Brandbrief von Intensivpflegekräften: Entlastung oder Eskalation
Intensivpfleger:innen am Hamburger UKE wollen ihre Überlastung nicht länger hinnehmen. Sie drohen, an freien Tagen nicht mehr einzuspringen.
„Wir können nicht länger warten, wir brauchen jetzt eine Entlastung auf den Intensivstationen“, fordern Intensivpfleger:innen in dem Brief an den UKE-Vorstand und den Direktor des Patienten- und Pflegemanagements. Sollte das UKE nicht kurzfristig einlenken, wollen sie ab kommenden Freitag an ihren freien Tagen bei personellen Engpässen auf der Intensivstation nicht mehr einspringen.
So wollen sie Druck aufbauen: „Wir erhoffen uns damit, dass kurzfristig eine Entlastungsvereinbarung abgeschlossen wird.“ Bis zum Ende Dezember soll der Protest andauern, wenn die Vereinbarung ausbleibt.
Der Wunsch danach ist nicht neu: Schon im September dieses Jahres forderten die Intensivpfleger:innen, dass das UKE sie dringend entlasten müsse. Sie verwiesen auch da schon auf die sogenannte „Pflegepersonaluntergrenzenverordnung“. Diese besagt, dass jede:r Pfleger:in auf Intensivstationen für maximal zwei Patient:innen zuständig sein soll.
UKE versucht zu beschwichtigen
„Damit die Versorgung der Patient:innen sichergestellt ist, verzichten viele Kolleg:innen regelmäßig auf ihre Pause außerhalb der Station“, beschrieben sie die Lage damals – als die derzeit anhaltende vierte Pandemiewelle noch in weiter Ferne lag.
Seinerzeit kündigte das UKE Gespräche mit den Mitarbeiter:innen an, um nach Entlastungsmöglichkeit zu suchen. Manche Pfleger:innen zeigten sich skeptisch und befürchteten, dass das „leere Versprechungen“ seien und „das Problem auf die lange Bank geschoben“ werde. Die Befürchtungen sehen sie nun bestätigt. „Trotz Ihrer mündlichen Zusage, eine Dienstvereinbarung auszuhandeln, hat der Vorstand bisher nur ausweichend agiert“, beklagen die Pfleger:innen.
Stefanie Gerling, Sprecherin des UKE
Auch Pflegekräfte aus der Zentralen Notaufnahme des UKE beschwerten sich Anfang November über die Arbeitsüberlastung. Neu eintreffende Patient:innen könnten kaum versorgt werden, selbst wenn sie pflegebedürftig oder an Krebs erkrankt sind. Auch hier erklärte das UKE, dass intensive Gespräche stattfänden, um die Situation zu verbessern.
Auch jetzt reagiert das UKE ähnlich: „Wir befinden uns seit längerer Zeit mit allen Beteiligten weiterhin in intensiven Gesprächen“, sagt die Sprecherin des UKE, Stefanie Gerling. Das UKE werde auch weiterhin in gemeinsamen Gesprächen Lösungen erarbeiten, um die Wünsche der Mitarbeitenden und die betrieblichen Aspekte in Einklang zu bringen.
Angesichts der anhaltenden vierten Welle könnte es zu noch steigenden Zahlen von Covidpatient:innen auf den Intensivstationen kommen. Wenn bis Ende dieses Jahres am UKE Pfleger:innen an ihren freien Tagen bei Engpässen nicht mehr einspringen, könnte das zu einer geringeren Zahl an freien Intensivbetten führen.
Laut Recherchen des SWR sind seit Beginn des Jahres deutschlandweit rund 4.000 Intensivbetten verloren gegangen– das liege vor allem daran, dass Pfleger:innen wegen der Überlastung ihren Job gekündigt oder ihre Arbeitszeit reduziert hätten. In Hamburg sank laut dem Divi-Register des Berufsfachverbands der Intensivmedizin die Zahl der betreibbaren Intensivbetten seit Jahresanfang von 598 auf 500. Am Mittwoch waren 62 Betten davon von Covidpatient:innen belegt.
Die Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft fordert vom Senat, sich in den Konflikt umgehend zugunsten der Beschäftigten einzumischen. Dazu müsse der Senat einen Bonus „an alle Pflegekräfte ‚am Bett‘“ auszahlen und mit einer Kampagne um potenzielle Berufsrückkehrer:innen werben, damit sich die Zahl des verfügbaren Intensivpflegepersonals mittelfristig verbessere.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin