Bundesweiter Warntag 2022: Warnung auf Taste
Wie die Bevölkerung im Notfall alarmiert werden kann, wird an diesem Donnerstag um 11 Uhr getestet. Fraglich ist aber, wer wie erreicht wird.
Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) will testen, wie die Bevölkerung im Notfall gewarnt werden kann. Es geht um den sogenannten „Weckruf“, also darum, dass die Menschen in der Republik überhaupt mitbekommen, wenn es in ihrer Region zu einem Angriff oder einer Katastrophe kommt. Erst danach geht es um Handlungsanweisungen: Informationen über die Medien, die Behörden, Polizei und Feuerwehr einholen und sich dementsprechend verhalten.
Die Nervosität ist groß im Bonner Bundesamt. Schließlich war der Warntag 2020 von einigen Pannen begleitet. Und seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, Sabotage-Fällen bei der Bahn oder der Flutkatastrophe im Ahrtal ist der Bevölkerungsschutz wieder Thema. Hinzu kommt mit Cell Broadcast eine neue Technologie im sogenannten „Warnmix“ dazu.
Das Bundesamt will damit 50 Prozent aller Mobilfunk-Nutzer:innen erreichen. Ein ambitioniertes Ziel. Denn: ältere Mobilfunktelefone werden die höchste Warnstufe rein aus technischen Gründen nicht erhalten. IT-Fachleuten zufolge wird vermutlich nur der Anbieter T-Mobile in der Lage sein, entsprechend Grundlagen zu schaffen, um auch ältere Geräte mit der Nachricht zu versorgen. Bei anderen Anbietern wie Vodafone oder Telefónica wird es auf diesen Geräten voraussichtlich keine Warnmeldung geben.
Viele Hürden für Cell Broadcast
Neben dem passenden Gerät und Update muss die Nutzer:in sich in einer Funkzelle befinden und der Flugmodus des Handys ausgeschaltet sein. Das sind nicht wenige Hürden, die überwunden werden müssen, damit Cell Broadcast seinen Zweck auch erfüllt. Das Bundesamt fordert Nutzer:innen dazu auf, zurückzumelden, ob sie eine Meldung erhalten haben.
Die Meldung zu erhalten ist das eine, das andere, sie lesen und verstehen zu können. Wie das BBK der taz mitteilte, wird die Warnung nur auf Englisch und Deutsch veröffentlicht. Generell ist das Thema Barrierefreiheit ein Problem, wenn gewarnt wird.
Alexander Ahrens von der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland hält die Warnapps für blinde und sehbehinderte Menschen für gut zugänglich. „Für gehörlose Menschen ist die Situation jedoch schwierig, da Warnungen meist nur in Schriftsprache ausgegeben werden und nicht in Gebärdensprache gedolmetscht werden“, sagte Ahrens der taz. Cell Broadcast hält er für einen Schritt in die richtige Richtung, da nicht nur via Schrift, sondern auch per Vibration oder Lichtblitz gewarnt werden kann.
„Aber Warnmeldungen müssen stets auch analog funktionieren und im Mehrsinnesprinzip angewendet werden. Dazu gehören Audio, Text, Video oder leichte Sprache.“ Problematischer sei, dass oft zu spät oder manchmal auch gar nicht über die gängigen Systeme gewarnt würde. Dies sei aber ein generelles Problem – und das nicht nur für Menschen mit Behinderung.
35.000 Sirenen bundesweit, viele funktionieren nicht
Neben digitalen Warnmitteln setzt das BBK auf analoge Technik. Rund 35.000 Sirenen gibt es bundesweit. Doch nicht alle funktionieren richtig oder sind an zentrale Systeme angeschlossen.
Alle Bundesländer machen mit und testen ihre Warninstrumente an diesem Donnerstag. Allerdings ist die Teilnahme für die Kommunen freiwillig – und teils schlicht nicht möglich. Der Bund hat mehr als 80 Millionen Euro beigesteuert, damit Sirenen bundesweit aufgerüstet werden. Für den Rest sollen die Länder aufkommen. Deren Zahlungswilligkeit ist allerdings eher begrenzt nach Coronapandemie, Inflation und Energiekrise.
Der Katastrophen- und Bevölkerungsschutz ist in Deutschland vor allem Ländersache. Das BBK ist nur für Krisenvorsorge, Warnung und Informierung der Bevölkerung zuständig. Auch im Verteidigungsfall übernimmt das BBK. „Das bedeutet, dass es bei großflächigen Katastrophen kein einheitliches bundesweites Krisenmanagement gibt, was die Koordination und Bewältigung verkompliziert“, sagte Michael Wiesner, Sprecher der AG Kritis der taz. Die AG Kritis ist ein Zusammenschluss von IT-Fachleuten und anderen Expert:innen, die IT-Sicherheit, aber auch den Schutz Kritischer Infrastruktur verbessern wollen.
Wiesner kritisiert weiter, man sei für eine Kompensation großflächiger Ausfälle, etwa des Mobilfunks, nicht ausreichend ausgestattet. In einem solchen Fall würden auch Warnsysteme wie Apps oder Cell Broadcast Schwierigkeiten bekommen. Wiesner zufolge wurden in den vergangenen Jahrzehnten die Kapazitäten für den Bevölkerungsschutz schlicht zurückgefahren. „Dies muss schnellstmöglich korrigiert werden.“
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