Debatte Ostdeutsche und Migranten: Nicht in die Fallen tappen

Der Vergleich von Ostdeutschen und Migranten ist beliebt. Doch er beruht auf einem groben Denkfehler. Eine Replik auf Naika Foroutan.

Das Staatswappen der DDR am Checkpoint Charlie

Wie kann man einem Staat nachtrauern? Foto: imago/Jürgen Ritter

In einem Interview mit der taz hat Naika Foroutan eine Studie angekündigt, in der die Lage der Ostdeutschen und der Migranten verglichen wird. Mit der Fragestellung, ob nicht beide Gruppen genauso diskriminiert werden und damit Erlebniswelten teilen, die geprägt sind von Demütigung, Abwertung und Benachteiligung. Täter in beiden Fällen: der Westen.

Nun, vergleichen kann man alles. In den ersten Jahren nach der Einheit, als im Osten ganze Landstriche von Rechtsextremen beherrscht und sichtbare Minderheiten aller Art gehetzt und getötet wurden, gab es kaum Ost und West vergleichende Forschung zu Rassismus oder Antisemitismus. Das war eine vertane Chance. Das zentrale deutsche Thema, der Umgang mit Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus, war bis auf wenige Ausnahmen ausgeblendet.

Gegenwärtig erlebt der Osten eine Renaissance. Er passt in das Heimat- und Identitätsgeschwurbel der letzten Jahre. Er passt, weil im Osten ein riesiges Forschungsfeld für das Unverstellte, das Authentische bereitsteht, „unverschmutzt“ durch Einwanderung und andere ambivalente, ungleichmachende Westprodukte.

Ostdeutschland, ein natürlicher Quell von Gefühlen gegen Kapitalismus, gegen Amerika und Israel, gegen den kalten, urbanen, abstrakten Universalismus, dem man längst nicht so viel abgewinnen konnte wie Russland mit seiner großen Seele. Wie man jene Atmosphäre, die nach kleinlicher Provinz und angehaltenem Atem roch, bis heute als Sehnsuchtsort beschreiben kann, ist mir schleierhaft.

Einer der großen Fehler der Nachwendezeit

Vielleicht lässt sich das mit dem ostdeutschen Gemeinschaftsgefühl erklären. Alles, was mit Identität zu tun hat, ist wieder stark im Kommen. Volkssolidarität und Völkerfreundschaft, freilich exklusiv für weiße Mehrheitsossis, sind bis heute das Ideal der Kleinbürgermilieus. Solidarität des Volkes gegen „die da oben“ und Völkerfreundschaft nach dem Modell des Ethnopluralismus: Völker grüßen einander, begegnen sich manchmal, um dann wieder schnell zurück ins Eigene zu huschen. Ohne Vermischung, versteht sich. Auch das passt in die Zeit der Identitätspolitik.

Seitdem Pegida, AfD und Neurechte direkt und indirekt Ton und Inhalt der Debatten bestimmen, werden auch Stimmen lauter, die über Diskriminierung von Ossis klagen. Immer wieder melden sich in letzter Zeit Prominente zu Wort, die sich mehr Ostdeutsche in Politik, Medien und Wirtschaft wünschen.

Diese Generation ist, bedingt durch Wendeschock und DDR-Erziehung, bis in die Knochen passiv-aggressiv.

Einer der großen Fehler der Nachwendezeit zeigt hier seine Wirkung. Statt, wie nach dem Krieg in der Bundesrepublik, das Aufbauprogramm inklusive der NS-belasteten Menschen voranzutreiben, wurde das Aufbauprogramm Ost ohne die DDR-Sozialisierten vorgenommen. Der gesamte Mittelbau der DDR erlebte Warteschleifen, Abwicklung, ABM-Maßnahmen.

