Bundestagswahl und Medien: Heftiges Talkshowgeballer
Die Öffentlich-Rechtlichen tun sich weiter schwer mit der AfD. Dabei reichen inhaltliche Konfrontationen nicht. Es geht um Habitus.
![Markus Lanz und Tino Chrupalla beide mit erhobenen Zeigefingern diskutieren lebhaft miteinander Markus Lanz und Tino Chrupalla beide mit erhobenen Zeigefingern diskutieren lebhaft miteinander](https://taz.de/picture/7517202/14/34616211-1.jpeg)
W ahlarena, Duell, Triell, Quadrell, Talkshow. Dialog, Talkshow, Duell, Triell. Wahlarena, Talkshow, Viererduell, Talkshow, Wahlarena, Duell, Talkshow, Talkshow, Talkshow, Duell und „Schlagabtausch mit sechs Gästen und längerer Sendezeit“.
Das Talkshowgeballer im Wahlkampf nimmt Ausmaße an, die ermüden. Mal müssen die Politiker*innen an Holzemojis drehen, mal mit Bürger*innen diskutieren, mal am Tisch sitzen, mal sich an Pulte klammern. Die AfD gehört inzwischen zum Talkshow-Stamminventar – kann man doof finden, der ÖRR ist aber dazu verpflichtet, „Chancengleichheit“ zu gewähren.
Lustig ist das schon, denn Chanceneinschätzung beruht auf der Interpretation von Wahrscheinlichkeit, ist also Spekulation, wie das Beispiel Sahra Wagenknecht zeigt: Am Donnerstag verweigerte das Kölner Verwaltungsgericht ihr die Chance, in der ARD-„Wahlarena“ aufzutreten. Begründung: sie habe eh keine Chance aufs Kanzleramt. Am selben Tag entschied das Verwaltungsgericht Mannheim, dass der SWR das BSW zu seiner „Wahlarena“ einladen muss. Begründung: die Partei habe Chancen, in den Bundestag zu kommen.
Nun ist die Frage nach dem „Umgang mit der AfD“ so alt wie die AfD. Wie talkt man mit Politiker*innen, die sich für keine Lüge und schon gar nicht für feixende und pöbelnde Auftritte schämen? Ihre Unverschämtheit ist ihre Strategie. Die AfD wird (wie Rechtspopulisten weltweit) aus habituellen Gründen verehrt und nicht, weil sie überzeugende Konzepte hätte. Die Widersprüche der AfD herauszuarbeiten, fällt den Talkshows dabei gar nicht so schwer. Es ist das Habituelle, mit dem sie zu kämpfen haben.
So geriet am Mittwoch bei „Markus Lanz“ die Show mit Tino Chrupalla zu einem Ballerspiel-Showdown: „Nein!“, „Stop!“, „Falsch!“, „Quatsch!“, „Stimmt nicht!“, „Das steht aber in Ihrem Programm.“, „Nein!“, „Doch!“, „Nein!“, „Doch!“, „Nein!“, „Doch!“, „Doch!“ – ging es minutenlang hin und her, um zu klären, ob im AfD-Parteiprogramm steht, dass Bürgergeld für Nichtdeutsche auf ein Jahr begrenzt werden soll.
Fakt ist: Ja. Kennt Chrupalla sein Programm nicht oder nimmt er seine Aussagen so wenig ernst wie die seiner Partei? Egal, hängen bleibt: Chrupalla wurde beballert und hat zurückgeballert.
Locker in den Hüften bleiben
Eine Strategie der Talkshows ist, AfDler zu fragen, warum sie rechtsextreme Begriffe wie „Schuldkult“ oder „Remigration“ benutzen. Das aber ist Steilvorlage für die Populisten: Ich lass mir doch nicht vorschreiben, wie ich sprechen soll. Sie tun dabei so, als seien sie gefragt worden, warum sie Autobahnen bauen wollten, wo das doch Hitler zuerst getan hat.
Die Moderator*innen wollen so den rechtsextremen Kern hinter bürgerlicher Fassade entlarven. Kann man machen. Besser wäre, ohne Scheu nachzufragen, wo genau Erinnerungspolitik politisch instrumentalisiert wird. So die AfD-Antwort das überhaupt auf einen Punkt bringen könnte, müssten auch ihre Vorwürfe ans „Establishment“ diskutiert werden, anstatt die reißerischen Slogans nur mit „Das lassen wir dann mal so stehen“ zu quittieren.
Immer ratsam ist es auch, locker in den Hüften zu bleiben, statt verkrampft. Wenn der AfD-Gast wieder sagt: „Migranten, die sich nicht an die Spielregeln halten, werden abgeschoben“, einfach mal mit der Frage kontern, ob das auch für die ausländischen Mächte gilt, die den deutschen Wahlkampf unterwandern.
Wie für vieles gilt aber auch für Talkshows: Man muss sie nicht wichtiger nehmen, als sie sind. Zuschauerzahlen von „Markus Lanz“ mit Chrupalla am Mittwoch: 1,7 Millionen. ZDF-Krimi-Serie „Die Toten von Salzburg“ am selben Abend: 5,9 Millionen.
In der gezeigten Folge wurde übrigens der Chauffeur des bayerischen Energieministers vergiftet.
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