Bodo Ramelow über die Coronapandemie: „Rechne nicht mit einem Lockdown“
Thüringens Ministerpräsident Ramelow ist nun Bundesratspräsident. Er erläutert, wie er mit Bratwurst zum Impfen motivieren will.
taz: Herr Ramelow, Sie sind der erste Linke im Amt des Bundesratspräsidenten und nun eine der wichtigsten Personen im Staat. Sie dürfen den Bundespräsidenten vertreten. Aber den Sozialismus per Verordnung einführen, das können Sie immer noch nicht. Wie viel Macht verleiht dieses Amt tatsächlich?
Bodo Ramelow: Um mich mal zu outen, ich würde den Sozialismus auch gar nicht per Verordnung einführen wollen. Nein, dieses Amt ist ein Amt als Gleicher unter Gleichen. Es ist vor allem repräsentativ. Ich habe den Bundespräsidenten zu vertreten, wenn er erkranken würde. Ich hoffe aber, dass das nicht passiert. Die Wahl des Bundespräsidenten fällt in meine Amtszeit. Insoweit gibt es da eine vorübergehende Situation, wo ich mal formal ziemlich mächtig bin, ich darf dann bei der Vereidigung neben ihm stehen. Aber das ist tatsächlich nur formal.
Sie nehmen aber auch repräsentative Aufgaben im Ausland wahr.
Das ist so. Ich werde schon in diesem Monat nach Paris fliegen, um dort meinen Antrittsbesuch als Bundesratspräsident zu machen. Das folgt der Logik des Weimarer Dreiecks: Paris, Warschau, Berlin. Dieses Gesprächsforum hat zuerst Hans-Dietrich Genscher gegründet. Ich habe mir ausdrücklich vorgenommen, es fortzusetzen. Denn zwischen West- und Mittel- und Osteuropa gibt es im Moment einige Verwerfungen.
Bodo Ramelow, Linke, ist seit 2014 Ministerpräsident von Thüringen. Seit dem 1. November 2021 bis zum 31. Oktober 2022 ist er Bundesratspräsident. Am Freitag hält er seine Antrittsrede.
Na, dann viel Glück bei den Nationalkonservativen von der PiS.
Da habe ich eigene Erfahrungen gemacht. Zu den Vertretern in unseren Partnerregionen in Polen und Frankreich habe ich einen guten Draht. In Warschau ist das ein PiS-Politiker, in Frankreich ein Konservativer. Der Kollege aus Warschau sagt, dass wir parteipolitisch nicht weiter auseinanderliegen können, er aber die Verlässlichkeit der Zusammenarbeit schätzt. Wenn das die Basis ist, auf der man auch miteinander redet, dann gibt es Hoffnung. Mein Credo für die Bundestagspräsidentschaft ist ja auch Zusammenwachsen.
Zurück zur Innenpolitik. Ist Bundesratsinitiativen, die von den Ländern angestoßen werden, wo die Linke mitregiert, wie etwa einem bundesweiten Mietendeckel nun mehr Erfolg beschieden? Wohl kaum.
Mit der Arbeit des Bundesratspräsidenten hat das herzlich wenig zu tun. Aber mit dem Freistaat Thüringen. Wir werden selbstverständlich solche Initiativen auch weiterhin unterstützen. Wir haben als Länder, wo die Linke mitregiert, in den letzten Jahren eine ganze Menge auf den Weg gebracht. Etwa die Freigabe von medizinisch einsetzbarem Cannabis, die jetzt sogar im größeren Umfang von der Ampel aufgenommen wird. Das Thema hat zuerst unsere Gesundheitsministerin in den Bundesrat eingebracht.
Welche weiteren Initiativen könnten folgen?
Es wäre ein Erfolg, wenn es gelänge, endlich über die schnellere Integration von Geflüchteten zu reden. Das heißt etwa über einen Spurwechsel, damit möglichst viele Menschen, die sonst lange in irgendeinem Heim leben, bis sie theoretisch wieder abgeschoben werden können, schneller in Berufsausbildungen und in normale sozialversicherungspflichtige Tätigkeiten gebracht werden können. Es wäre auch ein Erfolg, wenn endlich das Staatsbürgerrecht modernisiert wird. Da habe ich große Hoffnungen, dass das mit einer Ampel-Regierung tatsächlich gelingt. Das sind Initiativen, die wir aus den links mitregierten Ländern aktiv begleiten würden.
