Abschied von der Kita: Fremd ist hier niemand

Unsere Autorin verlässt Berlin und zieht samt Familie nach Wien. Das beinhaltet diverse Abschiede, auch von der „Fremdbetreuung“ in der hiesigen Kita.

Eine Kinderschaufel liegt im Sand

Sie haben mir noch eine Schippe für den Kleinen geliehen, weil ich die schon in eine Kiste gepackt hatte Foto: Susanne Güttler/PantherMedia/imago

Ein enorm sentimentaler Mensch bin ich jetzt nicht gerade. Zumindest nicht, wenn jemand zusieht. Aber als ich den bald Fünfjährigen heute morgen in die Kita gebracht hab – es ist unser letzter Tag in Berlin –, da sind mir die Tränen in die Augen geschossen.

Ich hatte zum Glück die Sonnenbrille auf, er sollte es nicht sehen. Denn er wirkte zwar entspannt, aber es ist diese Art von Ruhe, die ein Symptom von Aufregung ist. Seine Unsicherheit konnte ich spüren und er hat allen Grund, unsicher zu sein. Er verlässt den Ort, an dem er sein ganzes bisheriges Leben verbracht hat. Wer wäre da nicht verunsichert.

Also wurde er heute noch bis in die Garderobe gebracht. Normalerweise geht er lieber allein. Sein Fach ist schon leergeräumt. Er hat von seiner Gruppe letzte Woche ganz entzückende Abschiedsgeschenke bekommen. Die Kinder und die Er­zie­he­r*in­nen haben sich dabei große Mühe gegeben. Als er in seine Gruppe gelaufen war, habe ich mich noch mit zwei Erziehern unterhalten, die wissen wollten, wie es uns geht und wie es mit dem Umzug läuft. Ein verbales Schulterklopfen.

Sie haben mir noch eine Schippe für den Kleinen geliehen, weil ich die schon in eine Kiste gepackt hatte, ohne daran zu denken, dass ich ja noch mit ihm auf den Spielplatz muss. Und sie haben mir versichert, den Großen noch mit Sonnenschutz einzucremen, weil wir es morgens zwischen den ganzen Kisten schlicht vergessen haben.

Nach Jahren der Betreuung kennt man sich

So weit, so banal, aber dann dachte ich mit schwerem Herzen daran, wie unpassend das Wort „Fremdbetreuung“ für diesen Zustand ist. Fremd ist hier niemand. Und auch wenn der Kitaträger den Er­zie­he­r*in­nen vorschreibt, dass sie die Eltern siezen sollen und ich es auch wirklich versucht habe, ab einem gewissen Punkt wirkt das nur noch lächerlich. Denn über die Jahre lernt man sich kennen.

Die Menschen, die den halben Tag auf mein Kind aufpassen, ihn neben uns Eltern am besten kennen, die sind eben nicht fremd. Man weiß nach einiger Zeit voneinander, wer wie und wo lebt. Und weiß auch sonst allerhand. Viel zu oft steht man als Elternteil gelangweilt vor dem Sandkasten, weil das Kind noch nicht gehen will. Da kommt man eben ins Reden.

Fremdbetreuung ist schon als Wort negativ, ein Dysphemismus, der einem immer ein bisschen das Gefühl geben soll, dass das, was man da tut, nicht richtig ist. Doch was für die eigenen Kinder richtig ist, das weiß man meistens selbst am besten. Der Große ist mit elf Monaten in die Kita gekommen. Die Eingewöhnung ging sehr flott und er geht seither gern hin, solange er auch genug Auszeiten von der Kita bekommt.

Der Kleine ist mit zwölf Monaten in die Kita gekommen, nach zwölf Wochen sehr sanfter Eingewöhnung haben wir abgebrochen. Er wollte nicht alleine da bleiben. Und weil es mit baldigem Umzug möglich war, haben wir ihn zu Hause gelassen. Jetzt hoffen wir, dass wir in Wien eine „Fremdbetreuung“ finden, in der wir die Kinder so gut aufgehoben wissen wie in dieser hier.

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Schreibt über Gesellschaft, Politik, Medien und manchmal über Österreich. Kolumne "Kinderspiel". War 2013 Volontärin der taz panter-Stiftung, dann taz-Redakteurin. Von 2019 bis 2022 Ressortleiterin des Gesellschafts- und Medienressorts taz zwei. Lebt und arbeitet in Wien.

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