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DGB-Forderungen zum 1. MaiAuf wackligen Beinen

Kai Schöneberg
Kommentar von Kai Schöneberg

Die 1.Mai-Forderung nach Lohnerhöhung ist völlig nachvollziehbar. Nur: Ein Aufschlag könnte die Inflation zusätzlich anheizen.

Franziska Giffey und DGB-Chef Reiner Hoffmann auf der Kundgebung am 1. Mai in Berlin Foto: Jörg Carstensen/dpa

V iele Unternehmen jammern schon: Nach Corona, Lieferengpässen und Energiekostenexplosion jetzt auch noch üppige Lohnforderungen? Dann drohten Insolvenzen ohne Ende – und damit Jobverluste und Arbeitslose vor allem im Mittelstand. Die aktuelle Tarifrunde läuft – und die Forderung der IG Metall nach 8,2 Prozent mehr Geld für die Beschäftigten in der Stahlindustrie in Nordwest- und Ostdeutschland zeigt, wie sich die Gewerkschaften dabei aufstellen dürften.

Inflationsausgleich, Beteiligung der ArbeitnehmerInnen an Produktionsgewinnen und eine gerechtere Verteilung forderte der scheidende DGB-Chef Reiner Hoffmann auch dieses Jahr wieder bei den Kundgebungen am 1. Mai. Eigentlich völlig richtig. Denn im April lag die Inflationsrate bei krassen 7,4 Prozent. Allein Energie kostete über ein Drittel mehr als vor einem Jahr. Dies belastet vor allem Geringverdiener und sozial Benachteiligte. Und: Viele Firmen fuhren zuletzt Riesengewinne ein.

Der Krieg in der Ukraine und auch Corona sind allerdings zwei Variablen, die in der Rechnung der Gewerkschaften nicht auftauchen. Bei einem Stopp der Lieferungen von Öl und Gas, auf den der Westen nicht eingestellt ist und der deshalb die Energiemärkte schockt, drohen weitere Verteuerungen, die noch höher als die bisherigen liegen könnten. Weiteres Ungemach könnten die rigiden Maßnahmen gegen Corona in China einbringen.

Vor dem weltgrößten Containerhafen in Shanghai stauen sich gerade Tausende Schiffe, weitere Lockdowns im Land sind in Sicht. Das heißt: Europa steht vor riesigen Lieferkettenproblemen, die weiter die Inflation anheizen dürften. Ergo: Natürlich gilt der alte Slogan weiter „Lohnverzicht bringt es nicht“. Aber: Die Lage der hiesigen Konjunktur ist derzeit sehr wackelig.

In diesen Wochen einen saftigen Aufschlag zu erstreiten ist zwar grundsätzlich richtig, wird möglicherweise aber die Inflation weiter fatal anheizen. Zum Modell könnten Lösungen wie jüngst ein Abschluss der IG BCE werden: Sie vereinbarte eine Einmalzahlung mit den Arbeitgebern – und vertagte die Tarifverhandlungen auf Oktober.

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Kai Schöneberg
Ressortleiter Wirtschaft und Umwelt
Hat in Bonn und Berlin Wirtschaftsgeschichte, Spanisch und Politik studiert. Ausbildung bei der Burda Journalistenschule. Von 2001 bis 2009 Redakteur in Bremen und Niedersachsen-Korrespondent der taz. Dann Financial Times Deutschland, unter anderem als Redakteur der Seite 1. Seit 2012 wieder bei der taz als Leiter des Ressorts Wirtschaft + Umwelt, seit August 2024 im Sabbatical.
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9 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Seit sich die Nach-Schröder SPD darauf eingerichtet hat, Unternehmen dadurch zu entlasten, dass man Rohstoffe wie Gas, Öl, Lebensmittel, aber auch nicht zuletzt Arbeitskräfte (auch aus Bulgarien, Litauen, Polen oder der Ukraine z.B.) möglichst billig auf dem Markt verfügbar macht, musste es einmal dazu kommen, dass diese Minus-Spekulationsblase in sich zusammensackt. Quo vadis, SPD und DGB , wenn jetzt Unternehmen kein Futter mehr bekommen ?

  • Wenn die EZB ihre Aufgabe wahrnehmen würde wäre das ganze kein Problem, Zinsen hoch dann geht die Inflation runter. Kriegen die Wirtschaftstipps von Erdogan oder was soll der Blödsinn.

  • Einmalzahlungen hat Verdi auch akzeptiert. War letztes Jahr schon falsch. Ist es immer noch.



    Einmalzahlungen haben auf kommende Lohnerhöhungen keinen Effekt.

    Long story short: der Autor macht hier Klassenkampf von oben und dient sich dem nationalen Kapital an.



    Sollte man als Linker eigentlich lassen.

  • "Bei einem Stopp der Lieferungen von Öl und Gas, auf den der Westen nicht eingestellt ist und der deshalb die Energiemärkte schockt..."



    Wenn ich mich recht erinnere, wurden bislang keine Lieferungen gestoppt, sondern Bestellungen. Und dafür anderswo bestellt, wo es teurer ist.



    Auch soll es Leute geben, die sich redlich bemühen, einem möglichen Lieferstopp durch einen Boykott zuvor zu kommen :-)

  • Die Erhöhungen der Öl-/Gaspreise haben aber nix, absolut nix mit verknapptem Angebot/erhöhter Nachfrage zu tun. Bis vor sehr kurzer Zeit, haben russische Anbieter genauso viel geliefert, wie vor der Invasion. Das ist reine Spekulation, die sich nicht von Lohnerhöhungen für Werktätige beeinflussen lassen werden.

  • Ich hätte es gerne gesehen, wenn jemand 8,2 Prozent bei uns gefordert hätte. War aber nicht so, es sind dann 1,8 Prozent geworden, also dieses Jahr ein Realeinkommensverlust. Wofür?



    Diese Frage stelle ich mir lieber nicht. Aber es ist für viele Arbeitnehmer einfach bitte, es gibt eine Lohnerhöhrung, als ob wir bei einer Inflation von 0,5 Prozent liegen. 8,5 Prozent sind in meinen Augen sogar noch lieb, eigentlich hätte man auch 12 Prozent fordern können, es geht ja auch um den Rest des Jahres. Und viel spricht dafür, dass es weiter geht mit der Inflation und dem Kaufkraftverlust. Und mi Fahrradfahren und zufussgehen ist es nicht getan, ein Packung Spaghetti war vor vier Monaten aber €0,45-60 zu haben, jetzt ist es deutlich mehr geworden. Und ja klar, man kann auch Kartoffelbrei und Reis essen, aber das ist Quatsch: Die Preisen ziehen mächtig an, die Löhne nicht. Und die Wirtschaft geht nicht untern, sondern die Arbeitnehmer haben einen Verlust an Kaufkraft dieses Jahr.

  • Die bei den Arbeitgebern beliebten "Einmalzahlungen" wälzen das unternehmerische Risiko auf die Lohnempfänger ab. Was daran ein Model sein soll, erschließt sich mir nicht.

  • Es ist nicht die Aufgabe der Gewerkschaften die Lohn-Preisspirale nicht in Gang kommen zu lassen, von mehr reden wir hier ja nicht. Das ist Aufgabe der EZB und des Staates, der z.B. eigene Ausgaben verringern könnte.

  • "... zwar grundsätzlich richtig ... aber ..."

    Naja. Wenn Aktionäre & Vorstände mit gutem Beispiel vorangehen?