DFB-Niederlage gegen Japan: Nur Moralweltmeister
Erneut vergurken die Deutschen das WM-Auftaktspiel, diesmal mit 1:2 gegen Japan. Hat das DFB-Team ob seines aktivistischen Eifers den Fokus verloren?
Wie schon bei der Weltmeisterschaft 2018 in Russland vergurkten die Deutschen das erste Spiel, damals mit einem 0:1 gegen Mexiko. Und wie es dann weiterging, ist allgemein bekannt: Aus in der Vorrunde, nur Platz vier in der Gruppe F. Antonio Rüdiger erklärte am Mittwochabend leider nicht, was ihn bewegte, wie er diesen Schock auf die Schnelle verdaut hat. Er ging wortlos an den Journalisten vorbei, was vielleicht keine schlechte Idee war, denn er war als Innenverteidiger Teil des deutschen Abwehrblocks, der von den Offensivkräften im Team mit Worten, durchschlagend wie ein Presslufthammer, bearbeitet wurde. „Ich weiß nicht, ob jemals bei einer WM ein einfacheres Tor erzielt wurde“, kommentierte İlkay Gündoğan den Siegtreffer der Japaner durch Takuma Asano.
Der Angreifer des VfL Bochum nahm einen langen Pass, eigentlich eine Bogenlampe, hinter der Viererkette auf, stand nicht im Abseits, das Niklas Süle in der Mitte aufhob, und Nico Schlotterbeck gab Asano brav Geleitschutz, bis der die Sensation mit einem satten Schuss in den Winkel vollbracht hatte. „Vom Ergebnis her ist das ein Horrorszenario“, sagte Thomas Müller, der wie alle Spieler auf die vielen vergebenen Chancen hinwies. Und so unrecht hatte er ja auch nicht. Noch nie hat eine Mannschaft mit einem Expected-Goal-Wert von 3,27 (Japan: 1,42) ein WM-Spiel verloren; und nur einmal in der WM-Geschichte hat eine Mannschaft mit weniger als 26,2 Prozent Ballbesitz ein Spiel gewonnen: Südkorea gegen das DFB-Team bei besagter Russland-WM; da hatten die Asiaten 26,0 Prozent Ballbesitz. Conclusio: Die Deutschen wackeln bei Kontern, sind schlecht im Umkehrspiel, gestern wie heute.
Keeper Manuel Neuer sagte: „In der ersten Halbzeit hatte jeder Pass eine Message, und es ist unverständlich für mich, warum wir nicht so weitergemacht haben.“ Ein paar Spieler hätten sich, nachdem sie durch das aggressivere Pressing der Japaner in Halbzeit zwei verunsichert worden seien, regelrecht versteckt: „Das sind Basics, die man von Spielern, die für Deutschland antreten, einfach erwarten muss.“
„Reife fehlt – oder Qualität“
Namen wollte er keine nennen, aber es war klar, wen er meinte: vor allem Schlotterbeck und Süle, Letzterer war von Bundestrainer Hansi Flick auf den Posten des rechten Außenverteidigers gestellt worden und gab auch beim ersten Tor keine gute Figur ab. „Die Art und Weise, wie wir die Tore hergeschenkt haben, war viel zu einfach“, moserte Joshua Kimmich, „ich weiß nicht, ob die Reife fehlt – oder die Qualität.“ Wenn man so hoch in der Abwehr stehe, also nahe der Mittellinie verteidigt, „dann muss man gut abgestimmt sein“.
Dieses Spiel hatte in mehrfacher Hinsicht einen bemerkenswerten Verlauf genommen. Teilweise war es im Stadion so leise, dass man sich flüsternd mit dem Nachbarn unterhalten und das Rauschen der vielen Klimaanlagen hören konnte. Ein echter deutscher Fanblock war nicht vorhanden, und hätte nicht ein japanischer Trupp bisweilen getrommelt und gesungen, die Partie wäre als Geisterspiel in die WM-Annalen eingegangen. Das wird es wohl auch in sportpolitischer Hinsicht, denn das DFB-Team machte da weiter, wo es die letzten Tage aufgehört hatte: mit einer Politisierung des Ballspiels.
Ab jetzt geht es um Erfolge
Da die Fifa die One-Love-Binde verboten hatte, hielten sich die Spieler beim Mannschaftsfoto vor dem Spiel den Mund zu. „Wir wollen uns von der Fifa nicht den Mund verbieten lassen“, sagte Leon Goretzka. Das Team wurde auf den Rängen von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) unterstützt, die ebenjene Binde am linken Arm trug. Der neben ihr sitzende Fifa-Präsident Gianni Infantino schien diese Geste freilich nicht als Affront zu begreifen, er scherzte mit der Politikerin nach Fifa-Gusto.
So fragten sich einige Beobachter im Rund, ob das DFB-Team ob seines politischen Aktivismus nicht den wahren Fokus aus den Augen verloren habe: Spiele gewinnen, konzentriert und unwiderstehlich auftreten, den Kopf frei haben. Die Trainer anderer Mannschaften hatten kurz vorm WM-Anpfiff einen klaren Schlussstrich gezogen, Louis van Gaal oder Gareth Southgate etwa, die das Engagement ihrer Mannschaften für Menschenrechte hervorhoben, aber eben auch betonten: Ab jetzt geht es um Fußball, um Erfolg, um Siege.
Sie würden keine Fragen zu diesen Themen mehr beantworten, und das hätten sie ihren Teams auch klargemacht. Rächt sich diese Unentschiedenheit von Trainer Hansi Flick nun, der sich dem Druck der Medien und seines eigenen Fußballpräsidenten, Bernd Neuendorf, beugte? In den sozialen Netzwerken wird über den Moralweltmeister Deutschland hergezogen; sie könnten belehren, aber nicht ballern. Sie seien super im Zeichensetzen, aber keineswegs kühl vorm Kasten.
Das DFB-Team hat diesen Spott durchaus provoziert, denn wer sich aus dem Fenster lehnt, sollte so stabil sein, nicht aus selbigem zu fallen. Und nun? Müssen zwei Siege gegen Spanien am Sonntag und danach gegen Costa Rica her. „Es ist so, dass ich ganz großen Wert darauf lege, dass die Mannschaft die richtigen Schlüsse zieht und die Verantwortung übernimmt“, sagte Hansi Flick. Auf dem Platz, hätte er anfügen können. Denn da liegt im Fußball bekanntlich die Wahrheit.
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