Sie rechnen also mit einer konstruktiven Zusammenarbeit von Bundesrat und Bundestag. Weshalb? Weil in 15 von 16 Bundesländern mindestens eine der drei Ampelparteien, SPD, Grüne oder FDP, mitregiert?
Genau so. Wir haben noch nie eine so bunte Republik gehabt. In den 16 Landesregierungen gibt es 15 unterschiedliche Koalitionen. Darin liegt eine Chance. Ich finde auch, meine Partei macht sich ein bisschen klein, wenn sie sich in dieser Situation nur darauf reduzieren würde, zu sagen: Wir sind die linke Opposition. Wir sollten als Linke das soziale Gewissen sein. Aber nicht die Besserwisser, sondern diejenigen, die dann auch sagen: Oh, wir erkennen bei euch einen tollen Ansatz, auch wenn uns der Schritt noch zu klein ist, aber er geht in die richtige Richtung. Und genau daran würden wir gern mit euch weiterarbeiten.
Nennen Sie mal ein Beispiel aus dem Sondierungspapier.
Wenn etwa das Bürgergeld zwar nicht der große Wurf ist, aber dann doch hoffentlich das Ende der Repressionsregeln von Hartz IV bedeuten würde, dann wäre das der Einstieg in eine veränderte Grundsicherung. Dafür haben wir lange gekämpft.
Sie appellieren also an Ihre Partei Die Linke, nicht nur draufzuhauen, sondern konstruktiv mitzuarbeiten?
Das ist meine dringende Empfehlung an uns alle. Wir haben eine Rolle. Und wenn Mecklenburg-Vorpommern dazu kommt und Rot-Grün-Rot in Berlin bleibt, werden wir als Linke im Bundesrat sogar gestärkt sein. Und dann werden die Wähler und Wählerinnen von uns erwarten, konkret zu zeigen, was sie von der Linken haben. Wenn wir nur damit beschäftigt sind, uns gegenseitig auszugrenzen, dann werden auch 4,9 Prozent endlich sein. Den Status als Bundestagsfraktion retten nicht diejenigen, die auf Parteitagen besonders radikale Beschlüsse fassen. Den retten Menschen wie Sören Pellmann, der in Leipzig das Direktmandat gewonnen hat. Die nämlich im Wahlkreis hart arbeiten und erkennbar sind.
Zurzeit steigen die Corona-Infektionen wieder sprunghaft an. Die epidemische Notlage, auf der viele Maßnahmen basieren, läuft im November aus. Einige CDU-regierte Länder rufen nach einem neuen Bund-Länder-Treffen. Wäre das sinnvoll?
Ich hätte mir gewünscht, der Bundestag hätte die Notlage noch mal verlängert. Jetzt haben sich die Ampel-Koalitionäre aber darauf verständigt, dass sie das nicht tun wollen. Darin liegt eine Tücke, und auf die haben wir als Ministerpräsidenten bereits vor zwei Wochen hingewiesen. Wenn nämlich die gesetzliche Grundlage des Bundes entfällt, müssen die Länder diese gesetzlichen Grundlagen schaffen. Ich kann bis zum 25. November für Thüringen aber kein Gesetz schaffen. Das heißt, wir hätten auf einmal eine Situation, zumal in einem Land mit der höchsten Inzidenz in Deutschland, in der wir keine oder nur eine sehr wackelige Verordnung hätten, weil ein Teil der Grundlage entfallen ist.
Wir brauchen jetzt kein Bund-Länder-Treffen, sondern Klarheit darüber, welche Verordnungen – also Maskenpflicht, Abstandsregeln, Hygienekonzepte – durch Bundesrecht noch gedeckt sind. Auf diese Klarstellung durch den Bundesgesundheitsminister bzw. die Ampel warten wir – inzwischen liegt ein erster Entwurf vor. Und im Übrigen bin ich dafür, auch die Ergebnisse der Gesundheitsministerkonferenz der Länder abzuwarten. Sie treffen sich ja Donnerstag und Freitag.
