stolze Sozialdemokratie bleibt so als "ewiger" Juniorpartner der CDU im "25% Türmchen" stecken, obwohl die Linke aus verschiedenen Gründen für viele nicht wirklich wählbar ist und die Grünen andere Themenschwerpunkte haben. Die Wahlbeteiligung, vielerorts ohnehin schon im Keller, wird so nur weiter abnehmen.

  • Die "Bild" wieder einmal als Informationsorgan - das sagt doch schon alles über das miese Stammtischniveau dieser Regierung.

    • @Ulrich Frank:

      wir 68er waren uns zu schade und auch zu inkompetent eine alternative, kluge, spritzige bild-zeitung zu kreieren. weil: viele von uns, auch ich, waren mit herz und kopf in tirana und peking - lasen eher maos bibel statt twen...