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Chemiker über Lithiumabbau„Eigentlich ist Europa mit Lithium gesegnet“

Die Umweltprobleme des Rohstoffabbaus zu exportieren, sei unethisch, sagt der Chemiker Martin Bertau. Gegen Abhängigkeiten helfe mehr Eigenproduktion.

Rohstofftag am 25. März in Altenberg: der ehemalige sächsische Wirtschaftsminister hält Lithiumerz in den Händen Foto: Robert Michael/dpa
Stefan Hunglinger
Interview von Stefan Hunglinger

taz: Herr Bertau, rund 60 Prozent der bekannten Lithiumvorkommen lagern im Dreiländereck zwischen Chile, Bolivien und Argentinien, gelöst in flüssiger Sole. Diese lässt man in riesigen Becken verdunsten, bis man Lithiumcarbonat daraus gewinnen kann. Was ist das Problem bei dieser Methode?

Martin Bertau: Das Problem ist der hohe Chemikalieneinsatz, also die Reagenzien, die in die Lithiumsole gemischt werden. Das sind erst mal keine schlimmen Chemikalien, da ist zum Beispiel Löschkalk mit dabei. Oder auch Substanzen, die man aus dem Haushalt kennt, etwa Soda, das ist auch in Backpulver drin. Aber es wird eben sehr viel davon verwendet. Pro Tonne Lithiumcarbonat werden bis zu 40 Tonnen Chemikalien eingesetzt und es fallen dann bis zu 120 Tonnen Abfall an.

taz: Das ist extrem viel. Was passiert mit dem Abfall?

Bertau: Der muss irgendwohin. So eine Wüste ist für viele erst einmal ein Raum, in dem man machen kann, was man will. Die Regierungen müssen darauf achten, dass dort eine Ordnung herrscht. Die chilenische Regierung achtet mittlerweile sehr darauf.

Bild: privat
Im Interview: Martin Bertau

ist Chemieprofessor an der TU Bergakademie Freiberg und leitet dort das Institut für Technische Chemie. Bertau forscht für die industrielle Anwendung und berät Unternehmen.

taz: Argentiniens Regierung will Umweltauflagen aber eher kippen. Im Norden des Landes gibt es Proteste gegen den Lithiumabbau, weil die lokale Bevölkerung fürchtet, dass ihr das Wasser abgegraben wird.

Bertau: Die lithiumhaltigen Salzseen sind in Wüsten entstanden, in denen mehr Wasser verdunstet, als durch Frischwasser nachfließt. Wasser ist dort ein besonders kostbares Gut. Es ist aber etwas anderes, einen Teil der Sole aus einem Salzsee abzupumpen, als ins Grundwassersystem einzugreifen. Denn das kann unmittelbare Auswirkungen auf die Landwirtschaft und die Menschen vor Ort haben.

taz: Neben der Verdunstung gibt es ja auch das noch ziemlich neue Verfahren der direkten Lithiumextraktion (DLE) aus dem Boden. Einige Lithiumunternehmen argumentieren, dass es einen geringeren Eingriff darstellt, da bei dieser Methode die Flüssigkeit nach der Lithiumgewinnung sofort wieder in den Boden gepumpt wird.

Bertau: Ein Ansatz ist, dass man mit einer Elektrode in die Lithiumsole hineingeht, die Lithiumteilchen anzieht. Wenn man die Elektrode wieder herauszieht, kann man das Lithium quasi elektrisch davon lösen. Damit hat man keinen weiteren Eingriff in das Wasser vorgenommen. Wenn das so funktioniert, ist das sicher einen Blick wert. Aber sobald Chemikalien eingesetzt werden, bin ich eher zurückhaltend, weil die DLE dann ins Grundwassersystem eingreift. Deshalb sollte man sich zuerst Systeme aussuchen, wo man die Technologie gefahrlos testen kann. Ob man in Argentinien bei den ganzen Salzseen überhaupt ins Grundwasser gehen sollte, ist fraglich.

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taz: Ist der Abbau im Lithiumdreieck trotz der Risiken gerechtfertigt? Die EU will schließlich unabhängiger werden vom Systemrivalen China.

Bertau: Wir sind nicht von China abhängig, wenn es um Lithium als Rohstoff geht, sondern wenn es um die Lithiumbatterie-Technologie geht. Das ist ein selbstgemachtes Problem. Wie viele Batteriefabriken stehen in Deutschland? Wie viele Firmen haben wir in Deutschland, die Rohstoffe verarbeiten können? Es gibt jetzt eine kleine Anlage in Bitterfeld, die können brasilianische Lithiumrohstoffe verarbeiten, im Pilotmaßstab. Da können wir nicht von einer verantwortungsvollen Versorgungspolitik sprechen.

