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Bundeshaushalt für 2025Sozialpolitik bleibt der blinde Fleck

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Die schwarz-rote Koalition spart heikle Themen wie Rente und die Erhöhung der Krankenkassenbeiträge aus. Denn dann würden unangenehme Verteilungsdebatten drohen.

Sitzgelassen, das werden mal wieder die Bürgigeldempfangenden von der konservativen Regierung Foto: Andreas Buck/imago

D ie unrealistischen Zahlen lassen aufhorchen. Eine „umfassende“ Reform des Bürgergeldes hat Kanzler Friedrich Merz (CDU) auch in der Haushaltsdebatte angekündigt. Mehrere Milliarden Euro sollen damit eingespart werden, 1,5 Milliarden Euro bereits im kommenden Jahr, hieß es schon vorher.

Allerdings werden nicht mehrfach Milliardensummen eingespart, wenn neu ankommende ukrainische Geflüchtete weniger Sozialleistungen bekommen. Auch nicht, wenn die Jobcenter ihre Kli­en­t:in­nen öfter vorladen und mehr an der Leistung kürzen, falls mal ein Termin versäumt wurde. Die Debatte ums Bürgergeld ist eine verschobene Debatte, die von der Bundesregierung gern befeuert wird, auch weil fast die Hälfte der Leis­tungs­emp­fän­ge­r:in­nen keine deutsche Staatsangehörigkeit, also auch keine Wählerstimme haben.

Die Fokussierung auf das Bürgergeld lenkt davon ab, dass die heiklen Themen der Sozialpolitik ausgespart und in Beratungskommissionen, also in die Zukunft verschoben werden. Fraglich ist die mittelfristige Zukunft der Rente, der Umgang mit dem steigenden Anteil alter Menschen, zu dem später auch die heute Jungen gehören werden. Die Bewältigung der Defizite in den Krankenkassen ist ungeklärt. In der Pflege droht ein riesiges Loch.

Dass die schwarz-rote Regierung hier kaum über Probleme und Lösungsmöglichkeiten spricht, ist der Angst vor den Wäh­le­r:in­nen geschuldet. Denn es drohen unangenehme Verteilungsdebatten auch in den Mittelschichtmilieus. Um wie viel kann man die Krankenkassenbeiträge noch und die Beiträge für die Pflegeversicherung erhöhen?

Kommen Zusatzbeiträge bei den Krankenkassen oder verpflichtende Zusatzversicherungen in der Pflege, die von den Bür­ge­r:in­nen allein bezahlt werden müssen? Welche Belastung durch Eigenanteile in der Pflege wäre noch fair, jedenfalls bei Vermögenden? Ist es nicht angebracht, mit höheren Vermögens- oder Erbschaftssteuern die öffentlichen Haushalte zu stützen, die dann wiederum die Renten- und Krankenkassen stabilisieren könnten?

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Wird die Verteilungsfrage nicht thematisiert, spitzen sich die Probleme zu, so wie es in den Spardebatten in den 1990er Jahren und in den sogenannten Nullerjahren der Fall war. Der Druck steigt, die Verschuldung drückt, die Haushaltslöcher klaffen, die schwächelnde Wirtschaft will keine höheren Sozialabgaben für ihre Beschäftigten mitzahlen – und plötzlich sind Entwicklungen kein Problem mehr, die vorher undenkbar waren.

Dann kommt eine Erhöhung des Renteneintrittsalters für alle, egal wie verschleißend der Job war. Die Krankenkassenzusatzbeiträge steigen nur für die Arbeitnehmer:innen. Der unterste Pflegegrad wird vielleicht abgeschafft. Vermögende leisten sich privat angeheuerte zusätzliche Pflege. Das Rentenniveau sinkt, wer muss und kann, macht mit 70 Jahren noch einen Nebenjob. Und dann ist es fast schon wurscht, welche Partei den Bundeskanzler stellt.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch). Kontakt: dribbusch@taz.de
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10 Kommentare

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  • Die von Barbara Dribbusch beschriebene Verschiebetaktik war doch in einer erneuten GroKo nicht anders zu erwarten!

