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Cell Broadcasting für KatastrophenschutzWarnnachrichten plötzlich im Trend

Nach der Flutkatastrophe denkt die Regierung über automatische Warnmeldungen auf Mobiltelefone nach. Bisher war sie da eher skeptisch.

Wenn die Sirenen heulen, soll es auch eine Warn-SMS an alle geben Foto: Patrick Scheiber/Kegler/imago

Berlin taz | Katastrophenwarnungen per Kurznachricht aufs Handy? Nach der Flutkatastrophe der vergangenen Woche, vor der viele Betroffene nicht ausreichend gewarnt wurden, könnte diese Neuerung bald kommen. Innenminister Horst Seehofer verwies am Mittwoch auf eine momentan laufende Machbarkeitsstudie des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Das Ergebnis, so Seehofer, könnte noch vor der Bundestagswahl kommen und positiv ausfallen.

Bei dem sogenannten „Cell Broadcasting“-System (sehr frei übersetzt: Funkzellen-Versand) können Behörden Textnachrichten an alle Handys senden, die sich in einer oder mehreren bestimmten Funkzellen befinden. Die Nachricht erscheint als Push-Meldung auf dem Display, dazu ist ein spezieller Warnton möglich. Bilder können über das System nicht verschickt werden. Das hat aber auch Vorteile: Die Warnungen sind dadurch nicht nur mit Smartphones kompatibel, sondern auch mit alten oder einfachen Handys. Außerdem ist die Datenmenge dadurch gering. Auch bei stark ausgelastetem Mobilfunknetz können die Nachrichten durchkommen.

Etliche andere Staaten nutzen dieses jahrzehntealte System bereits. Die EU schreibt dessen Einführung in einer Richtlinie eigentlich auch vor, lässt aber ein Schlupfloch: Demnach können Mitgliedsstaaten statt des Cell Broadcasting auch andere Methoden mit der gleichen Effektivität nutzen. Deutschland beruft sich bislang darauf und führt unter anderem die Warn-Apps Nina und Katwarn an.

Diese Apps sind zwar tatsächlich nicht schlecht, müssen von den Handy-Nutzer*innen aber erst mal aktiv installiert werden. Das haben in Deutschland bisher nur ein paar Millionen Menschen getan. Über das Cell Broadcasting wären viel mehr Personen zu erreichen.

Kosten und Datenschutz

Warum wurde das System dann bisher nicht eingeführt? Auch wenn Seehofer jetzt Tempo macht: Bisher haben Behörden und Regierung keinen großen Elan gezeigt. Ein Grund sind die Kosten. Armin Schuster (CDU), Chef der Katas­trophenschutzbehörde, sagte noch am Dienstag im Deutschlandfunk, die Einführung sei „extrem teuer“. Er nannte Einführungskosten von – eigentlich überschaubaren – 30 bis 40 Millionen Euro.

Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) sagte zudem der Bild, bislang sei die Einführung auch am Datenschutz gescheitert. Da­ten­schüt­ze­r*in­nen haben allerdings gar kein Problem mit der Technik. Handynummern oder ähnliche Daten werden durch das Cell Broadcasting überhaupt nicht erfasst.

Alle Probleme könnten aber auch die Warnnachrichten nicht lösen. Zunächst mal müsste irgendjemand die Meldungen abschicken. Zuständig wären gemäß der aktuellen Aufgabenverteilung wohl in erster Linie Behörden der Länder oder Kommunen. Diese könnten im Einzelfall überfordert sein. Zu viele Nachrichten wären andererseits auch wieder ein Problem, weil sie schnell als Spam wahrgenommen und ignoriert werden könnten.

Kein Allheilmittel

Und: Menschen ohne Handy sind natürlich nicht übers Handy zu erreichen. Ist das Mobilfunknetz erst einmal komplett zusammengebrochen, kommen sowieso keine Nachrichten mehr durch. Andere Methoden wie Sirenen müssten daher bestenfalls das System ergänzen.

Sirenen wurden seit dem Ende des Kalten Kriegs aber vielerorts abgebaut und werden erst seit kurzem wieder in manchen Bundesländern installiert. Moderne Anlagen sind oft batteriebetrieben, sind also auch nach Stromausfällen noch nutzbar. Die Bevölkerung muss die Signale dann nur noch richtig interpretieren. Daran hapert es aber auch noch, wie eine weitere Aussage Horst Seehofers vom Mittwoch zeigte.

Beim Signal einer Sirene denke er an einen Feueralarm, sagte der für den Katastrophenschutz zuständige Innenminister. Ein neues, alternatives Signal sei nötig, um auch auf andere Gefahren hinzuweisen. Dieses Signal gibt es aber eigentlich längst: Ein einminütiger, auf- und abschwellender Ton weist auf eine Gefahr für die Bevölkerung hin und dient als Aufruf an die Bürger*innen, sich im Radio oder anderen Medien über den Anlass zu informieren.

