Corona-Impfungen für Kinder in Berlin: Es geht auch ohne die Stiko
Berlin vergibt Termine für Impfungen, ohne auf das Stiko-“Go“ zu warten. Das ist richtig. Politik muss in der Krise handeln. Ein Wochenkommentar.
E s ist richtig, nicht länger auf die finale Empfehlung der Ständigen Impfkommission zu warten: Ab dem 15. Dezember will Berlin mit den Impfungen der Fünf- bis Elfjährigen Kinder starten. Und man werde beginnen, die Infrastruktur dafür aufzubauen in den Impfzentren Messe, ICC und Tegel, hatte Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) am Dienstag gesagt. Man fing also mit dem Aufbau der Impfkabinen an, noch bevor die Stiko eine Empfehlung ausgesprochen hatte für die Kinderimpfungen.
Seit Donnerstagmorgen können Eltern in den Impfzentren auch bereits Termine für ihre Kinder buchen – auch das bevor die Stiko den Daumen offiziell gehoben hatte. Das tat sie dann am Donnerstagnachmittag lediglich für vorerkrankte Kinder mit besonderem Risiko bei einer Corona-Infektion, versehen mit dem Hinweis, auch gesunde Kinder könnten auf Elternwunsch geimpft werden. Und dass eine „finale Empfehlung“ noch ausstehe.
Nun kann man sagen: Was maßt sich Politik hier an? Ist es nicht Sache der ExpertInnen zu sagen, wann eine Impfung sicher ist? Das stimmt. Doch dafür braucht es Vertrauen in Instanzen wie eben die Impfkommission. Und die hat sicherlich in der Corona-Krise nicht ihre fachliche Autorität verspielt, wohl aber das Vertrauen in ihre Fähigkeit, eine kompetente Krisenkommunikation zu betreiben.
Es ist schwierig, wenn Stiko-Chef Thomas Mertens in einem Interview mit der FAZ quasi eine Empfehlung vorwegnimmt: Er würde seinen siebenjährigen Enkel nicht impfen lassen, hatte er bereits in der vergangenen Woche erklärt. Das sagt Mertens, und das muss ihm eigentlich klar sein, natürlich nicht nur als Großvater – sondern auch also Autorität, als öffentliche Person, die er als Stiko-Chef nun einmal ist.
Richtig ist das oft wiederholte Argument, dass die Stiko als wissenschaftlich arbeitendes Gremium sich von der Politik nicht unter Druck setzen lassen darf. Sie muss ihre Entscheidungen fällen, wenn sie meint, sie fällen zu können – wenn also ausreichend Daten zur Verfügung stehen, auf derer sie entscheiden kann: Überwiegt der Nutzen der Impfung bei Kindern das Risiko? Angesichts von meist „nur“ milden Corona-Verläufen bei Kindern ist das sicher noch mal eine besonders schwierige Abwägungsfrage für diese Altersgruppe.
Nur muss man dann eben auch konsequent bleiben in der Kommunikation: Nicht hilfreich ist, wenn die Stiko dann doch wieder ein Datum nennt, wann eine Empfehlung kommen könnte – meist auch noch mit einem „vielleicht“ versehen. So bleibt der Eindruck: Die Stiko lässt sich eben doch von der Politik vor sich her treiben mit dieser Form der Ankündigungspolitik.
Dramatik der vierten Welle
Die politischen EntscheiderInnen wiederum haben eine andere Aufgabe als die WissenschaftlerInnen: Sie müssen die Infrastruktur aufbauen, so dass das Impfen im Zweifel auch schnell beginnen kann. Das ist sogar angesichts der Dramatik der vierten Welle die drängendste Aufgabe der Politik: Eltern können zurecht erwarten, dass die Verantwortlichen nicht die Hände in den Schoß legen bis die – ohnehin erwartete – Impfempfehlung kommt.
Was vielleicht formal richtig wäre, funktioniert als Krisenmanagement also nicht. Es ist deshalb gut, dass man in Berlin bereits vor der offiziellen Stiko-Empfehlung Impftermine für Kinder buchen konnte. Zumal es ja auch so ist, dass es gegen kein Gesetz verstößt, wenn man sich ohne „Go“ der Stiko impfen lässt.
Eltern können jederzeit, das war schon immer so, ohne Impfempfehlung impfen lassen, auf eigenes Risiko. Das ist zum Beispiel auch bei der Meningokokken-B-Impfung für Kinder seit Jahren der Fall: Man kann sein Kind dagegen impfen lassen, manche Kinderärzte raten dazu, andere nicht. Eine offizielle Stiko-Empfehlung gibt es nicht.
Politik muss handeln. Im besten Fall kann sie sich, beim Impfen, auf wissenschaftliche Expertise stützen. Doch wenn auf die wissenschaftliche Expertise kein Verlass in der Krise ist, dann muss sie sich nicht wundern, wenn am Ende niemand mehr auf sie wartet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen