Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble: „Ich bin nicht die Sprachpolizei“
Wolfgang Schäuble über seine Rolle in einem polarisierten Parlament, die Debatte über das Bamf und warum ihn die Schwäche der SPD trifft.
taz am wochenende: Herr Schäuble, nach vielen Jahre in der Regierung haben Sie seit Oktober einen neuen Job: Sie sind Präsident des Bundestags, in dem nun auch die AfD sitzt. Was haben Sie sich vorgenommen?
Wolfgang Schäuble: Der Bundestagspräsident muss das Parlament als Ganzes repräsentieren, also mit allen sechs Fraktionen, die jetzt darin vertreten sind. Er muss den Betrieb im Bundestag so beeinflussen, dass dieser seine Aufgabe erfüllen kann. Der Bundestag sollte nach fair ausgetragenem Streit Entscheidungen zustande bringen, die der Bevölkerung das Vertrauen geben, dass ihre Anliegen berücksichtigt werden. Das ist das Prinzip der Repräsentation.
Erstmals seit den 60er Jahren ist eine rechtspopulistische Partei im Bundestag vertreten. Hat die AfD die parlamentarische Streitkultur verändert?
Wenn ich an die großen Debatten in den 60er oder 70er Jahren zurückdenke, waren die auch nicht ohne. Als die Grünen 1983 in den Bundestag einzogen, war ich Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion. Da war ein Abgeordneter namens Fischer dabei. Die Grünen verstanden sich damals auch als Bewegung, nicht als Partei – und wollten mit dem ganzen alten Zeug aufräumen.
Das klingt gelassen. Sehen Sie in der AfD keine Gefahr?
Dazu habe ich mich klar geäußert …
Der Bundespolitiker
Seit 45 Jahren gehört Wolfgang Schäuble, 75, dem Bundestag an. Am 24. Oktober 2017 wurde er zu dessen Präsidenten gewählt und wacht nun über die Plenardebatten. Zuvor war er Innen- und Finanzminister. Als solcher setzte er harte Auflagen für verschuldete EU-Staaten durch – und schaffte es, erstmals einen Haushalt mit schwarzer Null zu verabschieden.
Der CDU-Politiker
Schäuble gilt als intellektueller Konservativer. Von 1998 bis 2000 war er CDU-Parteichef, musste aber zurücktreten, weil er in die Spendenaffäre verwickelt war.
Sie haben, als Sie noch Finanzminister waren, die AfD als „Schande für Deutschland“ bezeichnet und sie „Demagogen“ genannt.
Dazu stehe ich. Ich sage ganz klar, dass mein Interesse als CDU-Politiker ist, dass sie keinen Erfolg haben. Die AfD kennt meine Position, deshalb hat sie mich auch nicht als Bundestagspräsidenten gewählt. Als dieser habe ich mich aber für die Rechte aller gewählten Abgeordneten einzusetzen und sie an ihre Pflichten zu erinnern.
Besorgen Sie die Tabubrüche der AfD nicht?
Damit muss man umgehen. Deutschland trägt wegen seiner Vergangenheit eine große Verantwortung, nicht weit von hier steht das Holocaust-Mahnmal. Ich war lange der Überzeugung, dass uns unsere Geschichte vor Entwicklungen wie in anderen europäischen Ländern schützt. Da scheint sich etwas zu enttabuisieren.
Am vergangenen Wochenende hat AfD-Partei- und Fraktionschef Alexander Gauland, früher Christdemokrat wie Sie, daran kräftig mitgewirkt. Er hat „Hitler und die Nazis“ als „Vogelschiss in über 1.000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“ bezeichnet. Wie beurteilen Sie das?
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Ich habe das Notwendige dazu gesagt: Ein verantwortungsvoller Umgang mit den Abgründen der nationalsozialistischen Verbrechensherrschaft gehört zum Grundkonsens unseres demokratischen Rechtsstaats. Als Bundestagspräsident wie als Patriot muss ich darauf bestehen.
Obwohl sie sich immer weiter radikalisiert, bleibt die AfD stark oder wird sogar noch stärker.