    Schon in den vergangenen GroKos unter Frau Angela Merkel wurde Vieles in die Zukunft vertagt. Manches davon hat die - leider geplatzte - Ampel-Koalition umgesetzt (Einführung des Bürgergeldes - die von der jetzigen GroKo leider wieder zurückgedreht wird, Wohngeldreform, unterm Gesamtstrich erfolgter Ausbau der erneuerbaren Energien), Anderes konnte nicht zuletzt auch wegen der FDP als "Klotz am Bein" nicht zu Ende geführt werden (z. B. Kindergrundsicherung, Finanzierung der Kranken- und Pflegekassen - die ja von der aktuellen GroKo wiederum vertagt wird).

    Genauso wie schon die früheren GroKos unter Frau Merkel wird auch die derzeitige GroKo am Ende wieder eine "Stillstandskoalition", womöglich sogar eine Rückschrittskoalition (Abschaffung des Bürgergeldes und dessen Ersatz durch eine vergleichsweise inhumane "Neue Grundsicherung" nach dem früheren Vorbild von "Hartz IV"/Arbeitslosengeld II - siehe oben).

  • "Ist es nicht angebracht, mit höheren Vermögens- oder Erbschaftssteuern die öffentlichen Haushalte zu stützen, die dann wiederum die Renten- und Krankenkassen stabilisieren könnten?"



    Diese Steuern wären zwar ein wichtiges Instrument zur Eindämmung des wachsenden Überreichtums, der Umwelt und Demokratie gefährdet. Aber sie können genau betrachtet keine staatliche Leistungen finanzieren. Ein Staat kann sich grundsätzlich alles leisten, was in seiner eigenen Währung zum Verkauf steht, denn Staaten erzeugen sich ihr Geld einfach selbst - und zwar mit jedem Cent, den sie ausgeben. Der Grund: Sie tätigen ihre Zahlungen von einem Konto bei der eigenen Zentralbank. Technisch gesehen könnte sogar jedes Bankkonto unbegrenzt belastet werden. Während aber bei privaten Girokonten eine strenge Ausgabenbegrenzung unbedingt erforderlich ist, ist sie bei einem staatlichen Zentralbankkonto nur hinderlich. Ein Staat sollte sinnvolle Ausgaben erst begrenzen, wenn die Wirtschaft ausgelastet ist und kurz vor der Vollbeschäftigung steht, erst dann könnte die höhere Nachfrage mehr Inflation verursachen. Aber von Vollbeschäftigung sind wir - leider - Lichtjahre entfernt.

  • "Und dann ist es fast schon wurscht, welche Partei den Bundeskanzler stellt."

    Da weder der Bundeskanzler noch seine Politikerkollegen verpflichtet sind/werden, in die gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung einzuzahlen, gehe ich davon aus, dass die Probleme vorerst nicht gelöst werden. Es findet, meines Wissens nach, nicht einmal ein fairer Ausgleich statt, was die Entnahme von Geldern für versicherungsfremde Leistungen angeht.

    "Die Debatte ums Bürgergeld ist eine verschobene Debatte, die von der Bundesregierung gern befeuert wird, auch weil fast die Hälfte der Leis­tungs­emp­fän­ge­r:in­nen keine deutsche Staatsangehörigkeit, also auch keine Wählerstimme haben."

    Ich hoffe, dass der Mindestlohn bald so hoch sein wird, dass alle Bürger:innen, ob mit oder ohne deutsche Staatsbürgerschaft, nicht mehr dazu gezwungen sind, trotz Vollzeitjob Bürgergeld, Wohngeld etc. beantragen zu müssen.

  • Leider fand weder eine breite öffentliche Debatte statt inwieweit überhaupt eine Aufrüstung notwendig ist, noch ob das obere Prozent an den Kosten mehr beteiligt werden sollten. Wir hatten schon einmal Haushalte in denen wir 4% des BIPs ausgegeben haben für das Militär, jedoch waren die Haushalte deutlich größer, weil auch die Reichen entsprechend besteuert wurden. So wird es leider am Ende Verteilungskämpfe geben von der wahrscheinlich die AFD profitieren wird.



