Debatte Özils Hochzeit und rechte Lieder: Ach, Mutter!

Der Fußballer Mesut Özil feierte seine Hochzeit in der Türkei mit einem Lied, dessen Text auf Unterdrückung und Auslöschung gründet.

Mesut Özil, seine Frau Amine Gülse und Erdogan bei der Hochzeit

Kein Märchen: Mesut Özils Hochzeit Foto: ap

Dieser Türke heiratet wie ein richtiger Türke: Es ist der Henna-Abend des Paars Amine Gülşe und Mesüt Özil („Deutscher“, „Türke“, „Deutschtürke“, „Deutscher mit Migrationshintergrund“, „Sohn von türkischen Eltern“), der Abend vor der Hochzeit. Özil und Gülşe lachen, sind festlich gekleidet. Sie trägt eine Krone. Er einen Anzug. Eine Bilderbuchliebe, eine Szene wie aus einem türkischen Film.

Weil die Türkei ein türkischer Staat ist, werden türkische Lieder beim Henna-Abend oder bei der Hochzeit gespielt. Aus den Boxen dröhnt ein Lied. Mustafa Yıldızdoğan (türkischer Sänger, na klar) singt: „Ölürüm Türkiyem“ (Ich sterbe für dich, meine Türkei). Die Hochzeit hat so ziemlich jeder mitbekommen, Videos der Szene finden sich im Netz.

Wofür sich aber keiner interessiert: Mustafa Yıldızdoğan war ein glühender Anhänger von ­Alparslan Türkeş, dem rechtsextremen Gründer der Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) in der Türkei. Das Lied „Ölürüm Türkiyem“ ist ein völkisches Lied, es ist die Hymne der Rechtsextremen in der Türkei. Abgesehen von der Frage, ob das ein guter Henna-Abend-Party-Hit ist, muss man sich einfach mal vorstellen, auf dem Polterabend von Bastian Schweinsteiger würde das Horst-Wessel-Lied gespielt.

Was in Deutschland zu wenige verstehen: Es gibt auch Rechte in der Türkei. Und auch da sind es nicht nur glatzköpfige, saufende Pöbler und Pöbelinen mit dicken Bäuchen und schlechter Haut, sondern genauso Angehörige der High Society eines Landes in Abendgarderobe.

Kein iPod-Shuffle-Zufall

Ja, die Debatte über Özil wurde zum Teil rassistisch geführt, aber das heißt nicht, dass er selbst nicht auch rassistisch sein kann. Und das muss ebenfalls benannt werden. Die Hymne der Rechtsradikalen auf seinem Polterabend zu spielen ist kein iPod-Shuffle-Zufall. Genauso wenig ist es ein Zufall, den Autokraten Erdoğan als Trauzeugen zu wählen. Hat Özil keine Freunde?

Dieses Lied, das türkische Herzen noch schneller und türkischer für ihr Land schlagen lässt, war einmal ein kurdisches Lied der Gruppe Koma Dengê Qamişlo. Es heißt „Daye – Mutter“ und ist von 1986. „Ölürüm Türkiyem“ ist die Umschreibung eines kurdischen Liedes in ein türkisches – mit einem türkischnationalistischen Text. Wie perfide.

Rechte Lieder bleiben rechte Lieder – egal in welcher Sprache sie gesungen werden

Nazis gibt es nicht nur in Deutschland. Es gibt auch türkische Nazis. Und sie sind organisiert. Paramilitärisch (Graue Wölfe) und Parlamentarisch (Partei MHP). Beide, Graue Wölfe und MHP, gehen auf den von ihren Anhängern heute immer noch glühend verehrten Hitler-Sympathisanten Al­parslan Türkeş zurück, der Sätze gesagt hat wie diese: „Der Islam ist unsere Seele, das Türkentum unser Körper“ und „Wenn ihr Kurden weiterhin eure primitive Sprache sprecht, werdet ihr von den Türken auf die gleiche Weise ausgerottet wie schon Georgier, die Armenier und die Griechen.“