Sich jetzt auf China einzuschießen und zu sagen: Die sind böse, ich hole mir das Lithium jetzt aus Argentinien, das ist peinlich. Und es löst das eigentliche Problem nicht.

taz: Was ist das eigentliche Problem?

Bertau: Der CO2-Abdruck von E-Autos. Um das mal zu illustrieren: Das Soda, das man braucht, um Lithiumcarbonat aus der Sole zu lösen, kommt aus Bernburg in Deutschland. Das wird über die Straße zum Hamburger Hafen transportiert. Dann schippert es übers Meer nach Lateinamerika. Dort dann wieder Straßentransport in die Wüste, dann wieder zurück zum Hafen, von dort dann nach China. Dort finden die ersten Schritte der Verarbeitung zur Lithiumbatterie statt. Dann geht es weiter nach Südkorea, von dort aus kommen die Batterien schlussendlich zu uns. Sprich: Das Lithium schleppt einen gewaltigen CO2-Rucksack mit sich.

Deswegen bezweifelt die schwedische Umweltbehörde schlichtweg, dass ein Elektroauto so ohne Weiteres klimafreundlicher als der klassische Verbrennungsmotor ist. Insbesondere, wenn man mit CO2-neutralen, synthetischen Kraftstoffen fährt.

taz: Diese Kraftstoffe werden aber auch in Zukunft nicht in ausreichendem Maße verfügbar sein, um den Pkw-Verkehr damit klimaneutral zu gestalten. Dies hat jüngst eine Studie des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft gezeigt. Synthetische Kraftstoffe sollten deshalb für die Luft- und Schifffahrt aufgehoben werden, wo eine Elektrifizierung nicht immer möglich ist, fordern die Autor:innen.

Bertau: Ich möchte den Unternehmer sehen, der ausschließlich synthetische Kraftstoffe für den Schiffsverkehr herstellt und sich das Geschäft mit dem Autoverkehr entgehen lässt. Wenn wir etwas für das Klima tun wollen, dann brauchen wir auch in Europa dringend mehr Technologieoffenheit.

taz: Die EU setzt aber erst mal weiter vor allem auf Elektromobilität und braucht dafür Lithium. Gibt es Alternativen zum Abbau im weit entfernten Lateinamerika?

Bertau: Da gibt es zum Beispiel Spodumen. Das ist ein Lithium-Aluminium-Silikat. Das findet sich auch in Europa, zum Beispiel in Finnland, Tschechien, Österreich, Spanien, Portugal und Frankreich. Das Spodumen, das hier herumliegt, reicht dicke aus, um uns in Europa mit Lithium zu versorgen. Eigentlich haben wir einen Kontinent, der mit Lithium gesegnet ist. Deshalb mein Appell: Wir können nicht immer Rohstoffe importieren, weil wir keine Bergwerke bei uns zu Hause haben möchten. So exportieren wir die Umweltprobleme. Das ist unethisch.

taz: Zusammengefasst: Für Sie müssten ­E-Autos in Europa Hand in Hand mit europäischem Bergbau gehen?

Bertau: Die Leute kaufen sich bewusst ein Auto, das viel teurer als ein Verbrenner ist. Denn die Bürger haben erkannt, dass auch sie einen Beitrag zum Klimaschutz leisten müssen. Dazu gehört dann aber, dass man die politischen Rahmenbedingungen schafft, dass ­E-Autos auch wirklich das Klima schützen. Gebt den Leuten die Autos mit den Lithiumbatterien, aber ohne den CO2-Rucksack und die Umweltzerstörung.

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taz: Müsste die Industrie nicht auch beim Recycling besser werden, anstatt immer nur neues Lithium abzubauen?

Bertau: Die Krux ist, dass wir einen großen Mischmasch an verschiedenen Lithium-Batterietypen haben. Dazu kommt, dass die Batterien unterschiedlich alt sind. Materialien mit unterschiedlichem Reifegrad verhalten sich chemisch unterschiedlich. Ein Lithium-Akku von 2016 verhält sich beim Recycling unter Umständen komplett anders als einer von 2023. Das macht es für die Industrie sehr schwer, beim Recycling die eierlegende Wollmilchsau zu finden.

taz: Hat der Mangel an Recycling nicht auch wirtschaftliche Gründe?

