Bundestagsentscheidung zum Triage-Gesetz: Zu hastig verabschiedet
Die vom Bundestag beschlossene Neuregelung zur Triage versäumt wichtige ethische Fragen. Das Thema verdient eine Debatte in der gesamten Gesellschaft.
A uch wenn die Pandemie vorbei zu sein scheint, geht die Frage der Behandlungsgerechtigkeit im Katastrophenfall jeden an. Es braucht eine breite gesellschaftliche und politische Debatte. Wir haben uns über Sterbehilfe Gedanken gemacht, über das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche und Pränataldiagnostik diskutiert, über eine Regelung zu Organspenden gestritten, uns eine Meinung zur Impfpflicht gebildet.
Medizinethische Fragen berühren tiefste Ängste und Grundrechte, sie betreffen jede und jeden dieser Gesellschaft und sollten auch von jedem und jeder mitgedacht werden. Aber haben Sie sich schon mit Triage im Katastrophenfall befasst? Haben Sie sich eine Meinung dazu gebildet, wer bei zu knappen Ressourcen die letzten Intensivbetten bekommen soll?
Zuerst einmal muss erklärt werden, was Triage überhaupt ist: die Sichtung von Patient:innen in der Notfallmedizin. Und warum sie gerade in einer Pandemie problematisch werden kann, wenn beispielsweise nur noch ein Beatmungsgerät bereitsteht und zwei Patient:innen darauf angewiesen sind. Dass es neben der Dringlichkeit weitere mögliche Kriterien zur Auswahl der Patient:innen gibt, die eine Behandlung bekommen, wie reiner Zufall oder die Überlebenswahrscheinlichkeit.
Dass Triage im Ernstfall nicht nur bedeuten kann, dass eine Person einen Behandlungsplatz bekommt und eine andere nicht. Sondern auch, dass eine schon intensivmedizinisch behandelte Person ihren Platz für eine andere räumen muss. Dass beides heißt, dass Menschen sterben und andere überleben können. Dass man sich zum einen die Frage stellen kann, in welchem Szenario möglichst viele Menschen überleben.
Und zum anderen, ob wir überhaupt ein Menschenleben gegen ein anderes aufwiegen wollen. Die Fragen, die hier verhandelt werden, sind nicht nur für den Fall einer pandemischen Großlage relevant. Es stellen sich in einem ökonomisierten und ausgebluteten Gesundheitswesen schon jetzt nahezu jeden Tag Fragen der Behandlungsgerechtigkeit. Dass es nicht reicht, die Beantwortung dieser Fragen der Politik zu überlassen, zeigt die am Donnerstag verabschiedete Triage-Regelung.
Im Bundestag beschlossen die Abgeordneten eine der heikelsten Fragen der letzten Jahrzehnte an einem 18-Stunden-Sitzungstag, mal eben zwischendurch. Die letzten Änderungen waren erst an den Vortagen bekannt geworden. Möglichkeiten zur Stellungnahme waren entsprechend gering.
Ergebnis ist eine Regelung, die Ärzt:innen und Menschenrechtsaktivist:innen gleichermaßen aufbringt und die schon im Vorfeld als ungeeignet für die Vorgaben galt, die das Bundesverfassungsgericht in dieser Sache an den Gesetzgeber stellte. Die schwierigen ethischen Fragen, die sich im Zusammenhang mit einer Triage-Regelung stellen, sie sind nicht ausreichend berücksichtigt.
Wahrscheinlich wird auch diese Regelung vor dem Bundesverfassungsgericht landen. Und wahrscheinlich ist der Grund dafür, dass sich zu wenige Menschen die Mühe gemacht haben, das Thema zu durchdringen, um sich eine fundierte Meinung zu bilden. Dass es kompliziert ist, kann keine Entschuldigung sein.
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