Das stimmt so nicht. Die Frage, ob sich die AfD weiter radikalisiert, ist aus meiner Sicht ebenso wenig entschieden wie die andere, ob sie vielleicht noch stärker wird.
Hoffen Sie also, dass das Parlament die AfD zähmen wird, wie es mit den Grünen geschehen ist?
Dieser Prozess ist offen.
Warum kann der bundesrepublikanische Konsens, dass Parteien im Abseits stehen, die keine klare Grenze zum Rechtsextremismus ziehen, derart erodieren?
Das Dritte Reich und der Zweite Weltkrieg sind lange her, viele Menschen haben keine Erinnerung mehr daran. Die Eltern haben oft nicht viel erzählt. In anderen europäischen Ländern beobachten wir seit Langem, dass Rechtspopulisten Erfolg haben. Dabei spielt auch eine Rolle, dass Menschen sich nicht ernst genommen fühlen. Hier kann man ansetzen. Nur weil jemand sagt, die Eurozone funktioniert so nicht, ist er noch kein Europagegner. Und nur weil jemand sagt, wir können nicht jeden Flüchtling aufnehmen, ist er noch kein Nazi.
Mit Verlaub: Das behauptet doch in der Politik kaum noch jemand. Sogar die Linkspartei diskutiert über die Begrenzung von Flüchtlingszahlen.
Aber 2015, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, war die Stimmung eine andere. Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck hat es ja im Herbst 2015 schön ausgedrückt: „Unser Herz ist weit. Aber unsere Möglichkeiten sind endlich.“ Dieses Dilemma hat die Bundesregierung den Menschen damals vielleicht nicht erfolgreich erklärt. Deshalb haben bis heute viele das Gefühl, ihre Bedenken würden nicht berücksichtigt und sie seien ausgegrenzt.
Meinen Sie also, die frühe AfD wurde zu hart kritisiert?
Nein. Es geht um Diskussionskultur und um das, was die Menschen empfinden. Unsere Haltung zu Problemen in der Flüchtlingspolitik konnte zum Teil so missverstanden wurden, dass wir lieber nicht drüber reden wollten. Das erinnert mich an Debatten mit den Vertriebenen in den 80er Jahren. Sie fühlten sich auch oft ausgegrenzt und tabuisiert. Ich habe als CDU-Politiker mit ihnen geredet, ihnen zugehört und ihnen gesagt: Ich verstehe euch in vielen Punkten, sehe aber manche Dinge anders. Geschichte lässt sich nicht rückabwickeln.
In der Union gibt es zwei Strategien gegen die AfD: Merkel ignoriert sie so gut wie möglich, kühlt Emotionen herunter. Die CSU versucht, mit markiger Rhetorik und harter Innenpolitik AfD-Wähler zurück zu holen. Beides ist wenig erfolgreich. Zu welchem Umgang raten Sie?
Meine Überzeugung ist: Radikale oder extreme Strömungen bekämpft man nicht erfolgreich, indem man versucht, sie verbal zu übertrumpfen. Die Unionsparteien sind in der Regierung. Sie müssen die zugrunde liegenden Probleme lösen – und erklären, warum es manchmal keine einfachen Lösungen gibt.
Wenn CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt mit Äußerungen wie jener über die „Anti-Abschiebe-Industrie“ die Rhetorik der AfD aufgreift, hilft das also nicht?
Ich erteile keine Zensuren für Mitglieder des Bundestags. Aber ich sagte ja schon: Ich bin nicht für Verbalradikalismus, sondern für Lösungen. Luther hat gesagt, man solle dem Volk aufs Maul schauen. Aber das heißt nicht, dass wir ihm nach dem Munde reden müssen. Das repräsentative System funktioniert nur, wenn die Menschen darauf vertrauen, dass Politiker ihre Probleme lösen.
Wie gefährlich ist die AfD für die Union?
Franz Josef Strauß war sicher kein Heiliger. Aber an seinem Satz, rechts von der CSU dürfe es keine demokratisch legitimierte Kraft geben, ist viel Wahres dran. Die AfD möchte das Modell der Volksparteien, so wie wir es kennen, zerstören. Wir sehen ja, wie es der SPD ergeht, die in den 80ern das Aufkommen der Grünen verkraften musste und später das der Linkspartei. Im Übrigen hat die Volkspartei CDU ein Interesse daran, dass es auch eine starke SPD gibt.
Warum?
Es gibt eine Beziehung zwischen den beiden großen Volksparteien. Sie verhalten sich in Teilen wie kommunizierende Röhren zueinander. Ich werde in meinem Leben kein Anhänger der Sozialdemokratie mehr. Aber die gemäßigte Linke erlebt überall in Europa schwere Zeiten. Und ich habe meine Zweifel, ob es Ländern wie Frankreich mit einer schwachen gemäßigten Linken und Phänomenen wie Mélenchon besser geht.
Herr Schäuble, als AfD-Fraktionschefin Weidel im Plenum von „Kopftuchmädchen und sonstigen Taugenichtsen“ sprach, haben Sie sie zur Ordnung gerufen. Als der Abgeordnete Gottfried Curio kurz vorher von dem „entarteten Doppelpass“ sprach, taten Sie nichts. Wie passt das zusammen?
Ich würde beide Entscheidungen wieder so treffen. Frau Weidels Rede war … nun ja, sie war, wie sie war. Ich habe genau zugehört und mich während ihrer Rede noch mal nach der Stelle erkundigt. Sie hat mit ihren Worten Frauen diskriminiert, die Kopftuch tragen. Deshalb war die Rüge notwendig.
Haben Sie ihr damit nicht noch mehr Aufmerksamkeit verschafft? Weidel hat sich danach in den sozialen Netzwerken als Opfer vermarktet. Gehen solche Überlegungen in Ihre Entscheidung ein?
Das hilft ja nichts, sonst könnten wir gleich kapitulieren. Übrigens hat mich dasselbe eine Schülerin gefragt, mit deren Klasse ich nach der Plenardebatte diskutiert habe. Ich habe ihr geantwortet: Ein Schiedsrichter, der bei einem Foul nicht pfeift, wird vielleicht vom Kommentator gelobt, weil er das Spiel laufen lässt. Aber wenn die Spieler später wild aufeinander einholzen, heißt es, er habe nicht früh genug eingegriffen. Der Bundestagspräsident hat die Pflicht, rechtzeitig die Gelbe Karte zu zeigen. Das Wort „entartet“ hingegen kann ich nicht rügen.
Warum nicht? Die Assoziation zum Nationalsozialismus liegt auf der Hand.
Ich bin nicht die Sprachpolizei. Wenn Sie Geschmacksfragen anlegen, können Sie auch das Wort „Muttertag“ in diesen Zusammenhang bringen, der bekanntlich von den Nazis genutzt wurde, um ihr Mutterideal zu propagieren. Wir sind uns da im Präsidium des Bundestags weitestgehend einig. Wenn wir Ordnungsmaßnahmen erlassen, müssen sie gerichtsfest sein. Eine Rüge für „entartet“ wäre das nicht. Noch ein Beispiel: Den Zwischenruf „Das ist Hetze!“ würde ich nicht rügen, auch wenn die AfD das gefordert hat. Wenn aber ein Abgeordneter einen Redner „Hetzer“ nennt, muss ich das tun.
Weil diese Beschimpfung den Redner persönlich angreift.
Genau. Und manchmal hilft auch Bauchgefühl. Als ein AfD-Abgeordneter bei der Wahl der Kanzlerin seinen Stimmzettel auf der Toilette fotografierte und ins Netz stellte, hatte ich den Eindruck, dass er sich mit einem Ordnungsruf noch brüsten würde. Da habe ich zum ersten Mal ein Instrument genutzt, das es erst seit zwei oder drei Legislaturperioden in der Geschäftsordnung des Bundestags gibt: Ich habe eine Ordnungsgeld von 1.000 Euro angeordnet. Das hat einige überrascht. Diese Sanktion hatte eine gute Wirkung. Ein zweiter AfD-Abgeordneter, der etwas später dasselbe machte, bekam sofort Reaktionen im Netz: „Du Vollpfosten, das ist teuer!“ Da hat er seinen Post gelöscht.
