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Bundesweite MaskenpflichtChaotische Regelbeschlüsse

Pascal Beucker
Kommentar von Pascal Beucker

Der Mund-Nasen-Schutz wird im öffentlichen Nahverkehr und im Einzelhandel Pflicht. Das wirft auch Fragen auf.

In Bayern kosten Verstöße gegen die ab Montag geltende Maskenpflicht ein Bußgeld von 150 Euro Foto: Felix Hörhager/dpa

N un also doch. Nachdem in der vergangenen Woche einige schon vorgeprescht waren, gilt ab diesen Montag in fast allen Bundesländern eine Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr und – mit einer Ausnahme – im Einzelhandel. Als letztes Bundesland folgt Schleswig-Holstein dann am Mittwoch. Gut so. Nur: Warum kommt diese Verpflichtung erst jetzt?

Seit eineinhalb Monaten befindet sich die Bundesrepublik im Corona-Ausnahmezustand. Hat sich seitdem etwas an der wissenschaftlichen Erkenntnis über den Nutzen eines Mund-Nasen-Schutzes geändert? Nein, das hat es nicht. Trotzdem haben die Bundesregierung und die Länder lange Zeit eine Maskenpflicht abgelehnt – mit vermeintlich medizinischen Argumenten.

Dabei war der reale Grund ein rein pragmatischer. Er lag in den Beschaffungsengpässen, mit denen Krankenhäuser, Arztpraxen und Pflegeeinrichtungen konfrontiert waren und die nicht noch vergrößert werden sollten. Besser wäre gewesen, das auch genau so zu kommunizieren. Wer grundsätzlich argumentiert, wenn es um ein praktisches Problem geht, hat bei einem Richtungswechsel schnell ein Glaubwürdigkeitsproblem.

Auch die Umsetzung der Maskenpflicht wirft Fragen auf. Besteht in den Geschäften Berlins eine geringere Ansteckungsgefahr, oder warum muss man in der Hauptstadt einen Mund-Nasen-Schutz nur im öffentlichen Nahverkehr tragen, nicht aber wie andernorts auch im Einzelhandel? Warum gilt die Tragepflicht in den meisten Ländern nicht für Kinder im Vorschulalter, aber in Sachsen oder Sachsen-Anhalt ohne Altersbeschränkung? Wieso kostet ein Verstoß gegen die Maskenpflicht in Bayern ein Bußgeld von 150 Euro, in Mecklenburg-Vorpommern 25 Euro – und in etlichen Ländern gar nichts? Es gibt keine schlüssige Erklärung für solch ein uneinheitliches Vorgehen.

Mangel an einfachen medizinischen Atemschutzmasken

Ein Grundproblem bleibt zudem: Nach wie vor gibt es einen Mangel an einfachen medizinischen Atemschutzmasken, sprich: OP-Masken, in Deutschland. Als Ausweg gilt inzwischen, dass auch selbstgebastelte Masken ebenso wie Schals oder Tücher verwendet werden dürfen. Wieder so eine pragmatische Entscheidung – die nicht nur Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery als „lächerlich“ bezeichnet, sondern auch beispielsweise SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach noch Anfang des Monats als „bedenklich“ abgelehnt hatte.

So hübsch sie bisweilen auch aussehen: Tatsächlich können Bastelmasken, Schals und Tücher nicht mehr als ein Notbehelf sein. Das sollte nicht schöngeredet werden. Bund, Länder und Kommunen stehen jedenfalls weiter in der Verantwortung, sich intensiv darum zu bemühen, dass es schnellstmöglich genügend echte Schutzmasken für jede und jeden in Deutschland gibt.

Nichtsdestotrotz ist es sinnvoll, dass es nun eine bundesweite Maskenpflicht gibt. Der Mund-Nasen-Schutz ist zwar unbequem und schützt den oder die Träger:in selbst nur in geringem Maße, aber dafür schützt er auf jeden Fall andere. Und er ist ein unübersehbares Signal, dass die Co­rona­krise noch nicht überwunden ist. Auch das sollte nicht unterschätzt werden.

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Pascal Beucker
Inlandsredakteur
Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft. Sein neues Buch "Pazifismus - ein Irrweg?" ist gerade im Kohlhammer Verlag erschienen.
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24 Kommentare

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  • In den letzten Wochen kommt ein nach dem Anderen.... m.E.Ablenken vom Versagen vor der Pandemie!