Diese Generation ist, bedingt durch Wendeschock und DDR-Erziehung, bis in die Knochen passiv-aggressiv. Bei ihren Kindern löste ihr dumpfes Leiden vor allem Wut aus. Diese Wut war symbiotisch mit den Eltern, kein Aufbegehren gegen sie, nur gegen das System. Diese Wut war einer der Auslöser für die rechtsextreme Dominanz unter Jugendlichen in Ostdeutschland.

Wie kann man einem Staat nachtrauern?

Quellen dafür gab es noch andere, weiter zurückliegende. Im Osten war eine systemische und individuelle Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und der Shoah nicht gewollt. Dies hätte zu Fragen nach Menschenrechten oder Minderheitenschutz geführt, die nur bei Strafe des Untergangs der DDR zu beantworten gewesen wären.

Zurück zur Vergleichsstudie. Jana Hensel (Ost) in der Zeit und Ferda Ataman (West) im Spiegel bejubelten die Idee. Mir sind dabei zwei Dinge aufgestoßen: die Gefühligkeit bei gleichzeitigem Ausblenden eines deutschen Grundproblems. Jana Hensel bekam eine Gänsehaut bei der Vorstellung, ausgerechnet von einer Migrantin verstanden zu werden. Als eine, die ihre Heimat verlor, weil ihr Land verschwunden ist, die Herabsetzung als Ossi erlebte.

Das Land ist verschwunden? Doch eher der Staat. Wie kann man einem Staat nachtrauern? Die Migrantin als Schwester in der Not hilft Hensel, dem Schicksal der weißen Ostdeutschen mit etwas mehr Empathie zu begegnen.

Ferda Ataman macht es umgekehrt. Auch sie erhofft sich Empathie und Verbündete. Diese ausgerechnet in den Ostdeutschen zu suchen, deren Abwehr gegen alles Fremde sie offenbar besonders prädestiniert, ist befremdlich.

Die Verostdeutschung von Gefühlen und Vergleichen

Gegen jede Sachkenntnis über den allgegenwärtigen Rassismus im Osten schwingt bei Ataman die Vermutung mit, dass jene Fremdenfeindlichkeit ja auch nur ein böses Klischee sein könnte. Ein Vorurteil, wie das gegen Migranten. Dass Individuen nicht Klischees zum Opfer fallen dürfen, versteht sich von selbst. Warum aber das Reden über „die Ostdeutschen“ und „die Migranten“ als Kategorie? Diese Frage müssen sich beide stellen lassen.

Was besonders empört, ist, dass die Situation von Minderheiten stets ausgeblendet und dass Empathie offenbar mit unsinnigen, teils verletzenden Vergleichen erkauft werden muss. Weder in der DDR noch danach war es lustig, einer Minorität anzugehören. Die Nazis im Osten haben ganze Regionen terrorisiert und tun es noch. Gemerkt haben das meist nur ihre Opfer. Dem Durchschnittsossi war das ebenso egal wie dem Wessi, der sich nicht „einmischen“ wollte.

Wie können nicht rassistische Ossis wie Jana Hensel sich solchen Vergleichen hingeben, während jeden Tag Schwarze und Migranten durch die Straßen gehetzt werden? Am schlimmsten finde ich, dass die Melange aus Gefühlen für verschwundene Sehnsuchtsorte und den Diskriminierungserfahrungen als Ostdeutsche sich zu einer Art Erklärung für die Pogrome in Rostock und anderswo steigert. Dass Ferda Ataman im Gefühligen bleibt, statt auf Solidarität zu bestehen, ist ebenso befremdlich.

Die Verostdeutschung von Gefühlen und Vergleichen ist leider noch ausbaufähig. Deshalb sollte man, bei aller Liebe zum Eigenen, nicht in die aufgestellten Identitäts- und Heimatfallen tappen.

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warnte als erste und einzige Ausländerbeauftragte des Ostberliner Magistrats früh vor dem Rechtsextremismus. 1998 gründete sie die Amadeu Antonio Stiftung – Initiativen für Zivilgesellschaft und demokratische Kultur, deren Vorsitzende sie ist.

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