piwik no script img

Chancengleichheit bei KindernDu kannst nicht alles werden

Erwachsene erzählen Kindern gern, dass sie alles sein können. Doch vielleicht ist das nur die Basis, um später unglücklich zu sein.

Es könnten auch nicht alle weißen, obere Mittelschichtkinder aus harmonischen Haushalten As­tro­nau­t*in werden Foto: Westend61/imago

V or Kurzem war ich im Buchladen und wollte etwas für den Vierjährigen kaufen. Irgendwas mit Dinosauriern. Ich weiß nicht, wie wir da gelandet sind. Er kann komplizierte Dinosauriernamen aussprechen, weiß über das Brutverhalten der Maia­saura Bescheid und über das Fischverhalten des Spinosaurus. Aber wenn ich ihn frage, ob ich ihm zeigen soll, wie man Schuhe bindet, sieht er mir dreieinhalb Sekunden zu, macht 28 Knoten und sagt dann, das sei langweilig.

Manchmal ärgere ich ihn ein wenig und sage, dass keiner weiß, wie die Dinos ausgesehen haben. Vielleicht waren sie pink, mit grünen Sternchen? Oder gestreift wie ein Zebra? Dann lacht er sich kugelig oder sagt mir bitterernst, dass ich einfach keine Ahnung habe. Mir soll es recht sein, Dinosaurier sind besser als dieser ganze Polizei-, Laserschwert- und Ritterschmarren. Irgendwann hat man sowieso kaum noch Einfluss darauf, was die Kinder gut finden. Der Zug ist bei uns eigentlich schon abgefahren, ich hänge da noch so bisschen außen an einem Türgriff und schreie: „Nein, stopp, anhalten!“

In diesem Buchladen fällt mir also ein Buch in die Hände, in dem es darum geht, dass Kinder alles sein können. Ich hab es wieder weggestellt. Nur hat mich dieses Buch länger beschäftigt: Ist es wirklich gut, Kindern so was zu erzählen? Kann man alles sein? Die Antwort ist vor allem für Schwarze Kinder, Kinder of Color, für Kinder aus finanziell schwachen Haushalten, für Kinder, die mit psychischer oder physischer Gewalt aufwachsen oft: Nein. Nicht alle haben die gleichen Chancen. Nicht allen Kindern wird die gleiche Unterstützung und Liebe zuteil. Das sollte uns alle sehr wütend machen. Aber anstatt wütend zu sein, kuscheln viele Eltern sich an einen Gedanken von Gleichheit, der vor allem ihre eigenen Kinder meint.

Dabei stimmt das noch nicht mal für ihre Kinder. Es könnten auch nicht alle weißen, obere Mittelschichtkinder aus harmonischen Haushalten As­tro­nau­t*in werden, egal was dieses Buch sagt. Vielleicht ist es also wichtig, seinen Kindern nicht wie ein Life-Coach Kalendersprüche runterzubeten. Vielleicht müssen sie gar nicht nach den Sternen greifen; müssen nicht höher, schneller, weiter. Vielleicht ist es wichtiger, ihnen beizubringen, in sich hineinzuhören und selbst herauszufinden, was ihnen Freude macht. Und vielleicht ist es eher die Aufgabe von Eltern, sie dann durch Erfolge und Enttäuschungen zu begleiten, die da kommen werden.

Letztens sollten wir für den Vierjährigen ein Freundschaftsbuch ausfüllen. Was er mal werden wollte, stand da. „Wissenschaftler“, sagte er. Dann zögerte er. Beim Abendessen sagte er: „Mama, ich weiß nicht, was ich mal werden will.“ Und noch bevor ich antworten konnte, dass er das gar nicht wissen muss, legte er nach: „Was ist denn am einfachsten?“ Und ich weiß nicht, ob ich schon mal so stolz war.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Saskia Hödl
Autorin
Jahrgang 1985, ist freie Autorin in Wien und schreibt über Politik, Medien und Gesellschaft. Ehemalige taz panter Volontärin, taz eins Redakteurin und taz2&Medien Ressortleiterin.
Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • "Nicht allen Kindern wird die gleiche Unterstützung und Liebe zuteil. Das sollte uns alle sehr wütend machen. "

    Und mit der Wut, die nichts ändert, bleibt man dann doch alleine. Es gibt zum Glück auch keine Kontrollinstanz von aussen für die entgegengebrachte Liebe.

    Und ja, nicht jede kann alles werden. Da geht es noch nicht mal um Astronauten. Selbst für Polizisten, Ärzte, aber auch für Freiberufler wie Tankstellenbetreiber oder Reitlehrer gibt es nur eine begrenzte Anzahl von Stellen(möglichkeiten). Von Kanzlerin ganz zu schweigen. Muss man damit Kinder belästigen? Oder hilft es mehr, wenn sie sich der Illusion hingeben können? Die Pupertät kommt früh genug.

  • Ich finde es schon fragwürdig, dass die Authorin Kinder nach rassistischen Kriterien, wie schwarz und weiß unterteilt und diesen Kriterien Eigenschaften zuweist. Ich wüsste nicht, wie ich meinem kleinen Sohn beibringen könnte, wann ein Kind weiß ist, ohne selbst zum Rassisten zu werden.

    Kinder dürfen alles träumen und wir als Eltern sollten das unterstützen. Wer will dem einen vierjährigen sagen, dass er nicht Kosmonaut werden kann?

  • Reach for the sky and you may end up on the roof.

  • Leider hat die Autorin das falsche Erwartungshaltungsmanagement. Ich bringe meinen Kindern jeden Tag bei, dass sie alles werden können, was sie wollen. Dafür unterstütze ich sie jeden Tag - und genau das ist die Aufgabe der Eltern. Man muss halt nur früh genug damit anfangen und darf nicht los lassen.

    Derzeit will mein Sohn Bauarbeiter werden. Wenn er am Ende diesen Traum nicht umsetzt und irgendwas anderes wird, dann ist das auch in Ordnung.

  • Vielleicht wäre der Satz angebrachter: Du kannst alles werden wollen.



    Und dann an der Ausprägung sowie Richtung von Willen arbeiten und dabei unterstützen. Die Chance haben alle Eltern und alle Kinder.