Christian Ströbele zu seinem Abschied: „Schwarz-Grün hieße Anpassung“
Sein größtes Ziel, eine politische Revolution in Deutschland, hat der Christian Ströbele nicht erreicht. Trotzdem verlässt er sein Amt nicht ohne Hoffnung.
taz: Herr Ströbele, warum hören Sie auf?
Weil ich die Vorstellung nicht attraktiv finde, noch fast fünf Jahre diesen Stress im Bundestag mitzumachen. In Sitzungswochen wie der jetzigen schlaucht mich das. Ich bin 15, 16 Stunden unterwegs, da komme ich an die Grenze meiner Leistungsfähigkeit.
Geht es auch um Rücksichtnahme auf Ihre Gesundheit?
Ja. Ich höre nicht wegen einer konkreten Krankheit auf, aber ich bin 77 Jahre, da fallen mir viele Weg oder Tätigkeiten schwerer. Das setzt mich sehr unter Druck. Wenn es um ein, zwei Jahre gegangen wäre, hätte ich vielleicht weitergemacht – aber wenn ich antrete, verspreche ich meinen Wählerinnen und Wählern ja vier Jahre. Und ich pflege Versprechen zu halten.
Erleichtert es Sie, aufhören zu können?
Auf der einen Seite ist es eine gewisse Erleichtertung. Jetzt habe ich mich festgelegt, jetzt ist es so. Auf der anderen Seite klingt auch Melancholie durch. Gestern Abend bin ich in der S-Bahn angesprochen worden: Sie machen doch auf jeden Fall weiter! Und da musste ich sagen, nein, ich habe das gerade anders entschieden…
78, war seit 1998 grüner Bundestagsabgeordneter. Vier Mal hat der Anwalt in Friedrichshain-Kreuzberg das Direktmandat geholt.
Was haben Sie erreicht in Ihrer Zeit im Bundestag?
Wir konnten sehr viel verändern. Häufig werden Sachen, die ich schon früh gefordert habe, plötzlich ganz unspektakulär umgesetzt. Das betrifft zum Beispiel die Geschlechterpolitik, Homosexualität. Früher war ich Strafverteidiger in Prozessen, in denen Männer angeklagt wurden, weil sie mit einem anderen im Bett waren. In Untersuchungsausschüssen konnten wir Skandale aufklären. Einer meiner Lieblingspunkte, obwohl er vielleicht nicht ganz so wichtig ist, ist außerdem die Legalisierung von Cannabis. Ich habe das nie in meinem Leben genommen, aber ich finde das trotzdem eine Ungerechtigkeit: Es wird öffentlich dafür geworben, sich den Kopf vollzusaufen, aber man darf keine Haschischpfeife rauchen. Ich bin relativ sicher, dass Cannabis in den nächsten Jahren nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland legalisiert wird.
Was waren besondere Momente für Sie?
Der deutlichste, auch persönlich befriedigendste Erfolg war die Erringung des Direktmandats 2002 in Friedrichshain-Kreuzberg/ Prenzlauer Berg Ost und dessen Verteidigung. Keiner hat's geglaubt, aber ich hab es geschafft. Das hat mich schon sehr, sehr zufrieden gemacht, und mir gleichzeitig eine sehr unabhängige Stellung im Bundestag verschafft, bis heute.
Gab es Misserfolge?
Mein ganz großes Ziel, die politische Revolution in Deutschland, die ich in den 60er, 70er Jahren angestrebt habe, habe ich nicht erreicht. Was mich nach wie vor bedrückt, ist auch die weltweite Ungerechtigkeit. Unser vergleichsweiser Reichtum in Deutschland geht auf Kosten der Völker in Afrika und Lateinamerika. Ich war dort viel unterwegs, auch vom Bundestag aus, und habe mich immer wieder bestätigt gesehen: So darf das auf der Welt nicht weitergehen. Da habe ich natürlich versucht, was zu machen, zum Beispiel die Befreiungsbewegung unterstützt, aber so richtig hat sich da leider nichts geändert.
Was war? 2002 gelang Christian Ströbele Sensationelles: Als Kandidat der Grünen im Berliner Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg/Prenzlauer Berg Ost eroberte er das erste und bislang einzige grüne Direktmandat im Bundestag. 2013 schaffte er es zum vierten Mal.
Was ist? Seitdem ist er Mitglied des Rechtsausschusses sowie des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Geheimdienste.
Was wird? Wer in seinem Wahlkreis 2017 als KandidatIn der Grünen antritt, ist noch unklar. Die Entscheidung dürfte im kommenden März fallen.
