Claus Leggewie über die US-Wahl: „Morgenluft für Ideologen“
Der Politikwissenschaftler analysiert Trumps völkisch-autoritären Nationalismus. Er warnt vor einem amerikanisch-russischen Schulterschluss.
taz: Herr Leggewie, ist die Wahl von Trump das Ende des Westens, wie wir ihn bisher kennen?
Claus Leggewie: Zumindest könnte sich der Westen sehr stark verändern – und zwar sicherlich nicht zum Positiven. Donald Trump hat angekündigt, die westlichen Militär- und politischen Bündnisse zu lockern. Er hat Avancen in Richtung Russland geäußert, er verfolgt eine klar nationalistische Politik. Das sind alles keine guten Aussichten für eine transatlantische Partnerschaft, die schon zuletzt nicht mehr im besten Zustand war. Außerdem wird er den Klimavertrag und den Atomdeal mit dem Iran zerreißen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat heute davon gesprochen, dass die USA und Deutschland gemeinsame Werte mit den USA teilen. Trifft das nach der Trump-Wahl noch zu?
Sicher. Ich bin gerade zwei Wochen durch die USA gereist und habe dort sehr viel gemeinsame Werte festgestellt, nirgendwo ist die Ablehnung von Trump so pointiert wie in den USA selbst. Zu der Abwehr eines völkisch-autoritären Nationalismus hat sich immerhin die Hälfte der Amerikaner bekannt.
Aber die andere Hälfte hat Trump gewählt. Kann die Bundesregierung noch eine gemeinsame Arbeitsgrundlage mit seiner Regierung finden?
Das ist jetzt die Aufgabe der Diplomatie. Das scheint sehr schwierig im Moment, aber natürlich muss man es versuchen. Wir haben es hier mit der immer noch größten Militärmacht der Welt zu tun. Wir haben es auch mit einem Land zu tun, das immer noch für die Sicherheit Deutschlands in Europa sorgt. Also darf man jetzt nicht das Kind mit dem Bade ausschütten und so tun, als wären die USA bereits in dem Zustand, in dem beispielsweise die Türkei oder Russland sind.
Wenn Sie an die deutsch-amerikanische Beziehung zurückdenken: Gab es schon mal eine ähnlich schwierige Phase?
Claus Leggewie
Es gab eigentlich unter allen Präsidentschaften Konflikte. Schon der Kennedy-Besuch in Berlin kam in einer Situation zustande, in der die Entfremdung eher zugenommen hatte. Der Besuch war ja eine Art Placebo dafür, dass die USA die deutsche Teilung akzeptierten. Und Kennedy war Demokrat. Und natürlich gab es auch einen großen Dissens unter Rot-Grün bezüglich der Intervention im Irak. Die NSA-Affäre ist ja immer noch virulent.
Ihre Analyse hört sich sehr rational an. Haben Sie nicht heute Morgen gedacht: Die 20er und 30er Jahre sind zurück?
Ja. Trump repräsentiert ja nicht eine bestimmte Tradition des amerikanischen Konservatismus. Weder die libertär-wirtschaftsfreundliche noch eben die sozial-konservative, also Familienwerte, Bedeutung der Religion. Das sind Mobilisierungen gewesen, die ihm zupassgekommen sind, aber das ist nicht seine eigene Weltanschauung. Die ist ein völkisch-autoritärer Nationalismus, der an den europäischen autoritären Nationalismus der Zwischenkriegszeit erinnert. Es ist genau die Gefahr, dass mit der Wahl von Trump Ideologen allerorten Morgenluft wittern und dass es insbesondere einen Schulterschluss zwischen Moskau und Washington geben könnte. Der wäre für Europa verhängnisvoll.
Hat Sie das Ergebnis überrascht?
Ich habe es fast kommen gesehen. Die Anti-Globalisierungs-Rhetorik und Trump und auch Sanders haben in diese Richtung gedeutet, dass die Karten neu gemischt werden sollen. Aber dann habe ich meiner eigenen Analyse misstraut und gedacht, es wird noch mal irgendwie gut gehen. Das zeigt, wie falsch wir im linksliberalen Milieu die Dinge einschätzen. Dass wir unterschätzen, wie stark die Entfremdung insbesondere von Menschen aus der Arbeiterschicht in Europa und den USA vom politischen System und auch von dessen normativen Grundlagen geworden ist.
Was haben wir Linksliberalen falsch gemacht, dass es so weit gekommen ist?
Ich möchte mich nicht in dem Masochismus suhlen, dass die Linken am Wahlsieg Trumps schuld seien. Aber wenn Arbeiter für Trump, Le Pen, Strache oder die AfD stimmen, muss man deutlich machen, dass es sich um eine Art von verschobenem Klassenkampf handelt. Für die Verwerfungen, die eine turbokapitalistische Entwicklung gebracht hat, werden nicht deren Nutznießer verantwortlich gemacht, sondern die Fremden.
Trump hat angekündigt, Deutschland müsse einen stärkeren Beitrag zum Nato-Haushalt leisten. Und andererseits hat er bei den Ländern im Baltikum offengelassen, ob die Nato sie wirklich verteidigen würde. Muss Deutschland sich stärker beteiligen?
Die deutsche Diplomatie wird sicher ihre Tradition des friedlichen Interessenausgleichs weiter betreiben. Die Forderung nach stärkeren deutschen Militärausgaben wäre übrigens auch von Hillary Clinton gekommen. Die Gefahr bei Trump ist, dass er die Nato grundlegend in Frage stellt und im Baltikum die alten Satelliten der Sowjetunion ihrem Schicksal überlässt. Ist es uns wert, dass wir uns dann für die Balten einzusetzen? Oder sagen wir: Wir werden auf keinen Fall für Riga sterben.
Die US-Wahl in Bildern
Sollen wir denn für Riga sterben?
Das ist nicht die Alternative. Ich bin nicht dafür, kämpferische Parolen auszugeben. Aber Hillary Clinton hätte die baltischen Staaten vor einer russischen Erpressungspolitik in Schutz genommen. Estland, Lettland und Litauen sind jetzt in der Zwickmühle. Wenn Trump mit seiner Ankündigung Ernst macht, können wir ihnen nicht sagen: Pech gehabt. Die Balten sind Mitglieder der EU. Schon heute leiden sie unter permanenten Cyberattacken seitens Russlands. Wir müssen klar machen, dass wir das nicht hinnehmen werden.
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