Brandstiftung in Mecklenburg-Vorpommern: Flüchtlingsheim angezündet
Nahe Wismar brennt eine Unterkunft ukrainischer Geflüchteter ab. Die Polizei vermutet eine politische Tat. Am Haus prangte zuvor ein Hakenkreuz.
Gegen 21.20 Uhr am Mittwoch war in früheren Hotel „Schäfereck“, das seit März als Unterkunft für ukrainische Geflüchtete genutzt wird, ein Feuer ausgebrochen. Zwischenzeitlich lebten dort knapp 170 Ukrainer:innen, zur Tatzeit waren es nur 14. Ein Feuermelder sei angesprungen, erzählt Bondartschuk, der auch im Haus war. Dann habe man Flammen am Reetdach entdeckt und versucht zu löschen, auch mithilfe von Passanten. Aber das Feuer sei später wieder aufgeflammt. 120 Feuerwehrleute und 20 Einsatzfahrzeuge rückten an. Am Ende brannte das Hotel fast komplett ab.
Die Polizei spricht früh von einer Brandstiftung, später auch von einem mutmaßlich „politischen Motiv“. Der für politische Straftaten zuständige Staatsschutz bildet eine Ermittlungsgruppe, die Führung übernimmt der Staatsschutzleiter selbst. Michael Peters, Vizepräsident des Polizeipräsidiums Rostock, erklärt, jeder Angriff auf Geflüchtete oder deren Unterkünfte sei „auch eine Attacke auf unsere Grundwerte“. Der Fall habe „oberste Priorität“.
Zuvor hatte bereits das Landratsamt bestätigt, dass noch am Mittwoch die Ordnungsbehörde des Landkreises und die Polizei die Unterkunft aufgesucht hatten, weil ihnen eine Hakenkreuz-Schmiererei am Eingangsschild gemeldet wurde. Betreiber Bondartschuk will vorerst nicht über das Brandmotiv spekulieren. Das müssten jetzt die Ermittlungen klären, sagt er nur.
„Hetze und Gewalt dulden wir nicht“
Landrat Tino Schomann (CDU), der auch bei der Freiwilligen Feuerwehr aktiv ist, eilt schon nachts zum Brandort. Und legt sich ebenso fest: Auch aufgrund seiner Feuerwehrerfahrung gehe er davon aus, „dass das Feuer absichtlich gelegt wurde“. Die Tat sei „ein großer Schock“. Das Wichtigste sei, dass es keine Verletzten gab. Nun brauche es Aufklärung.
Am Donnerstagmittag führt Bondartschuk, selbst Ukrainer, aber schon 2004 nach Wismar gekommen, Schomann und Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) zu dem Brandort. Aus Mariupol oder Cherson seien die Bewohner geflüchtet, erzählt er. Unter ihnen auch ein ein- und ein zehnjähriges Kind.
Ministerpräsidentin Schwesig erklärt, sollte sich der Verdacht der Brandstiftung erhärten, wäre dies „grausam“ und müsse „harte Konsequenzen“ haben. „Eins muss für alle klar sein: Menschen, die vor Krieg flüchten, brauchen unseren Schutz und unsere Unterstützung. Hetze und Gewalt dulden wir nicht.“
Der Fall hat da bereits die Bundespolitik erreicht. Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nennt den Brand „eine furchtbare Nachricht“. Menschen, die vor Putins Krieg hier Schutz gefunden hätten, müssten aus Flammen gerettet werden. Bestätige sich der Verdacht der Brandstiftung, sei das „ein menschenverachtendes Verbrechen, das mit aller Härte verfolgt wird“, betont auch sie. Am Abend wollte auch Faeser nach Groß Strömkendorf reisen.
Aus Gewaltfantasien werden Anschläge
Auch die Bundesintegrationsbeauftragte Reem Alabali-Radovan spricht von „einem Schock, der unfassbar wütend macht“, fordert ebenso „die volle Härte des Rechtsstaats“, sollte sich eine Brandstiftung erhärten.
Doch es ist nicht der erste Vorfall. So zählte das Bundeskriminalamt allein im ersten Halbjahr 2022 bundesweit 43 Straftaten auf Geflüchtetenunterkünfte – Sachbeschädigungen, Schmierereien oder Hausfriedensbrüche. Etliche auch in westdeutschen Bundesländern. Wie viele sich davon gegen ukrainische Geflüchtete richteten, wurde nicht gesondert erhoben.
Der Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern berichtet von einer „sehr schlechten Stimmung“ in den vergangenen Wochen. Politik und Verwaltung hätten zunehmend von „Belastung“ oder „hohem Migrationsdruck“ gesprochen, Geflüchtete anonym oder offen Hassbotschaften erhalten, auch aus den Montagsdemos gegen die Regierungspolitik heraus. Flüchtlingsratvorsitzende Ulrike Seemann-Katz kritisiert deshalb auch die „geistige Brandstiftung“: Lasse man diese zu, „können wir bald alle nicht mehr sicher leben“.
Daniel Trepsdorf vom Demokratieberatungsteam RAA verweist auch auf die schon länger laufenden Agitationen in der rechtsextremen Szene gegen ukrainische Geflüchtete: Nun drohten aus Gewaltfantasien Anschläge zu werden und die Stimmung gegenüber Geflüchteten endgültig zu kippen.
Landrat Schomann berichtet dagegen, wie sehr sich in Groß Strömkendorf zuvor um die ukrainischen Geflüchteten gekümmert wurde. Anwohnende hätten Spenden und Spielzeug vorbeigebracht. Nun seien die Geflüchteten in einer anderen Unterkunft des Landkreises untergebracht.
Mit Blick auf die auch am Donnerstag noch flackernden Schwelbrände am Hotel „Schäfereck“ gibt sich Schomann deprimiert. Dass dort noch mal Geflüchtete untergebracht werden könnten, sei „nicht vorstellbar“.
Aktualisiert und ergänzt am 20.10.2022 um 16:55 Uhr. d. R.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen