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Bundeswehrbrigade in LitauenNeue Rolle, keine Debatte

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Künftig sollen in Litauen 5.000 Bundeswehrsoldaten stationiert werden. Bisher fehlt es dafür aber an allem, auch an Soldaten, die dort leben wollen.

Deutschland wird mit dieser Panzer­bri­gade ab 2027 zur westlichen Schutzmacht im Baltikum Foto: Michael Kappeler/dpa

F riedrich Merz hat kürzlich donnernd angekündigt, Deutschland werde bald die stärkste konventionelle Armee in Europa haben. Der Besuch der deutschen Panzerbrigade in Litauen ist da ein passender Bildtermin. Deutsche Panzer, die nahe der russischen Grenze über Hügel rollen, sind ein brauchbarer Hintergrund, um Entschlossenheit zu demonstrieren.

So recht zwingend ist der Zeitpunkt für diesen Besuch am Donnerstag nicht. Die Stationierung von 5.000 BundeswehrsoldatInnen in Litauen schreitet in eher bundesrepublikanischem Tempo voran. Sie wurde vor zwei Jahren geplant – und ist vielleicht in zwei Jahren fertig. Bis jetzt sind erst ein paar Hundert deutsche SoldatInnen dort. Es fehlen Waffensysteme, Wohnungen, Kitas, Krankenhäuser. Und es fehlen auch deutsche SoldatInnen, die künftig unbedingt in Litauen leben wollen. Sicherer als der Zeitplan ist: Es wird sehr teuer. Die Einrichtung der Brigade kostet 5 Milliarden Euro, der Unterhalt 1 Milliarde – jährlich.

Litauen ist mehr als ein Symbol. Denn Deutschland wird mit dieser Panzer­bri­gade ab 2027 zur westlichen Schutzmacht im Baltikum. Das ist ein gravierender Einschnitt – für die Bundeswehr und für das bundesdeutsche Selbstverständnis. Dies sind nicht nur die ersten Bundeswehrtruppen, die dauerhaft außerhalb deutscher Grenzen stationiert werden. Dies ist das riskanteste militärische Engagement in der Geschichte der Bundesrepublik. Denn falls Russland je an der Suwalki-Lücke militärisch provozieren sollte, dann werden deutsche SoldatInnen reagieren müssen.

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Das ist gerade angesichts des möglichen Rückzugs der USA aus Europa ein Szenario, das ungemütlich zu nennen eine Untertreibung ist. Umso erstaunlicher ist, dass hierzulande seit Jahren mit viel Affekt- und Rhetorikaufwand über die Lieferung von einzelnen Waffensystemen an die Ukraine gestritten wird, es aber keinerlei öffentliche Debatte über die fundamental neue deutsche Rolle gibt, die sich in Litauen manifestiert. Kann es sein, dass die Waffendebatte eine Art Abwehrzauber ist, um sich nicht mit dem Wesentlichen befassen zu müssen?

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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13 Kommentare

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  • Und wieder stehen deutsche Truppen an der russischen Grenze. Deutschland hat nichts, aber auch rein gar nichts aus der Geschichte gelernt. Es verfällt in alte, kriegerische Denkmuster. Alle "guten Dinge" sind (wohl) drei!

    • @Odysseus L:

      Es ist natürlich recht einfach, drei faktisch (und zwar in jeder Hinsicht) völlig unterschiedliche Ausgangssituation übereinander zu legen. Aber so sehr man auch zieht und zerrt. Sie lassen sich nicht zur Deckung bringen.



      Aber weil er schon dabei ist und nicht mehr aufhören kann, zieht der Amateurhistoriker einen unausgegorenen Schluss aus seinen Finger-(Übungen), den er auch schon vor der Sichtung seines Materials kannte, weil es nicht anders sein kann, als es sein soll.

  • Und wieder stehen deutsche Truppen an der russischen Grenze. Deutschland hat nichts, aber auch rein gar nichts aus der Geschichte gelernt. Es verfällt in alte, kriegerische Denkmuster. Alle "guten Dinge" sind (wohl) drei!

  • "Vorgesehen sei dabei, dass deutsche Soldaten und Soldatinnen mit ihren Familien in den beiden Großstädten Vilnius und Kaunas leben könnten, sicherte das litautische Verteidigungsministerium zu. Die Vereinbarung sieht vor, dass für die Unterbringung sowohl der zivile Wohnungsmarkt genutzt werden soll als auch gesonderte Wohnsiedlungen geschaffen würden."



    (augengeradeaus.net...tauen-vereinbart/)



    Wer schon einmal in Vilnius oder Kaunas war wird wissen, wie angenehm es sich in diesen Städten leben lässt.



