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Bundestagswahl am 23. FebruarSchluss nach 105 Jahren

Mit der Wahl verlassen fünf prominente Ex-Landespolitiker den Bundestag. Hinter einem sechsten, Exregierungschef Müller, steht noch ein Fragezeichen.

Mehrere prominente Berliner Politiker werden nach der Wahl am 23. Februar nicht mehr auf den blauen Bundestagsstühlen sitzen Foto: Christoph Soeder/dpa

Berlin taz | Sie werden fehlen. Dem einen inhaltlich, der anderen menschlich, wieder anderen wegen ihrer besonderen Art – und manchen auch, weil niemand mehr da ist, über den man sich so gut aufregen kann. Die Rede ist von den Rausgehern: Mit der Wahl am 23. Februar werden so viele bekannte Berliner Politiker den Bundestag verlassen wie mutmaßlich noch nie – und durchweg welche, die zuvor im Abgeordnetenhaus oder im Senat saßen.

So geht etwa Renate Künast, die erste Frau, die jemals Landwirtschaftsministerin wurde und die als erstes Grünen-Mitglied in diesem Amt vor Bauern stand. Es verabschieden sich außerdem zwei, die die PDS 2002 im Bundestag hielten: Nicht ausgeschlossen, dass es ohne die damalige einsame Präsenz von Petra Pau und Gesine Lötzsch die Linkspartei heute nicht geben würde.

Mit Monika Grütters von der CDU geht auch die Frau, die über acht Jahre als Ministerin deutsche Kulturpolitik prägte. Ihr Parteifreund Thomas Heilmann wiederum wird der Mann bleiben, der am Bundesverfassungsgericht zeitweise das Heizungsgesetz stoppte, als es auf die Schnelle und die Rechte der Parlamentarier verletzend durch den Bundestag sollte.

Und dann ist da noch Michael Müller, sieben Jahre Regierender Bürgermeister von Berlin und erst seit Herbst 2021 im Bundestag. Er dürfe verärgert darüber sein, dass er in dieser Aufzählung auftaucht. Denn er ist darin der einzige, der nicht – zumindest offiziell – freiwillig raus geht, sondern am 23. Februar nochmal seinen Wahlkreis gewinnen will. Aber in Charlottenburg-Wilmersdorf müsste angesichts der Umfragelage ein kleines SPD-Wunder passieren, damit Müller den Wahlkreis erneut gewinnt.

Die SPD ließ Müller fallen

Natürlich kann sich die Stimmung drei Wochen vor der Abstimmung am 23. Februar noch ändern – umso mehr nach dem umstrittenen Fünfpunkteplan von CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz. Derzeit aber sieht es nicht gut aus für Müller. Was auch daran liegt, dass seine Partei keinen Wert darauf legt, ihn weiter im Bundestag zu sehen. Dazu hätte sie ihn im Dezember auf einen sicheren Platz ihrer Landesliste wählen müssen – jene Liste, über die Parteien Parlamentsmandate füllen, wenn ihnen mehr Sitze zustehen als sie Wahlkreise gewonnen haben. Das taten die SPD-Delegierten aber nicht. „Gnadenlos abgestraft“, beschrieb die taz die Vorgänge bei jenem Landesparteitag.

Zwar freiwillig, aber auch nicht frei von Bitternis ist der Abschied bei den Linkspartei-Politikerinnen Petra Pau und Gesine Lötzsch, seit 1998 beziehungsweise 2002 im Bundestag. Beide lassen sich innerhalb ihrer Partei durchaus mit dem sonst schon mal inflationär benutzten Wort Ikonen beschreiben. Niemand ist zudem länger ununterbrochen Vizepräsidentin des Bundestags gewesen als Pau.

Diejenigen, deren politisches Gedächtnis in die Zeit von 2002 bis 2005 zurückreicht, könnten noch das Bild vor Augen haben, wie Pau und Lötzsch wie zwei Besucherinnen in der letzten Reihe des Bundestags sitzen. Die PDS war an der Fünfprozenthürde gescheitert, und um die Partei – wie 2021 – trotzdem im Parlament zu halten, hätte es drei Direktmandate gebraucht, nicht nur die beiden in Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg.

„So weit hinten saß noch nie jemand“, schrieb der Spiegel. Damals passte noch nicht mal die traurige Zuschreibung des „Katzentischs“: Als die beiden in den Plenarsaal kamen, hatten sie als Fraktionslose nämlich gar keinen Tisch und damit auch keine Schreibfläche wie die anderen Abgeordneten. „Es geht nicht, dass wir auf den Knien schreiben müssen“, schimpfte Lötzsch.