    Stellt Euch vor niedergelassene Ärzte, Pflegeheime, Krankenhäuser, Gesundheitsämter hätten für 6Monate auf Vorrat da gehabt!



    Dann -das ist mir viel wichtiger, weil es so unten durch fällt- hätte man die Menschen nicht verantwortungslos und schutzlos an die Front schicken müssen....

    Diese wahnwitzige Ablenkung von den Urversäumnissen kostet jetzt mal so ein paar Milliardenchen.

  • Jede Maske hilft, weil man sich dann selbst sich nicht ständig im Gesicht rumfummeln kann.

    Und wer schon mal Fimle von niessenden oder hustenden Menschen gesehen hat, wie weit das sprüht, dem graust es sowieso: da hilft auch ein Schal.

    Und jede Maske sollte natürlich öfter mal desinfiziert werden.

    • @Mitch Miller:

      Der japanische U-Bahn-Waggon war aber auch in weniger als einer Sekunde komplett mit Sprühnebel gefüllt, wenn die Versuchsperson eine Maske trug...

  • Da sieht man klar die Grenzen des föderalen Systems. Selbstbestimmung klingt erstmal toll, aber wenn dann Einzelne Blödsinn machen und damit das ganze Land gefährden hört die Freiheit auf.

    • @Mitch Miller:

      Aber warum soll zentral verordneter Blödsinn weniger gefährlich sein?

    • @Mitch Miller:

      Das hat auch ganz viel mit Eigenverantwortung zu tun. Ich wohn an einer Uni und da sind asiatische Studenten schon im Februar damit herumgelaufen.

      Damals gabs FFP Masken noch für nen Spottpreis im Baumarkt. Die Masse der Einheimischen brauch halt erst eine Pflicht, um sinnvolle Maßnahmen umzusetzen.

      Aber dann, wenns die Pflicht gibt, dann wird ganz genau drauf geachtet, wer eventuell was falsch macht und wie man am korrektesten seiner Pflicht nachgeht.

  • Ich möchte hiermit die "Meinung" der taz zur Maskenpflicht kritisieren. Auf die erste Frage warum erst jetzt gibt es doch genug Antworten. Die WHO hat lange keine MaskenPflicht empfohlen. Zusätzlich ist die Studienlage zum Maskentragen in der Allgemeinbevölkerung gar nicht so eindeutig wie suggeriert wird (anders als FFP2/3 in der Medizin). Hinzu kommen Personengruppen, die eine Maske nur mittel bis schwer tolerieren würden,.B. COPDler, Asthmatiker, Kinder, Pat. mit Herzinsuffiziens, Pat mit Angstzuständen, etc.



    Eine allgemeine Empfehlung zum Tragen, okay. Aber eine Forderung zur Pflicht finde ich zu platt. Da bin ich von der taz enttäuscht.

  • Der Autor hat vollkommen recht. Allerdings würde ich sagen, dass die Regierung, die die Maskenpflicht ausgesprochen hat, auch dafür sorgt, dass es kostenlose FFP2-Masken für ALLE gibt oder aber, dass deren Anschaffung steuerlich abgesetzt werden können. Immerhin kostet eine solche Maske derzeit noch ca. 10 EUR pro Stück. Auch die Anschaffung von Stoff- oder OP-Masken sollte vom Staat finanziert bzw. als "steuerlich absetzbar" deklariert werden.

    • @Jossi Blum:

      FFP2 und FFP3 Masken sollen überhaupt nicht von Privatpersonen getragen werden. Sie haben eine völlig andere Wirkung und sollten nur Ärzten und Pflegepersonal vorbehalten sein.

      • @Jalella:

        Mein Apotheker hat mir die FFP2-Maske für den Besuch von Arztpraxen empfohlen und daran halte ich mich.

      • @Jalella:

        Quatsch. Tausende Handwerker haben die Dinger sowieso berufsbedingt rumliegen - sollen die sich dann besser welche mit Blümchenmuster basteln?

        Die zu spenden ist auch sinnlos, denn Profis müssen die stündlich austauschen, das sind Tropfen auf heisse Steine und man selbst muss dann basteln.

