Debatte Muslime in Deutschland: Distanziert euch!
Viele in Deutschland nehmen an, Muslime stünden automatisch dem IS näher als den Opfern. Die Islamophobie geht in die nächste Runde.
M uslime, distanziert euch, heißt es allenthalben, wenn Terrorakte im Namen des Islams verübt werden. Merkwürdig nur, dass die Distanzierungen dann so wenig registriert werden; gerade so, als wollte man nicht glauben, dass es sie gibt. Dabei haben bis hin zum nun wirklich fundamentalistischen Großmufti von Saudi-Arabien alle maßgeblichen Autoritäten der islamischen Welt den sogenannten Islamischen Staat scharf verurteilt.
Ebenso haben wir uns als Professoren für Islamische Theologie in Deutschland von den Gräueltaten distanziert: „Deutungen des Islam, die ihn zu einer archaischen Ideologie des Hasses und der Gewalt pervertieren, lehnen wir strikt ab“, heißt es in der Stellungnahme. Distanziert haben sich, mehrfach, auch die muslimischen Dachverbände. Nach dem 11. September hatten wir die gleiche Situation. Auch da hieß es immer, ihr distanziert euch nicht – noch als Muslime zu Zehntausenden in Köln auf die Straße gegangen waren.
Mich ärgert jedoch nicht nur, wie wenig diese Distanzierungen wahrgenommen werden. Mich ärgert auch die allgemeine Ignoranz. Denn es sind doch Muslime, die versuchen, dem sogenannten Islamischen Staat das Handwerk zu legen. Wieso glaubt man, deutsche Muslime seien den Muslimen näher, die Jesiden und Christen verfolgen, statt denen, die ihnen zu Hilfe eilen und ihnen Unterschlupf gewähren? Es hat sich scheinbar noch nicht überall herumgesprochen, denn noch immer wird er als solcher bezeichnet. Doch es ist dies kein Kampf zwischen dem Westen und den Muslimen. Schließlich sind es zuallererst sunnitische Kurden und Schiiten, die die IS-Terrorbande bekämpfen und die Flüchtlinge aufnehmen.
1971 in Köln geboren, ist Professorin für Islamische Studien an der Universität Hamburg. 2013 erschien von ihr: „Den Islam neu denken. Der Dschihad fürDemokratie, Freiheit und Frauenrechte" (C. H. Beck Verlag)
Und warum ist es keine Selbstverständlichkeit anzunehmen, dass Muslime in Deutschland terroristische Akte nicht gutheißen? Wieso sollten wir? Vielleicht weil, wie kürzlich in der NZZ behauptet wurde, der Islam kein Tötungsverbot kennt? Der das behauptet hat, Martin Rhonheimer, ist Professor für Ethik an der Päpstlichen Hochschule Santa Croce in Rom. Er meint, die islamische Theologie verfüge über keine argumentativen Ressourcen, um das Morden des sogenannten Islamischen Staates zu verurteilen. Deshalb, so seine Folgerung, können islamische Theologen und dementsprechend muslimische Laien gar nicht gegen den sogenannten Islamischen Staat sein.
Weil also der Islam kein Tötungsverbot kenne, müssen Muslime sich distanzieren. Weil der Islam kein Tötungsverbot kenne, darf man annehmen, dass Muslime dem IS-Terror etwas abgewinnen können. Ob Rhonheimer das Tötungsverbot des Islams tatsächlich nicht kennt, oder unterschlägt er sein Wissen bewusst? Ich halte Letzteres für wahrscheinlicher – und das wäre, weil bewusst verfälschend, eindeutig islamophob motiviert.
Gewollte Unkenntnis
Mir ist als aufmerksame Zeitungsleserin schon viel Unsinn über den Islam untergekommen, aber die Debatte der letzten Wochen schlägt dem Fass den Boden aus.
Und wenn das Flaggschiff des Qualitätsjournalismus, die NZZ, solchen Unsinn verbreitet und oder die liberale Zeit Hamed Abdul Samad, dessen Buch über den „Islamischen Faschismus“ angesichts der offenkundigen Unkenntnis der islamischen Tradition und der arabischen Geschichte von sämtlichen Experten zerpflückt worden ist, zu ihrem Hausautor über den Islam macht, dann braucht man sich über Äußerungen wie die von Nikolaus Fest in der Bild auch nicht zu wundern: „Ist Religion ein Integrationshindernis?“, fragte Fest kürzlich und gab die Antwort umgehend selbst: „Beim Islam wohl ja.“
Wenn der Islam ein Integrationshindernis ist, dann können Muslime wohl nicht zu Deutschland gehören. Denn schließlich ist nur ein fundamentalistischer Muslim ein echter Muslim. Und dann gehört der Muslim natürlich auch nicht zu diesem Gemeinwesen dazu. Und es lässt sich auch nicht automatisch annehmen, er oder sie seien gegen Gewalt – wie man das beim Großteil der nicht muslimischen Staatsbürger der Bundesrepublik selbstverständlich und zu Recht voraussetzt.
Nicht Teil des Gemeinwesen
Die Tatsache, dass Muslime als Muslime ein Zeichen setzen sollen, nicht als Bürger dieses Landes, löst bei mir ein Unbehagen aus. Als Lichterketten stattfanden, um gegen die Morde in Mölln und Solingen zu protestieren, oder wenn eine Veranstaltung wie Birlikte, Zusammenstehen, stattfindet – wie kürzlich in Köln –, dann geht es immer um ein Zusammenstehen als Gemeinwesen. Darum, dass man sich gemeinsam positioniert. Aber wenn wir uns als Muslime positionieren sollen, werden wir nicht als Teil des deutschen Gemeinwesens gesehen, sondern als die Anderen: die, die nicht dazugehören – und ihre Einlasstauglichkeit erst beweisen müssen. Und zwar immer und immer wieder.
Das Problem aber, mit dem IS auch die deutsche Gesellschaft konfrontiert, ist nicht nur eines der Muslime. Ein Fünftel aller Dschihadisten, die aus Deutschland in den Irak und nach Syrien gezogen sind, sind konvertiert. Forscher sind sich einig, dass sie geradewegs zum Dschihadismus konvertierten. Vom Islam haben einige so wenig Ahnung, dass sie sich als Reiselektüre „Islam for Dummies“ bei Amazon bestellt haben.
Wir müssen uns gemeinsam fragen, was hier schiefgelaufen ist. Warum halten junge Menschen, vor allem Männer, den Weg in den Dschihadismus für eine legitime Option? Was ist daran attraktiv? So etwas macht man nicht aus Verbundenheit mit der islamischen Tradition. Gerade sie wird von Dschihadisten durch den Rückgriff auf einen angeblichen Urislam entschieden negiert.
Wenn wir glauben, das Problem ließe sich lösen, indem die Muslime sich fleißig von den Gräueltaten anderer Muslime distanzieren, schaffen wir kein „neues deutsches Wir“, sondern ein noch ausgeprägteres Ihr. Was hier im Moment geschieht, ist nicht Birlikte, sondern die erneute Ausgrenzung. Nach dem Motto: Erbringt gefälligst einen Beweis, dass ihr zu uns gehört.
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