In Ihrer ersten Rede als Bundestagspräsident haben Sie – wohl auch in Abgrenzung zur AfD – gesagt, dass der Volkswille erst im parlamentarischen Prozess entsteht. Gewählte Vertreter streiten in der Sache und entscheiden dann mehrheitlich. So weit die Theorie. In Wirklichkeit ist das Meiste abgesprochen, die Koalition stimmt ihr Programm durch. Wünschen Sie sich manchmal, es würde anders laufen? Dann würde der Bundestag vielleicht auch mehr Menschen begeistern.
Wir haben das parlamentarische Regierungssystem. Das Parlament ist verpflichtet, eine Mehrheit zu bilden und daraus eine Regierung zu machen. Das Prinzip ist schon richtig. Aber es ist ein bisschen zu ausgeprägt. Ich würde die Koalitionsverträge nicht so exzessiv in diversen Spiegelstrichen ausformulieren. Aber wenn wir keine Entscheidungen hinkriegen, dann verlieren wir das Vertrauen der Bevölkerung. Das ist auch eine Gefahr für die Demokratie. Möglicherweise sollten wir überlegen, ob wir andere Elemente schaffen.
Zum Beispiel?
Im Koalitionsvertrag steht, dass Vorschläge erarbeitet werden sollen, ob und in welcher Form unsere parlamentarisch-repräsentative Demokratie durch weitere Elemente der Bürgerbeteiligung und direkter Demokratie ergänzt werden sollen. Manche Staaten haben gute Erfahrungen mit zufällig zusammengesetzten Bürgerkomitees gemacht, die eine beratende Funktion ausüben. Meines Erachtens sollten solche Gremien aber immer nur eine konsultative Funktion haben. Entscheiden muss das Parlament.
Belebt es vielleicht sogar die parlamentarische Demokratie, dass die AfD im Bundestag sitzt? Mehr Menschen fühlen sich repräsentiert, die Debatten sind pointierter …
Darauf kann man schwer mit ja oder nein antworten. Sagen wir es so: Krisen sind immer auch Chancen. Und die offene, freiheitliche Gesellschaft kann aus Fehlern lernen und sie korrigieren, das hat schon der Philosoph Karl Popper gesagt. Dass die AfD gewählt wurde, hat viele Gründe – und alle Demokraten müssen damit umgehen. Wir müssen die Institution des Parlaments verteidigen. Sonst wird unsere Demokratie schwächer.
Die aktuelle Diskursverschiebung richtet sich auch gegen Anstöße, die Sie gegeben haben. Sie haben als Innenminister 2006 bei der Einsetzung der Islamkonferenz gesagt, der Islam gehöre zu Deutschland.
Falsch. Ich habe gesagt: „Der Islam ist Teil Deutschlands.“ Das ist eine Tatsachenfeststellung. Der Satz des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff, der Islam gehöre zu Deutschland, ist eine Wertung. Das ist etwas anderes.
Wir wollten aber auf das Signal hinaus, dass von Ihrem Satz ausgegangen ist. Für Migranten war das sehr wichtig, sie hörten vom Innenminister, dass sie dazu gehören. Horst Seehofer sendet nun in einer aufgeheizten Situation genau das gegenteilige Signal.
Sie tun Horst Seehofer Unrecht. Haben Sie seinen Aufsatz in der FAZ gelesen? Darin äußert er sich sehr differenziert über Heimat, Vielfalt und Zusammenhalt. Meine Frau meinte, der Aufsatz könnte auch von mir sein.
Haben wir. Aber hängen bleibt doch Seehofers Bild-Interview mit dem Satz, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Ein Satz, der nirgendwohin führt. Und Öl ins Feuer gießt.
