Causa Rubiales: Zwischen Tradition und Moderne
An der Kuss-Affäre spalten sich Spaniens Gemüter entlang der politischen Haltung. Für oder wider Fortschritt, soziale Gerechtigkeit und Frauenrechte.
E s geht längst um mehr als nur Fußball. Die Causa Luis Rubiales spiegelt die Reibungen, die die spanische Gesellschaft nahezu diametral spalten in einem Land mitten im echten progressiven Umbruch. Politiker und Medien haben sich für oder gegen Rubiales positioniert. Denn der Fall nach dem WM-Sieg der Spanierinnen spielt sich parallel zu einer erneuten Hängepartie zwischen der konservativen Volkspartei (PP) und den Sozialisten (PSOE) ab.
Fast hat man den Eindruck, als sei die Affäre eine Rückrunde, ein Nachklapp der Pattsituation, die aufgrund der vorgezogenen Parlamentswahlen Ende Juli besteht. Allen Prognosen nach hätten die Wahlen Spanien einen Rechtsruck bescheren sollen, denn die PP von Alberto Núñez Feijóo will nur mit der rechtsextremen Vox koalieren. Zusammen lagen sie ganz vorne in den Umfragen.
Obwohl Feijóo in der Tat die meisten Stimmen erhielt, hat jetzt der Sozialist Pedro Sánchez die besten Karten, erneut eine linksprogressive Regierungskoalition zu stellen. Genauso gut sind die Karten für die progressiven medialen, sozialen und politischen Stimmen, für die Fußballerinnen, die in der Kussaffäre Rubiales–Hermoso für Respekt und Gleichberechtigung gegenüber Frauen kämpfen. Es geht um eine soziale und politische Modernisierung der Gesellschaft.
Konservative Medien und rechte Stimmen sprechen seit Tagen von einer „politischen Jagd“ auf Rubiales. Nicht nur er, auch der umstrittene Jorge Vilda, Trainer des Weltmeisterteams, steht im Zuge der aktuellen Affäre kurz vor dem Aus. Eine Pro-Rubiales-Kampagne verkündet sinngemäß das Credo: Warum sollen jetzt Dinge verboten sein, die immer so waren beziehungsweise wir immer so gemacht haben? Damit ist ganz offensichtlich auch ein nicht einvernehmlicher Kuss gemeint.
In Kommunen, in denen Vox und PP regieren, wurden jüngst Theaterstücke verboten, die häusliche Gewalt verurteilen. Tradition versus Modernität, darum geht es in der Spaniens Öffentlichkeit bewegenden Debatte. Die Vorreiterrolle hinsichtlich der sozial gerechten und feministischen Reformen hat sich die spanische Regierung unter Sánchez innerhalb der Europäischen Union längst verdient. Dabei kamen diese Reformen nicht aus dem Nirgendwo.
Erinnern Sie sich an die spontanen und parteifernen Proteste in Spanien 2011/2012, die unter anderem soziale und politische Missstände kritisierten? Die Causa Rubiales zeigt erneut: So wie bisher darf es nicht weitergehen. Wird die spanische Kussaffäre nun eine europaweite soziale und politische Kettenreaktion des Respekts gegenüber Frauen und eine sozial gerechte Politik auslösen? Zu begrüßen wäre es. 2024 ist Europawahljahr – mit der Prognose eines Rechtsrucks.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen