Kommentar EU-Türkei-Flüchtlingsdeal: Ein Scheitern wäre kein Verlust

Das Flüchtlingsabkommen hat die Türkei die Grenze nach Syrien schließen lassen. Ein neuer Deal muss her, damit die Grenze wieder geöffnet wird.

Maschendrahtzaun mit Stacheldraht oben drauf, Menschen reichen ein Kind drüber hinweg

Immer stärker hat die Türkei ihre Grenze zu Syrien gesichert Foto: ap

Es ist das wohl schlimmste Schlachtfeld des Krieges in Syrien. Nach jahrelangen Kämpfen sitzen dort in diesen Tage Hunderttausende in höchster Not fest: in der teilbelagerten Stadt Aleppo, eine Autostunde von der türkischen Grenze entfernt. Es ist eine von insgesamt 20 belagerten Städten, die meisten im Norden des Landes.

Wenn über den Türkeideal gesprochen wird, ist stets von den Folgen für die Flüchtlingen außerhalb des Landes die Rede: für jene in der Türkei, in Griechenland, den Balkanstaaten oder auf dem Weg nach Libyen. Die meisten aber haben es nicht einmal geschafft, Syrien zu verlassen.

Über sechs Millionen Menschen sitzen fest in dem kriegsgeschüttelten Land. Auch dafür ist der EU-Türkei-Deal verantwortlich. Denn das Abkommen mit der Türkei hat jede Möglichkeit zunichtegemacht, an diese zu appellieren, einen Ausweg aus Syrien offenzuhalten.

Die Türkei hat 2,7 Millionen Menschen aus Syrien Zuflucht geboten, mehr als jedes andere Land. Hilfe von außen bekam das Land dafür nur wenig, die Grenze wurde immer konsequenter geschlossen. Doch seit die Türkei die Flüchtlinge gemäß dem Abkommen mit Brüssel nicht mehr in Richtung Europa weiterziehen lässt, hat sie ihrerseits die Grenze nach Syrien endgültig geschlossen – mit Mitteln bis zum Schusswaffeneinsatz. Für viele ist so der letzte Weg aus dem mörderischen Krieg versperrt.

Seit der Krieg begann, weigert sich Europa, legale Fluchtwege zuzulassen. Die jüngste Eskalation in Aleppo wird auch deshalb wohl wieder viele tausend ­Menschen in höchste Gefahr bringen.

Würde Präsident Erdoğan jetzt seine Drohung wahr machen und das Abkommen mit der EU kündigen, so wäre es nicht schade darum. Das böte die Möglichkeit, einen neuen Vertrag zu schließen. Und der müsste vorsehen, dass die Türkei nicht dafür bezahlt wird, die Grenze zur EU geschlossen zu halten. Sondern dafür, die mit Syrien wieder zu öffnen.

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Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social

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