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9 Kommentare

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  • Kennt man die Höhe der Kosten für diese Machbarkeitsstudie?

  • Datenschutz soso...



    Der Begriff ist in diesem Zusammenhang so sinnvoll wie "Gummibaum" oder "Bratkartoffel".



    Cell-Broadcast bedeutet Zellen-Rundspruch oder Zellen-Rundfunk.



    Und so funktioniert das Ganze auch.



    Und wie beim Radio: Völlig anonym.

    Also ist schon die reine Erwähnung von "Datenschutz" pure Verwirrungsstrategie.

  • Hier noch mal der Link zu dem für die Regierung oberpeinlichen Video von der Bundespressekonferenz vom 19. Juli, mit Fragen zum Zustand der Warnsysteme nach dem Warntag 2020, wo nichts funktionierte:

    taz.de/!5787468/#bb_message_4159977

    Fazit: Die Vertreter der Bundesregierung wussten noch nicht mal, wann die Regierung die Warnung vom DWD und EFAS bekommen hat, geschweige denn was sie daraufhin veranlassten. Sie wissen auch nicht, was an den Warnsystemen nicht funktioniert, oder was zu tun oder geplant ist, um diese zum Laufen zu bekommen.

    • @jox:

      Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - legt nach:

      BPK - Jung & Naiv -





      Bundes.Presse.Katastrophe: www.youtube.com/watch?v=l2F0-9f-83c



      @5:00 min: „Nach meinen Erkenntnissen haben in manchen Kommunen auch Sirenen funktioniert…“

      kurz - Blindfische Grünschnäbel auf der Kommandobrücke - Udo laß gehn -



      Udo Lindenberg & Das Panikorchester - Odyssee (Live)



      m.youtube.com/watch?v=XektEKr0EVM

  • Hier zwei Artikel zur Technik:

    Harald Welte, "Notfallwarnung im Mobilfunknetz + Cell Broadcast"

    laforge.gnumonks.o...og/20210719-smscb/

    Harald Welte hat selber eine Open-Source Implementierung für eine Mobilfunk-Basisstation entwickelt.

    Das Warnsystem EU-Alert, ein Dezember 2018 verabschiedeter verbindlicher Standard der Eurpäischen Union

    de.wikipedia.org/wiki/EU-Alert

    Politiker wie Seehofer versprechen also nicht mehr, als schon lange beschlossene verbindliche Standards der Europäischen Union umzusetzen - und wollen das noch als eigene Leistung verkaufen.

    Und das, nachdem sie (nämlich auch Seehofer) es dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) verweigert haben, die Infrastruktur für Warnungen in Ordnung zu bringen - zu Details siehe meine drei Kommentare unter

    taz.de/Hochwasser-...bb_message_4159942

  • > Und: Menschen ohne Handy sind natürlich nicht übers Handy zu erreichen. Ist das Mobilfunknetz erst einmal komplett zusammengebrochen, kommen sowieso keine Nachrichten mehr durch. Andere Methoden wie Sirenen müssten daher bestenfalls das System ergänzen.

    Sirenen und UKW Radios sind wahrscheinlich die beste Ergänzung, mit denen jeder umgehen (oder umgehen lernen) kann. Im Gegensatz zu einem Klingelton bekommen die auch nachts gefährdete Menschen aus dem Bett.

  • > Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) sagte zudem der Bild, bislang sei die Einführung auch am Datenschutz gescheitert.

    Auch das ist eine Unwahrheit. Die Nachrichten werden einfach an alle Handys geschickt, die in einer Funkzelle eingebucht sind, die wiederum einen kleinen räumlichen Bereich abdeckt. Im Gegensatz zu den Apps wie NINA und Katwarn müssen die Telefone also eben gerade *keine* Standortdaten irgendwohin schicken.

    Das einzige was gelöst werden muss, ist wie man in einer komplexen Gefahrenlage verschiedenen Nutzern in dem Gebiet direkten Zugang zu Handlungsanweisungen gibt, die für sie relevant und verständlich sind.

  • > Armin Schuster (CDU), Chef der Katas­trophenschutzbehörde, sagte noch am Dienstag im Deutschlandfunk, die Einführung sei „extrem teuer“. Er nannte Einführungskosten von – eigentlich überschaubaren – 30 bis 40 Millionen Euro.

    Felix von Leitner vom CCC meint, dass das wahrscheinlich eine Lüge ist, da sowohl die Mobilfunkinfrastuktur als auch die Handys die Funktionen bereits per Standard implementieren. Wer z.B. in die USA fährt kann da ohne weiteres solche Nachrichten auf seinem Handy finden.

    • @jox:

      Und noch zu den Kosten als Vergleich: Es gibt eine Open Source Implementierung der Netzsoftware /inklusive Cell Broadcase/, deren Entwicklung 35000 € gekostet hat:

      laforge.gnumonks.o...og/20210719-smscb/

      Und Cell Broadcast ist ein Softwarefeature, es benutzt keine Extra Antennen oder so.