Buch „Der Trubel um Diversität“: Die Liebe zur Differenz
Vernachlässigt die Linke die soziale Ungleichheit? Walter Benn Michaels wirft ihr in „Der Trubel um Diversität“ jedenfalls Identitätsverliebtheit vor.
Als „Der Trubel um Diversität“ im amerikanischen Original erschien, wurde dem Autor vonseiten sich kritisch wähnender antirassistischer Kreise Rassismus vorgeworfen.
Dabei hatte Walter Benn Michaels, marxistisch geschulter Professor für englische und amerikanische Literatur in Chicago, lediglich auf etwas Offensichtliches hingewiesen, das 15 Jahre später, wo dieses Buch dankenswerterweise auch auf Deutsch erscheint, nur noch offensichtlicher geworden ist.
Nämlich: Während wir uns mit immenser Energie und kritischem Herzblut auf allen Ebenen der Gesellschaft der Anerkennung und Förderung von wie auch immer gearteter Diversität und dem Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung widmen, ist davon ein Ungleichheitsverhältnis nahezu unberührt geblieben bzw. hat sich radikalisiert: die Kluft zwischen Arm und Reich wird größer, die Verteilung des Reichtums ungerechter (die USA und Deutschland stechen hier laut OECD besonders hervor), die Ausbeutung insbesondere in den unteren Lohnsegmenten schärfer.
So steuern wir auf eine Situation zu, in der im antirassistischen Idealfall zwar am Ende alle Arbeitsbereiche von den Managementebenen via Quoten und affirmativer Aktion bis zum ausgebeuteten Fußvolk in den Billiglohndienstleistungsklitschen unten ihrem Bevölkerungsanteil entsprechend diversifiziert sind, sich aber gerade für dieses größer werdende Fußvolk mit der Diversität keinerlei ökonomischer Fortschritt verbindet.
Nicht der eine Schlüssel
Das heißt, und darauf zielt Benn Michaels’ ebenso scharfzüngige, klar argumentierende wie ungemein les- und verstehbare Analyse: Die Förderung von Diversität und der Kampf gegen Rassismus in den Arbeitsverhältnissen ist einer aufgeklärten Gesellschaft zwar angemessen und auch unbedingt weiterhin nötig. Er ist aber eben nicht der eine, der radikale, machtumstürzende, fundamentale Schlüssel im Kampf um soziale Gerechtigkeit, geschweige denn für die Gleichheit aller Menschen.
Denn dafür müsste man die Struktur des Kapitalismus selbst brechen, der auf der Hierarchie und dem Antagonismus von Kapital und Arbeit beruht und am Laufen nur gehalten werden kann, wenn er den höchsten Profit aus der geringstmöglichen Entlohnung der Arbeitskräfte zieht.
Diese Ungleichheit ist ungleich fundamentaler und mit Diversitätsförderung leider nicht aus der Welt zu schaffen. Weswegen auf die auch kaum ein Unternehmen, kaum eine Universität und andere öffentliche Institution als Managementtechnologie verzichten mag: Ihre Kosten sind verschmerzbar, der moralische Marktwert sehr hoch.
Auch dies könnte die diversitätsverliebte Linke zur Kenntnis nehmen und sich fragen, weshalb das Kapital den Rassismus seit einiger Zeit auch nicht mehr mag.
Die verzweifelte Linke
Michaels gräbt nicht nur am Selbstbild der antirassistischen Linken als radikale Systemumstürzler. Vielmehr setzt er den Antirassismus der Gegenwart ins Verhältnis zum Rassismus der Vergangenheit, nämlich: Wir reden von Rassen (damals), kulturellen Identitäten (heute) und feiern Diversitäten, um von ökonomischer Ungleichheit und Ausbeutung zu schweigen.
Weil wir nicht daran glauben, es ließe sich an diesen Verhältnissen etwas ändern (verzweifelte Linke), weil wir nicht wollen, dass sich an diesen Verhältnissen etwas ändert. Oder weil wir sogar letztlich daran glauben, dass die Hautfarbe uns bestimmt.
Walter Benn Michaels’ Plädoyer, dem Kampf gegen ökonomische Ungleichheit Priorität gegenüber Diversitätspolitik und identitärem Kulturkampf einzuräumen, ist begeisternd streitbar. Doch will man das vielleicht auch hier nicht. Zu einem Vortrag wurde der Autor im letzten Jahr ein- und dann ganz schnell wieder ausgeladen. Ein Mensch fürchtete, per Zoom Gewalt ausgesetzt zu werden.
Diversität(spolitiken) nicht affirmativ als per se fortschrittliche Politik zu preisen wird gegenwärtig schon als Gewalt angesehen und erscheint gar manchen Linken als nicht mehr zumutbar. Ein Grund mehr, unbedingt dieses Buch zu lesen.
Leser*innenkommentare
Christian Will
Ich weiß auch nicht, von welcher Linken er jetzt genau spricht, denn jedem ernst zunehmenden Linken ist egtl klar, das soziale Ungleichheit alle Ebenen betrifft. Also nicht nur die Gender oder Ethnien-Ebene.
Und das fehlende Bildung (Kultivierung) und Armut (Konkurenz statt Koop) das oberste Problem für fast alle Ungleichheiten sind.
Was mich stört ist, das die Mitte ob ihres links wirkenden Engagements zur Bekämpfung eben solcher marginal erscheinenden Ungleicheiten als reine Linke kritisiert wird, sowie einige linke Milieus, die Schwerpunktthemen verfolgen. Das ist das problem hier und zeigt nur, wie undifferenziert wir die masse noch wahrnehmen.
Nicht links, sondern sozial ist das Stichwort!
Insofern gibt es viele soziale baustellen und nur wenige sehen die universale Bedeutung dessen - als von SOZIALER KULTUR. Das ist kein reines Problem von links, das ist ein Problem aller Milieus! Und ganz besonders eben der rechten und der mitte. Aber ja, auch linke sind nicht alle in der lage, ganzheitlich zu denken. Die allerdings am aller wenigsten!
Dr. McSchreck
Der letzte Absatz sagt alles und wer so einen Gewaltbegriff verwendet, verhöhnt die Opfer realer physischer (oft krimineller) Gewalt, die es jeden Tag in großer Zahl gibt, zum Beispiel rassistisch motivierte Überfälle, Sexualstraftaten, Schutzgelderpressung, Zwangsprostitution usw
TazTiz
Empfinde nur ich das Foto zum Artikel ziemlich misslungen? Es triggert doch recht deutlich sexuelle Klischees: blonde Frau oder Kind mit Kopf in Höhe des Genitals eines farbigen Mannes? Was soll das?
Encantado
@TazTiz Vielleicht lieber den Artikel lesen?
O.F.
Hm, ich bin mir nicht sicher, ob es korrekt ist, der Linken ein Desinteresse an sozialer Ungleichheit zu unterstellen; wenn man sich z.B. die Themen anschaut, die linke Medien dominieren und die bei der Partei Die Linke im Vordergrund stehen, sind das eher soziale Probleme (die Linke hat mit Mindestlohn etc. Wahlkamof gemacht, nicht mit Critical Whiteness). Das Problem ist eher eines der Kommunikation: die Identitätspolitischen Deutungsmuster, die zumindest der öffentlichen Wahrnehmung nach (ob das wirklich so ist, wäre eine andere Frage) im Vordergrund linker Theoriebildung stehen, sind eben kaum geeignet, die Alltagserfahrung von Menschen aufzufangen, die keiner Minderheit angehören bzw. sich über diese Zugehörigkeit identifizieren. Mit anderen Worten: um gesellschaftliche Mehrheiten zu mobilisieren (und damit auch die Macht zu bekommen, die Minderheiten zu schützen), muss man auch (!) den heterosexuellen Familienvater ohne MiHiGru und mit langweiligem Durchschnittsjob ansprechen - und genau das funktioniert nicht so gut, wenn man gegen weiße Männer polemisiert (obwohl dabei durchaus relevante Probleme aufgezeigt werden!). Die alte Klassenkampfrheotrik, gerade in ihrer sozialdemokratisch gemäßigten Form, hatte genau diesen Vorteil: sie hat die Ausbeutungserfahrung größerer Bevölkerungsteile angesprochen und zugleich an ihr Selbstbewusstsein appelliert ("Wir sind die Bauherrn der kommenden Welt....!"). Natürlich: es führt kein Weg zurück in die glorreiche Vergangenheit der Arbeiterbewegung - aber eine Linke, die eine neue glorreiche Zukunft sucht, muss eine ähnliche inklusive politische Erzählung finden, um so Menschen außerhalb kleiner, ohnehin schon linker Milieus mobilisieren zu können.
Benedikt Bräutigam
Das Ausblenden des Systems der ökonomischen Ungleichheit bei Teilen der sogenannten Linken ist offensichtlich. Ebenso offensichtlich ist, dass zum Beispiel Rassismus doch vor allem nur eine Funktion innerhalb dieser kapitalistischen Diskriminierung hat. Also ein untergeordnetes Kriterium in diesem System ist. Ebenso hat zum Beispiel das Geschlecht diese Funktion. Frauen werden massiv benachteiligt. Wer damit aufräumen will, sollte sich vorrangig mit der Diskriminierung an sich beschäftigen und nicht mit ihren eher beliebigen Mustern. Es werden immer die Schwächsten benachteiligt und irgendwer ist immer der oder die Schwächste. Das Austauschen der Kriterien kann ja wohl keine Antwort sein. Wer an dieser Kriterien herumdoktert verfehlt das eigentliche Problem und mein Eindruck ist, dass viele dies mit Absicht tun, weil es viel leichter ist.
guzman
@Benedikt Bräutigam „Ausblenden des Systems der ökonomischen Ungleichheit bei Teilen der sogenannten Linken ist offensichtlich.“ Wer das tut ist definitiv kein/e Linke/r. Ist also kein Problem der Linken. Habe den Eindruck, dass solche Behauptungen immer häufiger konstruiert werden um Linke zu diskreditieren. Wagenknecht z.B. ist eine solche Konstrukteurin.
chinamen
"Vernachlässigt die Linke die soziale Ungleichheit?"
Ja, das tut sie. Vielleicht ja auch nur weil ihnen nichts richtiges einfällt wie man diesem immer extremeren Reich-Arm Gefälle beikommen kann. Aber mit Sicherheit auch, weil ihre Führungsriege sehr schwach aufgestellt ist. Die Menschen merken es wenn man sie verarschen tut oder wenn ihre Belange den Parteien egal sind. Die Bundestagswahlen, sie haben das bestätigt. Rechts vom Spektrum haben CDU/CSU die Quittung für jahrelange schamlose Selbstbedienung, Betrügereien und Lobbyismuswirtschaft bekommen. Links davon, herrschte eine große Sehnsucht nach einer richtigen Arbeiterpartei, wie so vor 100 Jahren die SPD. Und? Da auch nur leere Landschaften, so ein kleiner 13 Euro Mindestlohn Busch dazwischen und dann wieder nichts. Wenn es Diskussionen um soziale Gerechtigkeit bei den Linken gab, dann ganz leise und unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Hamnial
Was ein dämlicher Buchtitel. Warum das eine gegen das andere ausspielen? Wenn dem Autor der Kampf gegen Klassismus wichtig ist, warum dann im Buchtitel den Kampf um Gleichberechtigung für andere marginalisierte Gruppen, die unter den riesigen Schirm vom Begriff Diversität fallen, erstmal schlecht reden? Wenn er selbst zum Ergebnis kommt, dass der Kampf gegen Rassismus weiterhin nötig sei aber nicht der einzige Weg. Warum dann suggerieren, dass der eigene Kampf gegen Armut viel wichtiger ist? Also exakt das machen, was er dann Verfechtern von Diversität unterstellt und an ihnen kritisiert?
Als gäbe es nicht einen Berg an gemeinsamen Zielen und auch Überschneidungen zwischen den beiden Gruppen.
png
@Hamnial dämlich? ausspielen? nix davon lese ich daraus. das troubel um Identität gemacht wird, ist ja wohl unstrittig.
lesen sie doch mal den text! ganz unten steht, wer hier was ausspielt, und es ist nicht der autor des Buches...
vulkansturm
@Hamnial Ihr Kommentar zeigt auf, was in Teilen der Linken falsch läuft. Probleme wie Armut und Vermögensungleichheit unter dem neumodischen Begriff "Klassismus" abzuhandeln, verharmlost materielle Ungleichheiten. Wer arm ist leidet nicht nur daran, dass er wegen seiner Armut diskriminiert wird. Die Armut selbst, ganz unabhängig von den Reaktionen der Mitmenschen darauf, reduziert die Lebenschancen, die Lebensqualität und die Lebensdauer.
rero
@Hamnial Das Problem fängt doch bereits vorher an:
Dass es überhaupt zwei Gruppen gibt...
Dass man auf die Idee kommt, man könne sie gegeneinander ausspielen (was die Vertreter_innen von Kapital und Liberalismus ja auch erfolgreich tun)...
Wenn Sie es identitär betrachten, gibt es diesen Berg an Überschneidungen nicht mehr wirklich.
Denn ein Weißer Obdachloser ist gegenüber einer Schwarzen Managerin noch immer strukturell privilegiert, so das Credo.
Benedikt Bräutigam
@rero Wenn es keine Gruppen mehr gäbe, das ist ja wohl der Traum der "Gerechten", dann würden sie in unserem System eben geschaffen. Wie sie definiert werden ist komplett nachrangig, Hauptsache es gibt sie und es gibt irgendwelche Argumente, die erlauben, eine Gruppe besser zu behandeln als die andere Gruppe. Das ist der Kern unseres Systems. Weder geht es zim Beispiel wirklich um Leistung noch um den jeweiligen oder grundsätzlichen minimalen Bedarf, das wären dann ganz andere Systeme. Unseres ist ja lustigerweise auch gar nicht besonders funktional, die Sicherheiten sind zu klein, die Anreize aber ebenso. Das ist eigentlich Blödsinn.
Dr. McSchreck
@Benedikt Bräutigam Die These halte ich für grob falsch. Unser System betont doch gerade in extremen Maße das Individuum, was den Vorteil großer persönlicher Freiheit hat aber eben auch den Nachteil der sozialen Isolierung, Leistungsdrucks, Depressionen bei benachteiligten, die sich "nicht gut genug fühlen" - Menschen, denen gerade die Wärme einer Gruppe fehlt.