    Daher bin ich mir sicher, dass sich bald eine angemessene Zahl von Freiwilligen findet, die dort, zu sicher lukrativsten Besoldungsbedingungen, ihren Dienst für eine Zeit leisten wollen werden.

  • Ich kommentiere hier jetzt nochmal ähnlich wie unter dem Artikel über den russischen Aufmarsch an der finnischen Grenze, mit der Hoffnung, dass mein Kommentar auch abgebildet wird:



    Ist das hier das gleiche oder etwas komplett verschiedenes?

  • Nein danke! Wird kaum im TV thematsiert und hoffentlich nicht durchgewunken.

  • Hat sich August Heinrich Hoffmann von Fallersleben wohl geirrt. Die Memel ist kein deutscher Grenzfluss...

  • Mein Vater war auch schon mal da.

    • @Peter Teubner:

      Da ist er nicht der einzige. Mein Opa ist dort geblieben. Sein Grab liegt ein paar Kilometer weiter südlich in Weißrussland.

  • Da ist was Wahres dran!



    Insbesondere VertreterInnen der Grünen und der FDP übertrafen sich in der letzten Jahren mit Forderungen nach mehr Waffensystemen für die Ukraine.



    Gleichzeitig sind beide Mitgliedergruppierungen die vehementesten VerfechterInnen gegen eine Wehrpflicht.



    Das St. Floriansprinzip liegt auf der Hand.



    Dass Merz sich mit fremden Federn schmückt, scheint so seine Art zu sein, ein weiterer unsympathischer Zug.



    Ansonsten müssen wir realisieren, dass Unkle Sam zukünftig nicht mehr Babysitten wird. Wie war es doch bequem, stets auf die Amis zu schimpfen und sich gleichzeitig von Ihnen beschützen zu lassen.



    FDP und Grüne haben den Schuss noch nicht gehört, mal ganz abgesehen von außenpolitisch Weltfremden der Linken oder des BSW.



    Wie wir erkennen müssen, reicht der erhobene Zeigefinger in der aktuellen Weltlage nicht aus um die eigene Demokratie zu schützen.



    Die Einschätzung, dass es sich um den gefährlichsten Auftrag der Bundeswehr handelt, halte ich für unzutreffend.



    Die Auslandseinsätze der vergangenen Jahre waren Einsätze in Kriegsgebieten, mit der täglichen Gefahr eines Angriffs.



    Ein Angriff auf die litauische Brigade wäre ein Angriff auf die Nato insgesamt.

    • @Philippo1000:

      Auch der "Babysitter" USA hat keine Wehrpflicht und trotzdem die stärkste Armee der Welt. Das ist weniger eine Frage von Zwang, sondern von Geld, kluger Führung und sozialer Anerkennung. Woran es der Bundewehr jeweils eklatant mangelt (am wenigsten noch an Geld). Einsätze zu Landesverteidigung bzw. zum Schutz eines hochdemokratischen NATO-Partners sind nun zumindest motivierender als Auslandseinsätze in Mali, Afghanistan oder vor der Küste Somalias, wo Soldaten stets sinnlos für undemokratische Machtspiele verheizt wurden und die Situation danach keinen Deut besser war als zuvor.

    • @Philippo1000:

      Die USA werden nicht länger für die Sicherheit in Europa sorgen und mit den geplanten Kürzungen im Verteidigungsetat auch dazu gar nicht mehr in der Lage sein. Daher ja ein Angriff auf die NATO aber das wird dann primär Deutschlands Aufgabe sein ihn abzuwehren.

  • Der Gedanke des "Abwehrzaubers" ist richtig. Aber der Groschen fällt reichlich spät. Ich würde eher sagen, dass den meisten Deutschen die "Ernsthaftigkeit" einer Armee überhaupt nicht bewusst ist. Das kann man an den in "bundesrepublikanischem Tempo" geführten Debatten über Wehretat, Waffenkäufe oder Wehrpflicht merken, aber auch am allgemeinen Umgang mit der Bundeswehr seit 35 Jahren. Die stolzen Einsätze in Afghanistan und Mali waren entweder Entwicklungshilfe mit Präsentieren des Gewehrs oder Camps bewachen und französische Kampfhubschrauber bewundern.



    (Wobei ich hier den getöteten dt. Soldaten meinen Respekt erweisen möchte.)



    Kampfeinsatz, wie er jetzt droht (und doch nicht stattfinden möge), ist eine ganz andere Nummer. Die Bundeswehr ist in Litauen nicht mehr Hiwi-Truppe, sondern im Fall das Rückgrat der Nato-Verteidiger. Dass darüber und über die Konsequenzen nicht gesprochen wird, und zwar mit tödlichem Ernst, kann nur wundern.