Haben Sie an irgendeiner Stelle Ihre Ideale verraten?
Nein. Natürlich war ich immer wieder in Versuchung, gerade in der Zeit der rot-grünen Koalition, da wollte ich manchmal kein Spielverderber sein und habe lange überlegt, wie ich abstimme. Aber unterm Strich gab es keine gravierenden Abweichungen von dem, was ich für richtig halte. Auch wenn es wie beim Nein zum Kriegsende in Afghanistan ganz schmerzhaft war, bin ich standhaft geblieben.
Wo sehen Sie Ihr politisches Erbe?
Ich hoffe, vermittelt zu haben, dass Ehrlichkeit in die Politik gehört. Ich vermisse bei Politikern, dass sie sich wie im Privatleben verhalten – dass man sich also wirklich darauf verlassen kann, was sie sagen. Die Bundesregierung beantwortet uns Abgeordneten Fragen und beantwortet dabei alles Mögliche, nur nicht die Frage. Manchmal ist die Antwort auch ganz bewusst falsch – und das hat keine Konsequenzen! Ich war in fünf Untersuchungsausschüssen, darunter BND, NSA und das Parlamentarische Kontrollgremium, das die Geheimdienste kontrolliert. Mit wurden Dinge ins Gesicht gesagt, die nicht stimmen. Das muss anders werden.
Was bedeutet Ihr Abschied für die Grünen?
Ich hoffe, dass es auch Jüngere geben wird, die immer wieder das anmahnen, wofür wird die Grünen gegründet haben – auch dafür, dass man sich nicht so anpasst. Ich nehme es keinem übel, wenn er Anzug trägt, ich tue das nicht. Aber man muss nicht alle Bequemlichkeiten aus Posten und Mandaten übernehmen. Und es geht auch um ganz formale Geschichten wie die Trennung von Amt und Mandat. Da wachsen hoffentlich Jüngere nach, die diese Relevanz auch sehen.
Geht es bei Ihrer Sorge um Anpassung auch um weitere Regierungsbeteiligungen?
Ich warne vor leichtfertigen Schritten in die falsche Richtung. Ich mache keinen Hehl daraus, dass mir Schwarz-Grün überhaupt nicht gefällt. Das würde Anpassungen in vielen Bereichen bedeuten, die weit über das hinausgehen, was wir mit den Sozialdemokraten veranstaltet haben.
Wo stehen die Grünen heute?
Ich glaube, dass sich die Grünen überlegen müssen, ob sie eine Partei sein wollen, die zeigt, dass sie, sofern sie an der Regierung ist, die Verhältnisse genauso gut verwalten können wie andere – oder ob sie eine Partei sind, die vielmehr verändern will.
Was wäre denn mehr?
Man muss die Zukunft im Auge haben, nicht nur in Deutschland und Europa. Wir sind inzwischen viel mehr als früher eine Weltgemeinschaft und haben direkte Verantwortung dafür, dass die Handelsbeziehungen so sind, dass die einen immer reicher und die anderen immer ärmer werden. Da muss sich grundsätzlich was ändern. Das schaffe ich in meinem Leben nicht mehr, die nächste Generation vielleicht auch nicht – aber das muss man weiter betreiben, und dann schafft es vielleicht die übernächste.
Wie denn?
Womit ich großgeworden bin und was mich heute noch fasziniert ist, alle angeblichen Wahrheiten und Autoritäten immer wieder zu hinterfragen. Nur so kann sich was ändern. Ich freue mich auch, wenn ich in der taz Berichte finde, die zeigen, dass sie eben nicht Mainstream ist, sondern Grundsätzliches in Frage stellt. Und das betrifft eben auch die Politik, die parlamentarische Demokratie: Ist die so richtig oder muss sie sich gravierend verändern? Jetzt habe ich ja noch fast ein Jahr im Bundestag. Aber danach will ich meine Memoiren schreiben.
Ist dies also ein vollständiger Abschied aus der Politik?
Nein, auf gar keinen Fall! Erstens arbeiten wir im NSA-Untersuchungsausschuss noch heftig, wir müssen noch Frau Merkel und Herrn Altmaier hören und dann unseren Bericht schreiben. Und dann muss man ja nicht im Bundestag sein, um politisch zu wirken. Ich werde weiter zu Demos gehen und mich auch sonst einmischen. Ich mache das solange wie ich krauchen kann. Noch fahre ich sogar jeden Tag Fahrrad, auch wenn das ein bisschen länger dauert.
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