Nein, das sehe ich nicht. Schauen Sie sich seine Personalpolitik an. Horst Seehofer hat den Mitarbeiter, der unter mir Abteilungsleiter für Grundsatzfragen im Innenministerium war und die Islamkonferenz konzipiert hat, zum Staatssekretär gemacht. Solche Entscheidungen fällt Seehofer nicht ohne Grund. Leider hat er jetzt das Problem mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Daran ist wenig überraschend. Das Bamf konnte ja mit der Entwicklung seit 2015 nur überfordert sein. Ich kann auch den Personalrat verstehen, der sagt: Wir lassen uns nicht die komplette Schuld zuschieben. Ich finde es sehr unglücklich, wie diese Debatte jetzt läuft.
Warum? Wenn es gravierende Fehler gab, müssen sie aufgeklärt werden.
Ich möchte dazu nicht zu viel sagen. Aber solange die Debatte über Asylmissbrauch anhält, können wir die Bevölkerung nicht davon überzeugen, dass wir wesentliche Probleme jetzt besser im Griff haben. 2015 ist etwas aus der Balance geraten, unbestritten. Aber inzwischen sind die Zahlen der Neuankömmlinge viel niedriger, die Koalition hat Instrumente für schnelle Entscheidungen und Rückführungen beschlossen. Und überraschend viele Flüchtlinge haben eine Arbeit. Diese Erfolge kann Seehofer gerade nicht kommunizieren.
Die Flüchtlingszentren, die Seehofer einrichten will, sind in den Ländern hoch umstritten.
Wie gesagt, die Bevölkerung muss das Gefühl haben, dass der Staat seine Aufgaben wahrnimmt. Ich sage nicht, dass das einfache Fragen sind. Es ist ja ein Dilemma: Wir dürfen die Menschen, die über das Mittelmeer nach Europa kommen wollen, nicht ertrinken lassen. Sonst brauchten wir von christlichen Werten nicht mehr zu reden. Andererseits können auch nicht alle Menschen, die in Europa leben wollen, zu uns kommen. Ich halte es für die dringendste Aufgabe der Europäischen Union, eine Linie in der Flüchtlingspolitik zu finden.
Wie soll das gehen?
An der Flüchtlingspolitik hängt die Frage offener Grenzen. Die Freizügigkeit ist ein Grundpfeiler der EU, sie ist eine große Errungenschaft. Wir können offene Grenzen in Europa aber nur aufrecht erhalten, wenn wir die Zahl der Flüchtlinge so steuern, dass sie unsere Gesellschaften nicht überfordern. Dafür braucht es den Schutz der EU-Außengrenzen und Abkommen mit Herkunfts- und Transitländern. Ich habe lange für das Abkommen der EU mit der Türkei geworben.
Sehen Sie eine Chance, dass sich die EU verständigt?
Ja. Es gibt eine Chance auf eine europäische Einigung in der Flüchtlingspolitik. Wenn nicht alle mitmachen wollen, müssen eben einige vorangehen. Der Langsamste darf nicht das Tempo vorgeben. Mit diesem Prinzip – die Willigen gehen voran – können wir die Probleme schneller lösen, pragmatisch, flexibel und effizienzverstärkend. Das ist auch der Ansatz von Emmanuel Macron.
Stößt man damit nicht die Zögerlichen vor den Kopf? Osteuropäische Staaten weigern sich vehement, Flüchtlinge aufzunehmen.
Wir dürfen nicht in eine neue Ost-West-Teilung in Europa zurückfallen. Bei allem, was uns in Europa nicht gefällt, sollten wir nicht vergessen, dass die EU die Teilung aus dem Kalten Krieg überwunden hat. Wenn ich manche Diskussionen zwischen Brüssel und Ländern wie Polen oder Ungarn, aber auch Tschechien und der Slowakei verfolge, sage ich: Lasst uns nicht arrogant erscheinen. Ich kann verstehen, dass die Osteuropäer manchmal das Gefühl haben, ihre Argumente zählten nicht. Viele Ostdeutsche hatten nach der Wiedervereinigung ebenfalls das Gefühl, in einer von Westdeutschen geprägten öffentlichen Debatte nicht gehört zu werden. Auch wenn wir andere Auffassungen haben als unsere osteuropäischen Nachbarn: Ihnen zuhören und ihre Sorgen ernst nehmen, das sollten wir schon.
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