MHP und Graue Wölfe propagieren die Überlegenheit der „türkischen Rasse“. Sie sind antisemitisch, homophob und rassistisch. In den 60er bis 90er Jahren haben die Graue Wölfe in der Türkei zahlreiche Mordanschläge auf Kommunist*innen, Journalist*innen und kurdische Politiker*innen sowie Pogrome gegen Alevit*innen (Sivas, Kahra­man­maraş) verübt. In Deutschland haben die Grauen Wölfe schätzungsweise 18.000 Mitglieder. Wer türkische Nazis verharmlost oder in Schutz nimmt, verharmlost auch deutsche Nazis. Rechte Lieder bleiben rechte Lieder – egal in welcher Sprache sie gesungen werden.

In Kurdistan brennt der Weizen

Während Özil, Gülşe und ihre Hochzeitsgäste im Patriotismus ertrinken, brennen in Kurdistan die Felder. In Qamischli, in Tirbespî, Kobanê, in ganz Rojava, dem kurdischen Gebiet in Syrien, wird das Getreide angezündet, seit der IS in seiner Zeitschrift al-Naba dazu aufgefordert hat.

Nicht nur der IS, sondern auch die türkische Armee soll Felder in Brand gesteckt haben. In Kurdistan brennt der Weizen. Asche kann man nicht essen, man erntet Hunger. Auch im Irak, in Shingal, wo ohnehin längst alles zerstört ist, seit der IS 2014 eingefallen ist und einen Genozid an den Jesiden verübt hat, und wo gerade die Massengräber exhumiert werden, brennt es. In Shingal folgt nun auf die Auslöschung die Auslöschung der Auslöschung. Das Feuer droht auch die Beweise für den Genozid zu zerstören.

Die Kriegstaktik der „verbrannten Erde“ ist so alt wie der Krieg selbst. In den Gallischen Kriegen wurde Feuer als Kriegswaffe eingesetzt, bei den Kreuzzügen, im Hundertjährigen Krieg; die Wehrmacht setzte bei ihrem Rückzug aus Norwegen ganze Landstriche in Brand, das türkische Militär in Dersim, die Taliban in Afghanistan. Despoten wie Assad und Erdoğan versuchen, sich mit Gewalt eine triumphale Geschichte zu schreiben.

Die Geschichte ist im Nahen Osten entweder eine panarabische wie in Syrien (Syrien, die Republik der Araber), eine türkische (Republik Türkei), oder eine sunnitisch-islamistische, wie die des IS. Alle anderen Erzählungen (die der Minderheiten) werden gelöscht. Die Erinnerung an die Auslöschung wird gelöscht. Die Sprache der Unterdrücker überschreibt die Sprache der Unterdrückten. Tunceli überschreibt Dersim. Die Türkei überschreibt die Mutter in einem Lied.

Im kurdischen Afrîn wird seit dem Einmarsch des türkischen Militärs an den Schulen kein Kurdisch, sondern Türkisch unterrichtet. 150.000 Kurden wurden vertrieben, jesidische Friedhöfe und Schreine zerstört. Araber und Turkmenen aus anderen Teilen Syriens werden angesiedelt. Islamistische Brigaden überziehen die Stadt mit ihrem sunnitischen Islam. Frauen sollen nur noch verschleiert das Haus verlassen.

Am Bosporus geben sich Özil und Gülşe mit Erdoğan an der Seite das Jawort (Evet). Sie feiern zu einem Lied, dessen Text auf Auslöschung gründet. Das ist Teil derselben Ideologie. Diese Ideologie ist Zündstoff. Völkische Lieder sind Brandbeschleuniger. Ach, Mutter!

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Kolumnistin, Autorin, Lyrikerin und Journalistin. Schreibt zusammen mit Cemile Sahin die Kolumne OrientExpress

Cemile Sahin ist Künstlerin. Ihr Debütroman erscheint im Oktober im Korbinian Verlag. Sie ist Stipendiatin der Akademie der Künste und Trägerin des „ars viva“-­Preises für Bildende Kunst.

Ronya Othmann ist Autorin. Sie ist nominiert für den Ingeborg-Bachmann-Preis und schreibt unter anderem für die taz, den Spiegel und Zeit Online.

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