Chef des Bayerischen Rundfunks hört auf: Aus tiefschwarzer Hölle
Sigmund Gottlieb, Chefredakteur des Bayrischen Rundfunks, geht in Rente. Sein erzkonservatives Dahermeinen wird uns fehlen – nicht.
Die nächste Flutkatastrophe wird sich gut überlegen, ob sie wirklich kommen soll. Welchen Sinn haben Überschwemmungen noch, wenn sie nicht von Sigmund Gottlieb in einem Brennpunkt gewürdigt werden? Der langjährige Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks geht in Rente. Der Wackeldackel des deutschen Fernsehens mit seiner unverwechselbaren Chow-Chow-Frisur, der immer so schön genickt hat bei jedem Wort, das ihm wichtig war, verlässt den Bildschirm. Es ist ein Jammer.
Gottlieb war es, der die Erinnerung daran wachgehalten hat, aus welch tiefschwarzer Hölle der Bayerische Rundfunk kommt. Seine, nun ja, höflichen Interviews mit CSU-Größen waren wie ein Trip mit der Zeitmaschine in jene Epoche, als der Bayerische Rundfunk noch mit Fug und Recht als öffentlich-rechtlicher Arm der bayerischen Staatsregierung bezeichnet werden durfte. „Ist es nicht so, sehr verehrter Herr Ministerpräsident, dass …“ – Im deutschen Fernsehen gab es keinen besseren Stichwortgeber als Gottlieb.
Auf die Spitze getrieben hat er diese Kunst, als ihm die Ehre zuteil wurde, nach dem Putschversuch in der Türkei für die ARD ein ausführliches Interview mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayip Erdoğan führen zu dürfen. Die Säuberung im Justiz- und Bildungswesen war da längst im Gange und die ersten Journalisten aus dem Verkehr gezogen. „Aber müssen Sie nicht dafür sorgen, dass es eine gute Bildung in der Türkei gibt?“ So Fragen halt.
Schon bevor das Interview ausgestrahlt wurde, meinten nicht wenige, bei der Meldung, Sigmund Gottlieb werde dem türkischen Präsidenten auf den Zahn fühlen, könne es sich nur um einen schlechten Scherz handeln. Irgendwie war es dann ja auch einer. Der Gottlieb hat gemacht, was er eben kann. Wir haben sehr gelacht. Und da war sie wieder, die Erinnerung an den liebedienerischen bayerischen Propagandakanal. Alte Schule eben.
Den Mut, die Lage der drangsalierten Journalistenkollegen in der Türkei anzusprechen, hatte er jedenfalls nicht. Dafür hat er ein Buch über Zivilcourage geschrieben. „Mutprobe“ heißt es. „Zum Helden sind die meisten Menschen – wie gut – nicht geboren“, schreibt er da. Ein Moment der Selbsterkenntnis?
Dass Gottlieb ganz nett lächeln kann, hat er bei seinem vielleicht berühmtesten Auftritt unter Beweis gestellt. Es war der Tag der Landtagswahl in Bayern. Die Wahlberichterstattung war beim Auftritt des damaligen SPD-Chefs Sigmar Gabriel angekommen. Doch dem wird mitten im Satz der Saft abgedreht. Gottlieb grinst, meint, das sei doch alles recht erwartbar, und darum wolle man für ein wenig Abwechslung sorgen.
Womit? Mit einem Portrait des wiedergewählten Ministerpräsidenten Horst Seehofer, das lobhudeliger nicht hätte ausfallen können. Und wieder war sie da, die Erinnerung an den guten, alten Propagandafunk aus München, der sich einst aus dem ARD-Programm ausgeklinkt hat, weil im Ersten allzu kritisch über den Rhein-Main-Donau-Kanal gewitzelt worden ist.
Sigmund Gottlieb wird auch als Kommentator fehlen, als einer, der zuverlässig erzkonservativ das dahermeint, was auch im CSU-Programm stehen könnte, der nicht viel von Griechen hält, für den Integration kein Angebot sondern eine Forderung ist, und der Angst schürt, wenn der islamistische Terror in Europa wütet. Und wenn er mal die Forderung des CSU-Generalsekretärs Andreas Scheuer, dass in Einwandererfamilien gefälligst deutsch zu sprechen sei, als „bescheuert“ bezeichnet, dann vor allem deswegen, weil er dachte, dass sie der CSU zum Nachteil gereichen könnte.
Was bleibt nun noch vom guten, alten bayerischen Staatsfernsehen ohne ihn? Mit Gottliebs Verschwinden aus dem Fernsehen stirbt das letzte Stück des hassgeliebten Schwarzfunks. Wird das bayerische Fernsehen jetzt ein ganz normaler Teil des öffentlich-rechtlichen Normalitariats? Das kann niemand wollen, der auf gute Unterhaltung in Fernsehen steht.
Deshalb ist Wehmut angebracht angesichts seiner Verrentung. Und weil Gottlieb Franke ist, sagen wir zum Abschied leise: „Ade!“
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