Das Jahr der Brandanschläge: Es muss laut werden in Deutschland
Mehr als 120 Brandanschläge sind in diesem Jahr auf Flüchtlingsunterkünfte verübt worden. Dagegen braucht es endlich unüberhörbaren Aufstand.
Es lodert still in Deutschland. Erst an Weihnachten wieder warfen vier Täter in Schlettau im Erzgebirge Brandsätze in ein geplantes Flüchtlingshaus, die anwesenden Sicherheitskräfte schreckten sie nicht ab. Auch in Schwäbisch Gmünd, in Baden-Würrtemberg, brannte eine im Bau befindliche Unterkunft.
Es folgte das Übliche. Fassungslose vor Ort, Politiker, die die „feige Tat“ verurteilten. Aber auch das große Schweigen. Mal wieder.
Es ist still in Deutschland. Zu still dafür, dass in diesem Jahr 121 Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte verübt wurden. Zur Erinnerung, im vergangenen Jahr waren es: sechs. Nimmt man die eingeworfenen Scheiben dazu, die gefluteten Keller, die an die Fassade geschmierten Hassparolen – dann zählen Sicherheitsbehörden 850 Straftaten gegen Asylunterkünfte in diesem Jahr. Auch das übertrifft das Vorjahr bei Weitem.
Wir haben uns an die Gewalt gewöhnt
Diese Gesellschaft aber reagiert mit Gleichgültigkeit, allenfalls kurzlebigem Erschrecken. Bis zum nächsten Anschlag. Sie hat sich an das Lodern gewöhnt, nimmt die Gewalt hin. Gewalt, die auf Hilfesuchende zielt, die im Dunkel der Nacht Schlafende attackiert, die längst auch den Mordanschlag in Kauf nimmt. Wie kann das sein?
Es ist etwas verrutscht in diesem Land. Auf der einen Seite stehen tausende Helfer in den Asylunterkünften, spenden Kleidung, geben ehrenamtlich Sprachkurse. Auf der anderen Seite aber ist der Hass in die Mitte gerückt.
Hinter den Bannern der „Nein zum Heim“-Kampagnen stehen längst nicht mehr nur Neonazis, sondern auch Anwohner, die bisher politisch nicht auffällig waren, jedenfalls nicht jenseits ihres Gartenzaunes. Nun sind sie es, die nachts mitzündeln.
Brandstifter entkommen fast immer
Der Polizei gelang es nur in wenigen Fällen Brandstifter zu fassen, in erschreckend wenigen: Rund zwei Drittel der Taten bleiben unaufgeklärt. Unter den Geschnappten war den Ermittlern nur jeder Dritte bekannt. In Escheburg legte ein Finanzbeamter Feuer in einem Flüchtlingshaus. Vor Gericht sagte er, er habe Angst um das „Schöne“ gehabt, das sich seine Familie aufgebaut habe. In Altena war es ein junger Berufsfeuerwehrmann, der „persönliche Verärgerung“ angab. Das also reicht inzwischen, um das Leben von Menschen aufs Spiel zu setzen.
Denn immer mehr Anschläge richten sich auch gegen bewohnte Unterkünfte. In Salzhemmendorf flog ein Molotowcocktail in das Kinderzimmer einer Familie aus Simbabwe. In Freiberg explodierte ein Sprengsatz in einem Heim, sieben Bewohner wurden verletzt. In Heppenheim wurde ein Flüchtling schwer verletzt, als er sich mit einem Sprung aus dem Fenster vor dem Feuer rettete. So bitter es ist: Es scheint derzeit nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis es erste Tote gibt.
Es ist eine Schranke gefallen. In einer Studie der Universität Bielefeld behauptete fast die Hälfte der Befragten, Zuwanderer würden in ihrer Heimat gar nicht verfolgt. 15 Prozent sagten, sie seien bereit, sich „mit körperlicher Gewalt gegen Fremde durchzusetzen“.
Offene Demokratieverachtung
Die Empathielosigkeit und Verrohung von Teilen der Gesellschaft geht einher mit einem Demokratieverdruss, der in offene Verachtung umgeschlagen ist. „Volksverräter“ und „Lügenpresse“ wurden 2015 zu den Lieblingsparolen der Hassbürger. Dazu kommt eine Abstiegsangst, die sich schon in der jüngsten Griechenlanddebatte zeigte und jetzt wieder aufbricht. Sie macht blind gegenüber der Not der Asylsuchenden – aus Sorge wieder zu kurz zu kommen.
