Debatte Medienkritik: Lust am Dogma
Journalisten als eifernde Frontkämpfer? Warum es zu einer Vertrauenskrise zwischen dem Schreiber und dem Leser gekommen ist.
J ournalisten sind Geschichtenerzähler. Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Geschichten oft in der Wolle gefärbte Selbsterfahrungsberichte sind. Der Journalist bedient sich aus den Regalen der Wirklichkeit, er greift aber auch in die Grabbelkiste seiner konstruierten Wirklichkeit. Er ist Surfer zwischen Objektivität und Subjektivität.
Es ist ein erkenntnistheoretischer Balanceakt, der oft schiefgeht, zumal der Journalist heute ein Getriebener ist. Er inszeniert sich nicht nur auf der Bühne seiner Arbeit, sondern auch in den sozialen Medien, wo er zum Rollenspieler in seiner Peergroup wird.
Die Gruppe hat klare Ansichten, ein Innen und Außen. Sie weiß meist, was richtig und falsch, wer böse und gut, wer links und rechts ist. Die Vergemeinschaftung des Journalisten im Digitalen hat zu einer neuen Lust am Dogma geführt, das heißt, es werden gern Lehrmeinungen gehandelt, die als unumstößlich gelten.
Der im Netz verkumpelte Journalist läuft Gefahr, weniger abzuwägen. Er verzichtet schon mal auf Differenzierung und schlägt sich allzu schnell auf eine Seite. Meist ist es die Seite, auf der Gleichgesinnte die Demarkationslinie zu ihrer Wahrheit verteidigen wie eine Front, die unbedingt zu halten ist.
Wir gegen die
Der Journalist als Frontkämpfer einer bestimmten Wahrheit? Der Spiegel hatte sich immer schon recht martialisch als das „Sturmgeschütz der Demokratie“ inszeniert. Das sollte aber bedeuten: Wer da oben Scheiße baut, den nehmen wir uns vor.
Die heutigen Frontkämpfer des Journalismus verschießen ihre Munition dagegen gern gegen „die Anderen“. Es kommt nicht selten zu Scharmützeln zwischen Journalisten-Peergroups und solchen, die sich als Journalisten selbst ermächtigen in Blogs, alternativen Medien, auf Twitter und Facebook.
Wir gegen die, das ist der Slogan, der die eigentliche journalistische Arbeit oft überlagert. Dabei schwingt die Entrüstung darüber mit, dass die klassischen Medien nicht mehr so dominant auftreten, sondern sich in einem wirtschaftlich prekären Umfeld behaupten müssen. Der Hegemon hüstelt, ist angekränkelt von einer Krise, die sich zu verschärfen droht und als Menetekel den Untergang der gedruckten Zeitung an die Wand malt. Es geht also auch ums Überleben. Und umgekehrt um die Eroberung neuer publizistischer Räume.
Der Zweck scheint bei der Selbstbehauptung der Alten und der Selbstermächtigung der Neuen oftmals die Mittel zu heiligen: Es wird in sozialen Medien mit Unterstellungen, Anfeindungen und auch Lügen gearbeitet. Im Zentrum des Scharmützels der Wahrheitskämpfer steht: die Deutungshoheit. Kurzum: Wer macht den anderen am besten klein? Das Privileg, dabei auch mal rücksichtslos vorzugehen, haben nicht nur Hass-Twitterer.
Verbündet im Netz
Im Zeitalter des Digitalen – und somit der digitalen Rüpelei – muss mehr denn je über das Selbstverständnis des Journalisten gesprochen werden. Ist er tatsächlich noch vierte Gewalt und damit Träger einer besonderen Verantwortung? Oder ist das nicht alles irgendwie obsolet? Darf er auch Aktivist, Pädagoge und ein Schreiber sein, dessen Agenda den Leser zwischen den Zeilen quasi anspringt? Und wie ist der Leser zu behandeln? Als jemand, dem man zeigt, wie es in den Hinterzimmern der Politik bisweilen zugeht – oder dem man erklärt, wie er die Welt zu sehen hat? Wo beginnt die Bevormundung, wo endet die Aufklärung? Hat der Journalist Gesinnungs- oder Verantwortungsethiker zu sein? Oder vielleicht beides?
In den vergangenen Jahren ist es zu einer Drift gekommen. Der unabhängige Journalist – und damit ist jener Typus gemeint, der sich nicht unter den schützenden Baldachin einer Gruppe flüchtet und dort an der zum Teil aggressiven Vermarktung der Gruppendogmen beteiligt – ist scheinbar in der Minderzahl. Wer sich nicht verbündet im Netz, der geht unter, wird nun oft geraunt. Aber heißt das nicht auch, dass der unabhängige Journalismus untergeht?
Journalismus, wie er im klassischen Sinne gelehrt wurde, besagt, dass der Schreiber sich erst über eine Sache auslassen darf, wenn er sie gründlich verstanden und wenn er sie von allen Seiten beleuchtet hat. Wenn er trotz des tiefen Eindringens in eine Themenwelt Beobachter geblieben ist. Wenn er sich bei der Recherche vom Einzelnen zum Allgemeinen vorantastet und erst dann mit relativ sicherem Wissen Aussagen über größere Zusammenhänge trifft.
Der Journalist muss ein sorgfältiger und genauer Arbeiter sein, ein Differenzierer und Abwäger, auch weil sein Beruf kein geschützter ist und seine Arbeit von zwei Instanzen beglaubigt werden muss: dem Arbeitgeber und – viel wichtiger – dem Leser. Der erstarkende Peergroup-Journalismus aber läuft dieser Methodik der Sorgfalt zuwider, denn seine Mitglieder wissen oft schon vorher, was sie eigentlich erst hinterher hätten wissen können.
Aufkeimende Skepsis
Dieser Journalismus ist nicht selten belehrend, rechthaberisch und selbstgefällig. Sein Maßstab ist die Zustimmung der Peergroup. Nicht der Leser wird zum Adressaten, sondern andere, mit dem Schreiber verkumpelte Journalisten. Um nicht ausgeschlossen zu werden von der Peergroup, grüßt man lieber den Gesslerhut.
Der Leser ist freilich nicht so doof, wie sich das manch ein Journalist vorstellen mag. Er gibt nicht mehr regelmäßig sein Plazet zu dem, was ihm vorgesetzt wird. Er beglaubigt vieles nicht mehr. Der Leser ist skeptisch geworden, weil er über ein gutes Sensorium im Erspüren eines selbstbezüglichen Journalismus verfügt, einer Presse, die ihre Grundsätze bisweilen fahrlässig außer Acht lässt – wie auch eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung über die nahezu gleichgeschaltete Berichterstattung in der Flüchtlingskrise gezeigt hat. Wenn nicht mehr gesagt wird, was ist, sondern vielmehr, was sein sollte, dann haben die Medien ein Glaubwürdigkeitsproblem.
Fakt ist: Es gibt eine Vertrauenskrise zwischen dem Leser und dem Journalisten. Nein, es sind nicht die „Lügenpresse“-Krakeeler, die sinnbildlich für diese Enttäuschung stehen, es sind eher bürgerliche Kreise, es sind Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, die sich nach einem Journalismus sehnen, der im besten Sinne unabhängig ist. Der offen ist, vielgestaltig, überraschend, diskursfreudig – und auch demütig.
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