Bürgerkrieg in Syrien: Aleppo, das umkämpfte Symbol
Der Kampf um Aleppo steht möglicherweise vor einer Entscheidung. Assads Truppen haben die Nachschublinie der Rebellen gekappt.
„Das Leben in Aleppo ist schon jetzt nach dem ganzen Leid sehr belastend für die Bevölkerung“, sagt Fayez Sanda* am Telefon. Er lebt in der ehemaligen Wirtschaftsmetropole und ist Mitglied der Weißhelme, die nach Luftangriffen Verletzte und Tote aus den Trümmern bergen. „Nun kommt eine neue Belastung dazu, nämlich die Belagerung, die bereits dazu geführt hat, dass Gemüse und andere Waren von den Märkten verschwunden sind.“
Die Bedrohung hat bereits zu Preissteigerungen und dem Horten von Waren geführt. Der Lokalrat von Aleppo, ein Selbstverwaltungsgremium, versucht, mit dem Festsetzen von Preisen und Kontrollen dagegen vorzugehen.
Grund für die jüngsten Entwicklungen ist, dass es den Truppen des Regimes am 17. Juli gelang, die letzte Versorgungslinie in die östlichen Rebellengebiete zu kappen. Bereits im Februar war es den Truppen und ihren ausländischen Unterstützern gelungen, die Verbindungsstraße zur türkischen Grenze zu erobern. Seither war die Castello-Straße der einzige Nachschubweg. Etwa 300.000 Menschen sind nun von der Versorgung abgeschnitten.
Auch Schleichwege zu gefährlich
Zwar haben die Truppen des Regimes nur ein Stück der Castello-Straße erobert. Aber da es ihnen auch gelang, höher gelegenes Terrain einzunehmen, können sie nun die Umgebung ins Visier nehmen. Auf Schleichwege durch die kleinen Felder südlich der Straße auszuweichen, ist daher zumindest für Zivilisten zu gefährlich, zumal es in der Gegend Kämpfe gibt.
Die Castello-Straße war auch die Fluchtroute jener, die die östlichen Gebiete verlassen wollten. Mit der Blockade ist dieser Teil der Stadt zugleich von seinen größeren landwirtschaftlichen Flächen weiter westlich abgeschnitten. Die UN-Organisation für die Koordination humanitärer Hilfe (Ocha) sprach vergangene Woche von einer „besonders besorgniserregenden Lage“ im Osten Aleppos.
Der Medienaktivist Ziad Halab weist darauf hin, dass die Luftangriffe jüngst noch intensiviert wurden. „Ziel waren private und öffentliche Einrichtungen sowie die Infrastruktur“, sagt er. Zum Beispiel am vergangenen Sonntag: Nach Angaben von Ärzten wurden vier Feldkrankenhäuser und eine Blutbank bei Luftangriffen getroffen. Am Montag starben sechs Zivilisten durch Streubomben.
„Die Krankenhäuser und die Ärzte arbeiten 24 Stunden am Tag“, berichtet Mohanad Makhzum, ebenfalls Aktivist in Aleppo. „Die Ärzte verlassen ihre OP-Räume mehrere Tage nicht, da es wegen der Bombardierungen der Russen und des Assad-Regimes sehr viele Opfer gibt. Außerdem fehlen Medikamente und Geräte, um Schwerverletzte zu behandeln.“
19 belagerte Gebiete in ganz Syrien
Die Gefahr einer regelrechten Belagerung der Rebellengebiete durch die Truppen des Regimes kommt nicht von ungefähr. In ganz Syrien gibt es 19 belagerte Gebiete, in denen nach Angaben des Welternährungsprogramms insgesamt 592.700 Menschen leben. Hilfslieferungen werden nur sehr selten durchgelassen.
Mit den Belagerungen zielt das Regime auf die Schwächung der Bevölkerung in den abgeriegelten Gebieten – im Extremfall bis zum Tod. Damit sollen die Rebellen zu unvorteilhaften Waffenstillständen und Abkommen gezwungen werden. Letztere enden meist mit einem organisierten Abzug der Kämpfer in andere Landesteile.
Für beide Seiten geht es in Aleppo um viel. Für das Regime, weil es sich von Geländegewinnen einen stärkeren politischen Einfluss auf die neue Verhandlungsrunde in Genf erhofft. Für die Rebellen gilt im Fall einer Niederlage das Umgekehrte: Neben dem Verlust ihrer zweitletzten Hochburg – die andere ist Idlib – müssen sie befürchten, dass ihre Unterstützer das Vertrauen in sie verlieren.
* Alle Namen wurden geändert. Mitarbeit: Adopt a Revolution
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