Bertau: Bisher wurden die meisten Recyclingtechnologien auf Kobalt und Nickel ausgerichtet, da diese teurer sind als Lithium. Es liegt so viel Lithium herum auf der Welt, da lohnt sich das Recycling betriebswirtschaftlich nicht.

taz: Man kann den Eindruck gewinnen, dass es keine wirklich unabhängige Forschung zu Rohstofffragen gibt. Sie zum Beispiel arbeiten ja auch mit Unternehmen zusammen.

Bertau: Wenn eine Firma zu mir kommt und sagt, sie möchte etwas bewertet haben von uns, dann kriegt sie eine ehrliche Meinung. Die mag der Firma gefallen oder nicht, die Rechnung muss sie trotzdem bezahlen. Ich würde meinen Ruf als Wissenschaftler ramponieren, wenn ich mich beeinflussen ließe. Wir sind zum Glück unabhängig in Deutschland. Man kann bei den Instituten, zum Beispiel dem Ökoinstitut oder dem Fraunhofer-Institut, Studien in Auftrag geben. Diese Studien haben einen sehr hohen Wert, da kann man sich drauf verlassen. Da gibt es andere Länder, die haben dieses Glück nicht.

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9 Kommentare

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  • Eigentlich erzählt die Wissenschaftsjournalistin und promovierte Chemikerin Mai Thi Nguyen-Kim in der prämierten Serie über ihr Fach davon, wie die ChemikerInnen unter Opfern ganz tolle Sachen erfinden, die dann leider auch ganz große Scheiße anrichten, um dann wiederum unter Opfern ganz tolle Sachen erfinden, die die alte Scheiße richten sollen und dann doch leider wieder neue ganz große Scheiße anrichten. Manche nennen das mit großer Begeisterung Fortschritt, wenn, wie bei einem erfolgreichen Domini-Shuttle, der erste Stein der fällt, alle weiteren Steine zum Fallen bringt.

    Nach Kohle, Erdöl und -gas, jetzt also Lithium (oder doch noch Uran) ?

  • Natürlich könnte Lithium auch in Europa abgebaut werden, nur wird das Ganze dann halt so teuer, dass kein konkurrenzfähig Produkt mehr heraus kommt. Die entsprechenden Produkte kommen dann allesamt aus Asien und die Wertschöpfung geht verloren.

    Da könnte man auch genau so gut auf die Idee kommen, Grünen Stahl zu produzieren.

  • Sehr gut!

  • Europa und vor allem Deutschland sind sehr gut darin, unangenehme Dinge an andere auszulagern. Das ist beim Rohstoffsektor der Fall (Fracking ist hier unvorstellbar) aber auch im Geheimdienstbereich.

    In Deutschland konnte man es sich bisher erlauben, die Befugnisse von Geheimdienste stark einzuschränken und Datenschutz/Privatsphäre zu priorisieren, weil vor allem die USA die schmutzige Arbeit gemacht haben und uns in 80% der Fälle vor Terroranschlägen warnen.

    Ich bezweifle, ob man auch in Zukunft darauf vertrauen kann.

    • @gyakusou:

      Nicht anders ist das bei der Stromversorgung.



      Unsere jetzt aktiven AKW stehen jetzt im Ausland. Den Strom beziehen und verbrauchen wir dennoch. Trotzdem sind wir stolz wie Bolle.

  • Wir haben eine klare Linie in der Bewertung, aber keine klare Linie in der Produktion. Soviel wurde klar.

  • Kein Wort, dass Australien der größte Lieferant ist.



    Es gibt erste Recyclingfirmen und auch die Autobauer selbst haben das auf dem Schirm. Da werden gebrauchte Akkus zu großen Speicherkraftwerken verschaltet, das ist mengenmäßig bei Renault aktuell oder eben wie etwa bei Mercedes schon nal ne Recyclingfabrik eröffnet.



    Und chinesische Autobauer bringen die ersten Modelle mit Natriumakku. Aber da ist VW beteiligt, kann sich dann nur um Jahrzehnte handeln, bis sie das für sich vorantreiben.

  • Natürlich gibt es genügend Lithium! Auch bei uns. Lithium ist auch nicht so selten, wie es sich in der Presse anhört.



    Was uns in der EU eher fehlt, sind Anlagen zur Aufbereitung und zum Recycling. Und natürlich macht man sich die Mühe der Lithiumgewinnung in der EU nicht, wenn man es in China zu niedrigeren Preisen bekommt. Man macht sich also lieber abhängig, als eine strategisch vernünftige Entscheidung zu treffen.

  • Danke für diese sehr informative und aufschlussreiche Interview. War spannend zu lesen.