Wenn die Verantwortung für Coronamaßnahmen jetzt wieder an die Länder geht – wird da nicht der vielbeschworene Flickenteppich noch bunter?
Der Begriff Flickenteppich gehört für mich zu den Unworten des Jahres. Wir haben entschieden, dass man auf lokales Geschehen lokal reagieren soll. Und siehe da, auf einmal reden alle wieder vom Flickenteppich. Wieso sollen in Schleswig-Holstein die gleichen Maßnahmen gelten wie in Hildburghausen, obwohl die Problemlage eine ganz andere ist?
Ein Beispiel: Die Testpflicht an Schulen. Die lief in Thüringen vor den Herbstferien aus. In Berlin dagegen müssen sich Schüler dreimal pro Woche testen, obwohl die Inzidenz niedriger ist. Das versteht doch niemand.
Wir haben in Thüringen einen wissenschaftlichen Beirat berufen, in dem alle Akteure sitzen. Und die haben uns klar gesagt: Hört auf, weiter die Kinder in eine Geiselhaft zu nehmen für die Entscheidung der Erwachsenen, die sich nicht impfen lassen. Fangt an, mehr Normalität in der Schule zu ermöglichen und dann einzugreifen, wenn etwas zu sehen ist. Also weg mit dem anlasslosen Testen. Auf einmal verlangen alle wieder, dass anlasslos getestet wird. Verstehe ich nicht. In den Betrieben soll nicht getestet werden, aber die Kinder, die sollen diejenigen sein, die dann permanent getestet werden?
Das Infektionsgeschehen ist gerade unter Kindern und Jugendlichen enorm hoch.
Wir haben aktuell Ferien, die Schulen sind geschlossen und trotzdem steigen unsere Infektionen. Wir haben ein diffuses Infektionsgeschehen, das breit durchs ganze Land geht. Das Einzige, was mich etwas ruhiger sein lässt, ist, dass die intensivmedizinischen Behandlungen nicht so überdynamisch ansteigen wie vor einem Jahr. Aber wir haben auch auf diese Entwicklung ein scharfes Auge, denn die Krankenhäuser hatten schon vor Corona Schieflagen.
Thüringen hat bundesweit die höchste Inzidenz mit über 350 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner:innen. Schließen Sie einen neuen Lockdown eigentlich aus?
Ich rechne nicht mit einem allgemeinen Lockdown. Aber möglicherweise mit neuen Anordnungen, zum Beispiel einer Testpflicht beim Betreten von Altenheimen. Aber im Mittelpunkt der Maßnahmen steht die Impfung. Wir haben unsere Impfstationen in Thüringen offen gelassen, obwohl uns Herr Spahn das Geld dafür entzogen hat. Und haben jetzt entschieden, allen Menschen eine Boosterimpfung bereits nach fünf Monaten zu ermöglichen.
Thüringen hat eine der niedrigsten Impfquoten. Gerade mal 60 Prozent der Bevölkerung sind geimpft. Wie motivieren Sie mehr Leute dazu, sich impfen zu lassen?
Zum Beispiel mit Bratwurst. Kein Witz. Während wir sprechen, bin ich in Sonneberg. Als die Sonneberger Bratwürste angeboten haben, war die Schlange vor dem Impfzentrum tatsächlich so lang, dass die Menschen über den Marktplatz standen. Die Impfquote steigt aber auch durch die Entscheidung der Gesundheitsministerin, die Boosterimpfung für alle zu öffnen. Das beobachten wir seit einigen Tagen.
Wie sehr schadet es, wenn eine prominente Politikerin ihrer Partei ihre Impfskepsis in Talkshows vorträgt?
Fragen zu Frau Wagenknecht beantworte ich nicht. Und ansonsten werbe ich für Impfen, Impfen, Impfen. Ich habe mir in dieser Woche meine dritte Impfung abgeholt und das mit einem Werbefeldzug verbunden. Ich stehe zum Impfen.
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