CDU-Abgeordneter über Flüchtlingsstreit: „Kompromisse kann Seehofer nicht“
Der CDU-Abgeordnete Martin Patzelt weist Angriffe des Innenministers auf die Kanzlerin zurück – und fordert, Geflüchtete sollten arbeiten können.
taz: Herr Patzelt, CSU-Innenminister Horst Seehofer sagte im ARD-Sommerinterview, er erwarte von den anderen Regierungsparteien, dass die Ankerzentren umgesetzt werden. Also auch von der CDU. Setzt er jetzt Ihrer Partei die Pistole auf die Brust?
Martin Patzelt: Ich sehe den Konflikt, den der CSU-Minister aufmacht, gar nicht. Wenn ich Seehofer wäre, würde ich mit allen Bundesländern, die die Ankerzentren umsetzen müssen, nach gemeinsamen Lösungen suchen. Kompromisse sind aber leider nicht Seehofers Sache.
Der Innenminister wünscht sich mehr Unterstützung von der Kanzlerin. Tut Angela Merkel zu wenig?
Die Kanzlerin tut nicht zu wenig. Sie tut nur nicht das, was Seehofer will. Deswegen kann sich der Innenminister trotzdem nicht die Macht und die Autorität der Kanzlerin ausborgen und dann auch noch wild um sich schlagen.
71, Bundestagsabgeordneter, Mitglied des Menschenrechtsausschusses.
Seehofers Drängen verschärft den Konflikt zwischen den Schwesterparteien.
Ich halte von solch einer Eskalationsstrategie nicht viel. Man kann Seehofer nur raten, mit allen Entscheidungsträgern offen und sachlich zu kommunizieren: im Ausland mit den Anrainerstaaten, im Inland mit den einzelnen Bundesländern. Aber so, wie er sich jetzt gebärdet, wird er nichts voranbringen.
Sie haben selbst Geflüchtete aus Afrika in Ihr Haus aufgenommen. Wie sehen Sie persönlich Ankerzentren?
Die befürworte ich, da stehe ich voll hinter dem Koalitionsvertrag. Aber die Zentren müssen menschen- und verfassungsrechtlich ausgestaltet sein.
Was meinen Sie damit?
Ankerzentren dürfen nicht wie Lager funktionieren, man kann die Menschen dort nicht einsperren. Ich halte Stacheldraht und eine Präsenzpflicht für die Geflüchteten für falsch. Kinder sollten spielen können und Frauen vor sexuellen Übergriffen sicher sein. Grundsätzlich sollten Geflüchtete arbeiten können und auch dazu verpflichtet werden. Sie bekommen vom Staat Geld für Unterkunft und Verpflegung, warum sollen sie dafür nicht gemeinnützige Arbeit leisten? Grünanlagen pflegen, Sportrasen mähen, Waren ein- und auspacken, so was.
Machen Sie da nicht einen Konflikt zwischen Geflüchteten und sozial Benachteiligen auf?
Wieso? Die Geflüchteten nehmen den sozial Schwachen ja nichts weg. Es ist eine zusätzliche Arbeit, die allen zugute käme. Über solche Tätigkeiten lernen sich Geflüchtete und Deutsche kennen, die Neuen integrieren sich in den jeweiligen Orten. In Brandenburg wurde das bereits erfolgreich gemacht.
Sind Sie in der falschen Partei?
Nein, das ist praktische Vernunft. Aber: Die Geflüchteten, die hier sind, haben wir anständig zu behandeln. Gleichzeitig müssen wir alles dafür tun, dass nicht noch mehr Menschen zu uns kommen, und diejenigen, die keinen Anspruch auf Asyl haben, wieder gehen. Und wer sich als Geflüchteter weigert, eine gemeinnützige Tätigkeit anzunehmen, dem sollten die Leistungen gekürzt werden.
Leser*innenkommentare
90191 (Profil gelöscht)
Gast
Kompromisse kann Merkel auch nicht: "Diese Entscheidung ist alternativlos."
81331 (Profil gelöscht)
Gast
...was für ein 'Witz'. Die CDU, allen voran Frau Merkel, kriecht Herrn Seehofer quasi in Hintern, und Herr Patzelt spricht von "„Kompromisse kann Seehofer nicht“".
90191 (Profil gelöscht)
Gast
@81331 (Profil gelöscht) Warum sollen Geflüchtete arbeiten, bevor feststeht, ob sie überhaupt bleiben dürfen?
Ich verstehe nicht, dass Arbeitgeber unter solchen Voraussetzungen überhaupt Leute einstellen.
Seltsamerweise wird von deutschen Bewerbern immer eine langfristig sichere Zusage erwartet.
90191 (Profil gelöscht)
Gast
@81331 (Profil gelöscht) Nun, vielleicht ist es der CDU ganz recht, dass die CSU den Rammbock für unpopuläre Ansichten macht.
Mutti Merkel hat ja auch mal gesagt: "Multikulti ist gescheitert". Schon vergessen?
Tomba
Gibt es nicht ein Verbot der Zwangsarbeit? Scheint der Herr nicht beachtet zu haben, oder sollen Geflüchtete so wie Kleinkriminelle behandelt werden, die zur Strafe gemeinnützige Arbeit leisten sollen? Und wie lernt man beim Rasenmähen Deutsche kennen?
"Alles tun, dass nicht noch mehr Menschen zu uns kommen" - nein, der Mann ist wahrlich nicht in der falschen Partei.
kowowa
@Tomba >"Alles tun, dass nicht noch mehr Menschen zu uns kommen" - nein, der Mann ist wahrlich nicht in der falschen Partei.
Ohne Herrn Patzelt oder seine Partei in Schutz nehmen zu wollen... ...aber diesen Satz kann man sehr wohl auf verschiedene Weise interpretieren.
"Alles" beinhaltet durchaus auch "am Friedensprozess im Herkunftsland arbeiten".
Vor Polemisierung auf alle Fälle wo immer möglich nachdenken & nachfragen - wir reden viel zu wenig miteinander!
noevil
@Tomba Ich bin ziemlich sicher, dass die meisten Flüchtlinge gerne leichte Arbeiten verrichten werden und sie vermutlich nur aus guten Gründen nicht annehmen können werden. Da wird Zwang gar nicht nötig sein.
Stellen Sie sich einfach mal vor, Sie wären nach gefahrvoller Flucht nun endlich in Sicherheit. Und dann wartet auf Sie bis zur Bleibe-Entscheidung nichts als gähnende Langeweile, ein leerer Tag nach dem anderen, Oednis bis zum Geht-nicht-mehr. Die meisten Leute wollen sich als nützlich für die Gesellschaft erweisen. Wenn sie einen Berufsabschluss haben und anerkannt sind, werden sie zusehen, diesen ebenfalls anerkannt zu bekommen, um in ihren Berufen arbeiten zu können. Dann erst sind sie wirklich anerkannt und bei uns angekommen. Und in der Zwischenzeit in einem weniger anspruchsvollen Feld zu arbeiten ist keine Schande, zumal ein kleiner Zusatzverdienst sicher auch gern gesehen wird.
Da würde ich mich nicht über Zwangsarbeit mokieren. Ich bin überzeugt, es wäre ein sinnvolles Angebot und brächte Strukturen in einen sonst leeren Alltag.