    Besonders schlimm finde ich übrigens die Kürzungen bei der Entwicklungshilfe und den Beiträgen zum Welternährungsfond.



    Hier wird leider der unmoralische Kurs der Vorgängerregierung fortgesetzt.

  • So ein treffender Kommentar. Hier sind wir allerdings schon längst:

    "Vermögende leisten sich privat angeheuerte zusätzliche Pflege. Das Rentenniveau sinkt, wer muss und kann, macht mit 70 Jahren noch einen Nebenjob. Und dann ist es fast schon wurscht, welche Partei den Bundeskanzler stellt."

    Die Idee eines auskömmlichen Lebensabends für alle wurde längst beerdigt. Und die Ausweitung auf immer breitere Schichten wird bereits vorbereitet.

  • Man muss endlich die Sozialversicherungen in ihrer heutigen Form abschaffen, durch den demographischen Wandel ist das System am Endpunkt angelangt. Wenn ein neues System endlich auf Eigenverantwortung der Bürger setzt, ließe sich alles einfacher bezahlen. Man braucht bei Rente und KV einen geringen Sockelbeitrag für alle und den Rest privat versichern, dann leben die Leute gesündern und sorgen selbst fürs Alter vor.

    • @RolandoRolando:

      Würden wir alle mit den gleichen Chancen geboren werden -- also gleich viel Vermögen, gleicher Intelligenz, gleich gutem Aussehen, gleich guten Eltern, gleichen Bildungschancen -- ja dann könnte man Ihrem Modell vielleicht sogar etwas abgewinnen....

  • Die letzten Jahrzehnte wurden die Steuern für die Reichsten immer weiter gesenkt. U.a. Wurde die Vermögenssteuer gar nicht mehr eingezogen seit 1997. Alleine damit hat man den Vermögenden über 400 Mrd. € geschenkt.



    Durch diese ewige Steuersenkerei wuchs das Vermögen alleine der 500 Reichsten Personen in Deutschland alleine von 2020 bis 2024 um 500 Mrd. € (laut Manager-Magazin), während die meisten anderen Menschen froh waren, über die Runden zu kommen und der Staat so wenig Geld hatte, dass die Regierung sich wegen ein paar Milliarden zerlegt.



    Irgendwann muss man mal kapieren, dass diese Gesellschaft, diese Demokratie und auch diese Wirtschaft nicht auf Dauer überleben kann, wenn man den Reichsten weiterhin einen so großen Teil vom Kuchen gibt. Die 500 wären auch gut zurechtgekommen, wenn ihr Vermögen nicht um 500 Mrd. € zugenommen hätte, sondern „nur“ um 200 und die anderen 300 Mrd. an den Staat und die anderen in der Gesellschaft gegangen wäre.



    Die Verteilung der Wohlstandsgewinne muss wieder gerechter erfolgen. Sonst überlebt diese Gesellschaft nicht.

  • Naja die Demografie konnte natürlich keiner voraussehen. Wir tun was für Reiche und für den KomMerz, nur Spahn will keiner, ist ja genug Kohle da, jetzt auch Atomkraft. Also Volldampf voraus! Wer jetzt noch lacht, den retten die Hunde.

  • Merz erzählte kompletten Nonsens, als könnte mensch viel beim Bürgersgeld kratzen, als bräuchte man eine starre Schuldenbremse etc. - um uninformierte Wählers einzufangen und ungedeckte Schecks auszuschreiben - davon kommt er in vier Jahren nicht mehr herunter.



    Klären muss mensch es, die Weisheit Merkels hat Merz nicht.



    Die zog 2017 aus der Ideenleere der Union und ihrer Abhängigkeit von der SPD den Schluss, fast komplett die SPD-Politik durchzuwinken, mit etwas Unternehmerfütterung, Nichtstun und Folklore durchsetzt.