Bundesweiter Warntag: Vor dem Sirenengeheul

Am Donnerstag wollen Bund, Länder und Kommunen üben, wie die Bevölkerung im Katastrophenfall gewarnt werden kann. Die Erwartungen sind hoch.

Eine Sirene in einem Dorf

Hier heult es noch ganz altmodisch und laut: Warnsirene in NRW Foto: Kay-Helge Hercher/imago

BERLIN taz | Die Anspannung beim obersten Ka­ta­stro­phen­schüt­ze­r der Republik, dem Präsidenten des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Ralph Tiesler, ist am Dienstagvormittag deutlich zu merken. Denn: An diesem Donnerstag sollen bundesweit Warnsysteme für die Bevölkerung getestet werden. Nach der Flutkatastrophe im Ahrtal im vergangenen Jahr und einer unklaren Bedrohungslage durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine haben funktionierende Warnsysteme für die Menschen eine bisher unterschätzte Bedeutung bekommen.

Nervosität kann der Rückblick auf den bundesweiten Warntag 2020 erzeugen. Dieser war schlichweg ein Desaster. Meldungen wurden nicht oder verspätet ausgespielt, das Hauptsystem Mowas – kurz für Modulares Warnsystem –, das für die Verbreitung der Nachricht sorgen sollte, war mit der Flut an Informationen überlastet und leitete sie stellenweise nicht weiter. Das damals noch von Horst Seehofer (CSU) geleitete Bundesinnenministerium musste den Warntag als „fehlgeschlagen“ bezeichnen. Der damalige Chef des BBK, Christoph Unger, musste im Anschluss seinen Posten räumen.

Jetzt soll alles anders werden. Am Donnerstag gegen 11 Uhr soll die Bevölkerung erneut probeweise gewarnt werden. Was genau in der Nachricht stehen wird, ist noch nicht bekannt. Auf jeden Fall soll sie über verschiedene Kanäle laufen. „Warnmix“ nennen dies Ex­per­t:in­nen. Bundesweit sollen Sirenen heulen. Via Radio und Fernsehen soll die Warnnachricht verbreitet werden. Auch soll die Botschaft auf den Anzeigen in Zügen und an Bahnsteigen zu sehen sein. Ebenso sollen die Warnapps Nina und Katwarn die Meldung anzeigen.

Für Juliane Seifert, Staatssekretärin im Bundesinnenministerium, ist die Warnung der Bevölkerung „essenziell“. Das BBK sei sehr gut vorbereitet auf den Tag, sagt sie. „Wir wollen die Bevölkerung sensibilisieren.“ Viel Hoffnung liegt auf dem sogenannten Cell Broadcasting, einer Technologie, die eine Warnnachricht direkt aufs Handy schickt. Mindestens jeder Zweite, der ein Mobilfunktelefon nutzt, soll über diesen Weg erreicht werden.

Neue Hoffnung: Cell Broadcast

Allerdings müssen die Voraussetzungen stimmen: Das Handy braucht ein entsprechendes Update, das Gerät muss angeschaltet sein, sich nicht im Flugmodus befinden, und die Nut­ze­r:in darf sich nicht in einem Funkloch aufhalten. Ob die Warnung nur als SMS zu sehen ist, das Telefon zu vibrieren beginnt oder gar ein Lichtblitz aufzeigt, kommt auf den Anbieter und auf die Einstellungen an.

In den Niederlanden gibt es Cell Broadcast bereits seit zehn Jahren. Anfangs seien dort nur ein Zehntel der Bevölkerung erreicht worden, heißt es. In Deutschland will man am Donnerstag nun erste Erfahrungen mit der Technologie sammeln und diese dann ab Anfang des kommenden Jahres kontinuierlich in die Warnkette im Katastrophenfall integrieren. Für die Warnung gibt es aber lediglich Platz für 500 Zeichen. Ob im Ernstfall tatsächlich auch Anweisungen an die Bevölkerung, was nun zu tun ist, schnell weitergegeben werden können, wird sich zeigen.

Der Warntag wird aber vor allem auch ein Testlauf für Einrichtungen und Geräte, die traditionell mit der Warnung vor Katastrophen oder vor Jahrzehnten auch bei Fliegeralarm in Verbindung gebracht werden: Sirenen. Rund 35.000 Stück davon gibt es bundesweit. Allerdings sind viele in einem desolaten Zustand und nicht an neuere Systeme angeschlossen. Bis 2022 hat der Bund mehr als 80 Millionen Euro in den Ausbau von Sirenen investiert. Mehr Geld soll folgen, aber auch die Länder sind bei den Investitionen gefragt.

Sirenen, Informationen über die Medien, Cell Broadcasting und Warnapps: Vom Warnmix ist auch BBK-Chef Ralph Tiesler überzeugt und sieht sich und seine Behörde auch gut gewappnet gegen Sabotage oder Cyberattacken. Tiesler hofft, dass über den Warnmix möglichst viele Menschen im Notfall informiert werden können, egal wo sie sich aufhalten und was sie gerade tun. Allerdings: Der Bund ist nur im Verteidigungsfall zuständig, die Bevölkerung zu warnen.

Zu wenig Geld und Ausrüstung in den Kommunen

Die Länder müssen entsprechende Systeme installieren, wie die Menschen in Städten, Dörfern, Regionen über Überschwemmungen, Stürme oder Brände informiert werden. Die Beteiligung der Kommunen am Warntag ist demnach freiwillig.

Leon Eckert (Grüne) sitzt im Bundestag und trommelt seit Monaten für mehr Bewusstsein beim Thema Katastrophenschutz. Ist die Bevölkerung gut vorbereitet im Fall des Falles? „Leider nein“, sagt Eckert. Gegenüber der taz sieht er vor allem Defizite in der Ausstattung der Kommunen. „Die Verantwortlichen vor Ort wissen am besten, welche Gefahren den Menschen dort jeweils drohen können“, sagt Eckert.

Daher sollten die Kommunen die vom Bund erarbeiteten Zivilschutzinhalte an die lokalen Risiken anpassen und den Menschen vor Ort nahebringen. Aber: „In den Kommunen fehlt oft das Geld, diesen Bildungsauftrag umzusetzen.“ Skeptisch sieht er auch den mangelhaften Ausbau von modernen Sirenen. „Da sowohl Bund, Länder als auch Kommunen zuständig sind, fühlt sich niemand in der Verantwortung, eine ausreichende Finanzierung aufs Gleis zu setzen“, so Eckert.

Der Investitionspakt für mehr Bevölkerungsschutz, den die Innenministerkonferenz Ende vergangener Woche beschlossen hat, kommt dem Grünen-Politiker zu spät. „Wir müssen jetzt in die neueste Technik auf breiter Ebene investieren, um eine lückenlose Abdeckung in der gesamten Bundesrepublik zu erreichen.“

Am Donnerstag gegen 11.45 Uhr wird dann eine weitere Nachricht ausgespielt, die das Ende der Übung ausruft. Zu jeder Warnung gehört schließlich auch eine Entwarnung.

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