        Man kann aber die Ventile akleben und sie somit auf 2-Wege-Schutz aufrüsten. Ist nur nicht so angenehm was die Akzeptanz auch auf Baustellen stark reduziert.

  • Kann ich die Pflicht in Bussen und Bahnen ja noch nachvollziehen, so erscheint sie mir im Einzelhandel nicht gerechtfertigt. Wir haben es in den letzten sechs Wochen auch ohne Masken geschafft, die Neuinfektionen drastisch herunterzufahren und damit gezeigt, dass der Mindestabstand ein wirksames Mittel ist. Warum dann noch die Maskenpflicht? Hier wird unsere (Entscheidungs-)Freiheit ein weiteres Mal massiv eingeschränkt. Ich habe es am Samstag mal ausprobiert und muss sagen: mir reichts. Man fummelt mehr mit den Händen im Gesicht herum, weil die Brille beschlägt, oder die Maske nicht einwandfrei sitzt - jedes Gesicht ist eben anders. Und der Nutzen dieser Masken - und erst recht Tücher und Schals - ist mehr als fragwürdig. Die Maskenpflicht soll wohl eher unseren Politikern als Alibi-Funktion dienen, für den Fall, dass es bei den Lockerungen doch zu einem erneuten Anstieg kommt. Dann heißt es von deren Seite: "Wir haben doch alles getan - ist nicht unsere Schuld."

    • @willyinwarschau:

      Es gibt weiterhin Neuinfektionen, die man sich durchaus im Einzelhandel holen kann. Im Einzelhandel mit engen Gängen und vielen Kunden an den Regalen, Ständen und Truhen ist eine Masken also genauso sinnvoll wie in Bussen oder Bahnen. Nach Ihrer Argumentation müsste man aufgrund der heruntergefahrenen Neuinfektionen auch im ÖPNV auf Masken verzichten können. Ich bin sogar dafür, dass auch auf belebten Einkaufsstraßen und in Gebieten, die von Aerosol ausssondernden Joggern bevölkert werden, Masken getragen werden MÜSSEN. Ich wurde gestern bei einem Spaziergang im Wald und an einem See von Joggern, die an mir ohne Mindestabstand vorbeiflitzten, vollgehaucht. Das geht gar nicht, finde ich.

      • 0G
        01054 (Profil gelöscht)
        @Jossi Blum:

        Wenn irgendwann genug medizinische Masken vorhanden sind für alle, dann gibt es wirklich einen Schutz, mit den Alltagsmasken nur bedingt. Noch vor kurzem hat die Kanzlerin diese Masken als Virenschleudern bezeichnet. Wenn man jetzt das Gefühl hat, das andere den Abstand nicht wahren und man etwas abbekommen hat, dann sollte man sich testen lassen und vorsorglich in Quarantäne gehen, damit man nicht selbst andere gefährdet.

      • 8G
        80336 (Profil gelöscht)
        @Jossi Blum:

        Bitte nicht um der Vollständigkeit halber die abertausende Arbeitsbienen vergessen, die täglich zu Schichten in Logistikzentren Fahrgemeinschaften bilden müssen, da sie sich bei ihrem Einkommen weder Monatskarte noch Kfz leisten können. Da bei den täglichen An- und Abfahrten das Tragen eines Mundschutzes verboten bleibt, und nun nur noch einer zusteigen darf, frage ich an, ob die Mitnahme des einen Kollegen im Kofferraum und des anderen auf dem Dachträger gestattet ist.

      • 8G
        80336 (Profil gelöscht)
        @Jossi Blum:

        Bitte nicht um der Vollständigkeit halber die abertausende Arbeitsbienen vergessen, die täglich zu Früh-, Spät- und Nachtschichten in Logistikzentren Fahrgemeinschaften bilden müssen, da sie sich bei ihrem Einkommen weder Monatskarte noch Kfz leisten können. Da bei den täglichen An- und Abfahrten das Tragen eines Mundschutzes verboten bleibt, und nun nur noch einer zusteigen darf, frage ich an, ob die Mitnahme des einen Kollegen im Kofferraum und des anderen auf dem Dachträger gestattet ist.

  • Ntv übertrug heute vormittag live die Landung des größten Fliegers mit Masken bei Leipzig. Die Verteidigungsministerin ist auch da. Und viel Presse. Und die Bundeswehr. Abstand, Masken, nichts davon, Rudelbildung eng an eng. Prima Vorbilder!