Dieses Gefühl wird angeheizt von einer rassistischen Stimmungsmache wie es sie lange nicht gab. In Dresden erlebte die Pegida-Bewegung ihr Comeback, immer schriller werden dort die Töne gegen Flüchtlinge. Und die Menge skandiert ihren Willen zur Tat: „Widerstand“. Bundesweit setzt sich die AfD fest – mit im Grunde nur noch einem Thema: der Ablehnung der Asylsuchenden. Die Pegida-Sorgenträger nennt die Partei „natürliche Verbündete“, sie spricht von „Angstzonen“, die Flüchtlinge schaffen, warnt vor einer „Auflösung Deutschlands“.
Empfohlener externer Inhalt
Es ist eine Rhetorik der Eskalation. Nicht zufällig bündelt sich die Gewalt gegen Flüchtlinge in Sachsen, der Pegida-Geburtsstätte und AfD-Hochburg. Das Demonstrieren gegen Unterkünfte, das Bedrängen von Helfern gehört hier zum rassistischen Alltag.
Dennoch: Die Angriffe auf die Asylunterkünfte ziehen sich quer durchs Land, werden in der schwäbischen Provinz wie im so weltoffenen Berlin verübt. Auch die CSU lässt sich zur Stimmungsmache hinreißen, wenn sie mit „Notwehr“ gegen den Flüchtlingszuzug droht.
Hass in der Blase
Für die Zündler sind dies Aufrufe zur Tat. Diese bewegen sich in einer zunehmend abgeschotteten Parallelgesellschaft. Dort werden über das Internet oder in Anti-Asyl-Märschen nur noch vermeintliche Gräuelgeschichten über Flüchtlinge wahrgenommen, wachsen Angst und Abwehr – zu der inzwischen wie selbstverständlich das Feuerzeug gehört, weil nichts einfacher Fakten schafft.
Es wird schwer sein, in diese Blase einzudringen. Es wird mit jeder Woche schwerer, in der nach den Anschlägen wieder zur Tagesordnung übergegangen wird. Wir hatten das schon einmal. Bereits 1991 gab es eine anschwellende Serie an Brandanschlägen gegen Flüchtlingsheime, 338 an der Zahl. Die Reaktionen waren damals ebenso überschaubar. Dann warfen im Jahr darauf zwei Neonazis Molotowcocktails in zwei von türkischen Familien bewohnte Häuser. Die zehnjährige Yeliz Arslan starb, die 14-jährige Ayse Yilmaz starb, die 51-jährige Großmutter Bahide Arslan starb. Erst danach gab es bundesweit Lichterketten und Demonstrationen. Muss es erst wieder soweit kommen?
Schulterschluss gegen die Feuerleger
Es darf nicht. Wir müssen jetzt den Lauf des Zündelns stoppen. Dass selbst zu Heiligabend und an bewohnten Unterkünften gebrandstiftet wird, zeigt, dass es von den Gewalttätern kein Innehalten geben wird. Wir brauchen einen bundesweiten Aufstand gegen den Hass, einen politischen Schulterschluss gegen die Feuerleger.
Es ist Aufgabe der regierenden Politik sich klar und deutlich hinter die Helfenden und Anti-Rassisten zu stellen. Sie muss die geistigen Brandstifter in die Schranken weisen – auch in den eigenen Reihen.
Es ist aber auch eine Aufgabe an uns alle. Noch sind die Helfer in den Flüchtlingsunterkünften in der Mehrzahl, noch überwiegt die Empathie. Es ist das größte Pfund im Kampf gegen die Brandstifter: die Solidarisierung mit den Opfern, ein gelebtes Contra gegen die Gewalttäter.
Es reicht aber nicht, den Hass zu übertünchen. Es braucht auch einen Kampf gegen das Schweigen, gegen die klammheimliche Zustimmung für die Brandstifter. Wie kann es sein, dass so viele von ihnen unerkannt bleiben? Brüsten sie sich wirklich nirgends ihrer Taten? Wissen die Nachbarn wirklich so wenig?
Es gibt bereits Demonstrationen, so wie jetzt nach dem Brand zu Weihnachten in Schwäbisch Gmünd. Diese Empörung muss durch das ganze Land gehen. Es muss laut werden in Deutschland, laut gegen den lodernden Hass.
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