Abschied mit Kritik

Das könnte lange verwunden sein. Anderes lässt den Abschied bitterer werden. Lötzsch begleitete ihre Rückzugsankündigung im September vergangenen Jahres mit harscher Kritik an ihrer Parteiführung, der sie eine falsche Strategie vorwarf. Pau wiederum gehörte beim Landesparteitag im Oktober zu denen, die sich vergeblich dafür einsetzten, auch Antisemitismus in den eigenen Reihen zu benennen und rechtsstaatlich dagegen vorzugehen. Sie trat zwar deshalb nicht aus der Partei aus wie kurz darauf der frühere Kultursenator Klaus Lederer, verließ aber mit anderen unter Protest den Parteitagssaal.

Der Rückzug der früheren Kulturstaatsministerin Monika Grütters hingegen, zwischenzeitlich auch einige Jahre CDU-Landesvorsitzende und vom heutigen Regierungschef Kai Wegner gegen ihren Willen abgelöst, war eher von innerparteilichen Niggeligkeiten begleitet. In ihrem Wahlkreis Reinickendorf hatte ihr die örtliche CDU-Führung angeblich schon im Mai 2023 zu verstehen gegeben, dass man sie nicht erneut aufstellen werde.

Grütters selbst begründete ihren Rückzug Ende September in einem Gastbeitrag in der FAZ im Kern damit, dass sie nach acht teils glanzvollen Jahren als Regierungsmitglied den Kick vermisst: Ihre jetzige Aufgabe im Wissenschafts- und Auswärtigen Ausschuss sei spannend, „aber mir fehlt die aktive Mitwirkung in der Kulturpolitik“.

Im Vergleich zu ihren Kolleginnen ist der Abschied von Renate Künast aus dem Parlament fast schon harmonisch – für Grünen-Verhältnisse jedenfalls, wo Künast ohnehin schon wie eine Elder stateswoman wirkt. Was die mit jetzt 69 Jahren Älteste aus dem Kreis der prominenten Rausgeher schaffte: Nach dem Ende eines Amts oder einer Niederlage stets politisch zu überleben – sowohl nach dem Aus der rot-grünen Regierung 2005 als auch nach acht Jahren als Fraktionschefin 2013. Künast blieb eine wichtige Stimme, zwischenzeitlich auch als Chefin des Rechtsausschusses. Und als sie im Herbst als nominell einfache Abgeordnete den ausgetretenen Grünen-Jugend Vorstand „nicht realitätstauglich“ nannte, wurde das breit zitiert.

Tiefpunkt bei der Abgeordnetenhauswahl 2011

Zwischenzeitlich aber erlebte Künast 2011 den Tiefpunkt ihrer Karriere: Da schafften es die Berliner Grünen mit ihr als Spitzenkandidatin, von Umfragewerten von rund 30 Prozent bis zur Abgeordnetenhauswahl fünf Monate später auf 17,6 Prozent abzustürzen und in der Opposition zu bleiben. Ihrem Landesverband schien danach die Spaltung zu drohen - „Der große Graben der Grünen“ titelte die taz.

Die letzte Bundestagssitzung als Abgeordnete steht für die sechs prominenten Berliner Rausgeher am 11. Februar an. Zwölf Tage vor der Wahl, jedenfalls nach aktuellem Sitzungskalender. Zusammen 105 Jahre Bundestagsmitgliedschaft gehen dann zu Ende. Für die Zeit danach hat CDUlerin Grütters in ihrem FAZ-Abschiedstext den verstorbenen Schauspieler und Schimanski-Darsteller Götz George zitiert: „Alles in einem Leben wird irgendwann einmal abgehakt. Man muss es nur genossen haben.“

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2 Kommentare

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  • In der Liste der Wackelkandidaten fehlt wohl auch Herr Gysi. Entweder die taz hält ihn nicht für prominent oder sie ist sehr sehr zuversichtlich, dass die Linke wieder in den Bundestag einzieht.

  • Die einen gehen, die anderen kommen. Die Gehenden hatten nun teils den Mut, bei ja leider recht offensichtlich rechtswidrigen Wahlkampfmanövern von Merz eben nicht mitzumachen.



    Auch das gehört zu dem Gehen und Kommen.