  • "Es gibt keine schlüssige Erklärung für solch ein uneinheitliches Vorgehen." In einem föderalen System ist es nun einmal so, dass Dinge die die Länder eigenständig entscheiden können nur selten komplett einheitlich sein werden, sei es im Seuchenschutz, der Bildungspolitik oder anderen Bereichen. Wenn das jedes Mal ein Problem und nicht vermittelbar ist, sollte man überlegen das politische System zu einem Zentralstaat umzubauen in dem die Gesetze ausschließlich in Berlin gemacht werden und die Länder nur noch Verwaltungsapparate sind. Ob das das bessere Modell wäre würde ich bezweifeln.

    • @Ingo Bernable:

      In Gesundheitsfragen, die über Leben und Tod entscheiden können, sind zentral geregelte Richtlinien, die für alle Bundesländer und Kommunen gelten müssen, unabdingbar. Wo auch immer Menschen leben und in Kontakt miteinander kommen, kann der Virus verbreitet werden. Die Viren kennen keine Ländergrenzen und denen ist es auch egal, ob Menschen in Parks, Geschäften oder im ÖPNV zusammen kommen. Ich frage mich, wozu es einen Gesundheitsminister gibt, wenn der letzten Endes nichts entscheiden kann, sondern nur Empfehlungen aussprechen kann, deren Umsetzung Ländersache ist. In der Corona-Krise wird deutlich, dass der Staatsapparat einen sinnlosen Wasserkopf hat mit Ministern, die nichts bewegen können. Und dass jedes Bundesland sein Ding macht, ist in Sachen Corona längst nicht mehr witzig.

      • @Jossi Blum:

        Dass Bundesminister nichts entscheiden können, ist ja nun auch nicht wahr. Sie haben eine ganze Menge Einfluss und Entscheidungsmöglichkeiten aber eben nicht alle und es gibt durchaus gute Gründe Macht nicht zu sehr zu bündeln.



        Und die Maßnahmen werden ja auch nicht dadurch weniger wirkungsvoll, dass sie nicht komplett einheitlich sind, zumal die Lage in NRW oder Bayern eben auch eine andere ist als in Mecklenburg-Vorpommern.

        • @Ingo Bernable:

          Ja, das hört man immer wieder, dass die Lage regional unterschiedlich ist. Gleichwohl spielt es für mich keine Rolle, ob es in einem Bundesland nur 100 Infizierte und in einem anderen 50.000 gibt. Die Maßnahmen zur Eindämmung von Neuinfektionen müssen überall dieselben sein. Oder will man erst warten, bis das Bundesland, in dem es noch relativ wenig Infizierte gibt, die Infektionen ansteigen, um erst dann Maßnahmen wie Masken einzuführen?

  • * Trotzdem haben die Bundesregierung und die Länder lange Zeit eine Maskenpflicht abgelehnt – mit vermeintlich medizinischen Argumenten. *

    Wohl auch weil die WHO davon immernoch abrät, Masken zu tragen, was auch hier nicht erwähnt wurde.

  • Wir waren mal ein Land in dem die Menschen relativ frei waren in ihren Entscheidungen. Jetzt schreien wir nur noch nach staatlichen verordneten Maßnahmen.



    Wenn anstatt unsinniger Talk Shows im Fernsehen immer wieder Hinweise zum Sinn der Masken gelaufen wären, wäre es uns vielleicht in Fleisch und Blut übergegangen und die Gesellschaft hätte sich selbst zum Maskentragen erzogen.



    Doch das war gestern, ab heute schleichen Polizei und Ordnungsamt hinter uns her und schauen, ob nicht einem die Maske von der Nase rutscht?



    Immerhin hat der dann nicht gegen das Vermummungsverbot verstoßen. Wird das auf das Bußgeld angerechnet ?

    • @3009nico:

      Richtig. Ziemlich übel, dass alle nur nach Beschränkungen ihrer Freiheit schreien (und damit natürlich auch der Freiheit anderer).



      Die informativen Sendungen sind durchaus auch gelaufen, aber vielleicht nicht gesehen worden. Außerdem ist das Thema nicht ganz einfach und viele Menschen haben ja schon mit einfacheren Zusammenhängen ... äh ... Schwierigkeiten.