Bundeskanzler und Haushaltsstreit: Die Mysterien des Kanzlers
Olaf Scholz spricht selbst bei Machtworten in Rätseln. Ist das noch Drama oder schon Komödie – im vielleicht letzten Akt der Koalition?
M achtwort ist ein autoritärer Begriff. Er bezeichnete die Fähigkeit des Papstes, Debatten final zu entscheiden, ohne Wenn und Aber. Das Machtwort ist in demokratisch gewählten Koalitionsregierungen eher ein Fremdkörper. Es ist das letzte Mittel des Kanzlers, eine Entscheidung herbeizuführen, wenn die üblichen Mechanismen der Konsensbildung versagen. Kanzler, die Machtworte sprechen, wirken erst einmal entschlossen. Aber das ist nur der Anschein von Stärke, der profunde Schwächen verbergen muss.
Olaf Scholz hat das Spektrum der Machtwortinszenierung um eine überraschende Facette erweitert: das Machtwort als Rätsel. Was ist passiert? In dem endlosen Streit über den Haushalt hatte sich die Ampel darauf geeinigt, Geld für Bahn und Autobahnen außerhalb von Etat und Schuldenbremse als Darlehen lockerzumachen. Finanzminister Christian Lindner, Anhänger des Schuldenbremsenfetischismus, hatte das juristisch prüfen lassen.
In dem Gutachten ist von „rechtlichen Risiken“ die Rede. Lindner hält Staatsgeld für die Bahn nun für vielleicht möglich, für die Autobahngesellschaft nicht. Auftritt Scholz: Das Ergebnis des Gutachtens sei klar, „das geht“. Mehr noch: Es sei ein „Mysterium, wie das klare Votum des Gutachtens vorübergehend grundfalsch aufgefasst werden konnte“.
Bislang war Scholz immer äußerst bemüht, die in der Regierung sterbensunglücklich wirkende FDP nicht zu provozieren und ein Kentern des wackelnden Regierungsschiffs unbedingt zu verhindern. Die knappe Botschaft aus dem Urlaub hieß nun: Der Kanzler bescheinigt dem Finanzminister, unfähig zu sein, juristische Gutachten zu begreifen. Ein echter Schlag ins Kontor. Und vielleicht der Anfang vom Ende der Ampel.
Überschaubares Muster
Oder doch nicht? Die Regierungssprecherin beteuerte jedenfalls, dass Scholz gar nicht Lindner gemeint habe. Aber wen dann? Es ist ein Mysterium, wie die klare Botschaft des Kanzlers vorübergehend grundfalsch aufgefasst werden konnte.
Die Dramaturgie der Ampelkonflikte folgt einem überschaubaren Muster. Ein Streit baut sich auf, Drohgebärden von allen Seiten, vor allem von der FDP. Es folgt eine dramatische Nachtsitzung, die von der feierlich verkündeten Einigung und allseitigen Beteuerungen gekrönt wird, diesen Zirkus ab jetzt zu vermeiden. Die Einigung wird nach ein paar Tagen dann angezweifelt oder aufgekündigt. Dann beginnt das Spiel wieder von vorne.
Diese Mechanik ist nun um ein Machtwort erweitert worden, das vielleicht gar kein Machtwort war, vielleicht aber auch doch. Wie bei sehr langwierigen Ehekrisen taucht auch hier die Frage auf: Ist das noch Drama? Oder schon Komödie? Oder der letzte Akt?
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