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Bis zu 14 Euro pro StundeSPD für höheren Mindestlohn

Das Leben ist teuer, höhere Löhne nötig: Die SPD will für Linderung sorgen, doch die FDP ist gegen eine Erhöhung. Bedauern kommt von den Grünen.

SPD-Parteichef Klingbeil will einen höheren Mindestlohn Foto: dpa

Berlin epd/afp | Die SPD wird sich laut ihres Parteivorsitzenden Lars Klingbeil im nächsten Jahr für eine zusätzliche Erhöhung des Mindestlohns einsetzen. „Wir werden dafür sorgen, dass Deutschland die Europäische Mindestlohnrichtlinie im nächsten Jahr umsetzt. Darauf wird die SPD in der Bundesregierung drängen“, sagte Klingbeil der Bild am Sonntag. Der Mindestlohn könne dann nochmal ansteigen. „Bei einer vollständigen Umsetzung wären das laut Experten zwischen 13,50 und 14 Euro“, sagte der SPD-Politiker.

Die Mindestlohnkommission hatte zu Beginn der vergangenen Woche eine schrittweise Erhöhung des Mindestlohns in den kommenden eineinhalb Jahren beschlossen. Vorgesehen ist eine Anhebung von derzeit zwölf Euro auf 12,41 Euro zum 1. Januar 2024. Ein Jahr später, zum 1. Januar 2025, ist eine weitere Anhebung um 41 Cent geplant. Die Entscheidung wurde nach kontroversen Verhandlungen gegen die Stimmen der Arbeitnehmerseite getroffen.

Der SPD-Parteivorsitzende kritisierte die Erhöhung als ungenügend. „Das Leben ist teurer geworden, deshalb brauchen wir generell höhere Löhne im Land“, sagte er der Zeitung. Die zunächst vorgesehene Erhöhung um 41 Cent reiche nicht. Er sei „erschrocken darüber, dass die Arbeitgeber-Seite nicht sieht, wie die Lebensrealität von vielen Millionen Arbeitnehmern in diesem Land ist: Die Inflation frisst die Löhne auf, sie müssen überlegen, was sie sich am Monatsende überhaupt noch leisten können“, sagte Klingbeil.

Zustimmung von Gewerkschaften, Ablehnung von der FDP

Die von der Kommission vorgegebene „Mini-Erhöhung ist ein Schlag ins Gesicht von fast sechs Millionen Beschäftigten, die hierzulande zum Mindestlohn arbeiten“, kritisierte DGB-Chefin Yasmin Fahimi in der Bild am Sonntag. Die Arbeitgeber hätten den gesetzlich neu festgelegten Mindestlohn aus dem vergangenen Jahr „einfach missachtet“ und die Inflationsrate komplett ignoriert. Darauf müsse die Regierung reagieren. Die EU-Richtlinie müsse „umgehend gesetzlich umgesetzt“ werden, forderte Fahimi.

Aber: Die Liberalen erteilten Plänen, die Lohnuntergrenze abermals aus politischen Gründen anzuheben und die zuständige Mindestlohnkommission dabei zu übergehen, umgehend eine Absage. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe, die Mindestlohnanhebung durch die Ampel-Koalition im vergangenen Jahr sei „ein einmaliger Eingriff“ gewesen. Die Politik dürfe sich nicht „mit willkürlichen Forderungen“ in die Arbeit der Tarifpartner einmischen.

Auch FDP-Vize Wolfgang Kubicki hält die Erhöhung vom Herbst für eine „einmalige Abweichung“. „Wer meint, immer wieder mit Forderungen aufzutrumpfen, die zulasten des sozialen Friedens gehen und die den Wirtschaftsstandort Deutschland weiter schwächen, wird mit unserem Widerstand rechnen müssen“, sagte er den Funke-Zeitungen.

Grünen-Chefin Ricarda Lang nannte die jüngste Entscheidung der Mindestlohnkommission „bedauerlich“, da sie „de facto einen Einkommensverlust für die Menschen bedeutet“. Bei der Festsetzung eines angemessenen Mindestlohns sollte zukünftig „auch die Inflation als Kriterium systematisch berücksichtigt werden“, sagte Lang in der BamS. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verwies in seinem Video-Podcast „Kanzler kompakt“ darauf, dass von den angedachten Mindestlohnsteigerungen mehr als sechs Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer profitierten, darunter „viele Frauen, viele im Osten Deutschlands“. Höhere Löhne bedeuteten zugleich höhere Renten. Dies sei auch ein Zeichen der Anerkennung und des Respekts.

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23 Kommentare

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  • Man hätte es nicht für möglich gehalten, dass die SPD nach Hartz lV dieselben politischen Fehler wieder macht. Und die Grünen bedauern lediglich scheinheilig, dabei wäre eine Mindestlohnerhöhung per Gesetz sofort möglich. Der Sozialflügel der CDU und die Linken würden ein derartiges Gesetz im Bundestag sofort sofort unterstützen.



    SPD und Grünen sind sechs Millionen Menschen mit Mindestlohn nicht wichtig genug, um zu handeln. Laut EU hätte die BRD schon lange einen Mindestlohngesetz haben müssen. Aber Grüne und SPD puckeln lieber vor den Arbeitgebern, statt sich für die ganz unten auf der Lohnskala einzusetzen.

    • @Lindenberg:

      Eben nicht.



      SPD-Klingbeil will sogar 14 Euro.



      Und Grünen-Lang würde auch mehr geben.



      FDP will nicht.

      • @Diogeno:

        ...coole Koalition...

      • @Diogeno:

        ...das Spiel der Regierung is doch so simpel zu durchschauenden...



        Einer is immer dagegen...und dann wird das eben nix...laaaach

  • Die Argumentation mit der Inflationsrate ist wenig zielführend.



    Löhne werden vorwiegend durch die Produktivität bestimmt. Beim Mindestlohn ist das natürlich differenzierter zu betrachten.

    Doch auch die Mindestlöhne sollten nicht automatisch mit der Inflationsrate steigen. In Europa haben wir eine Zielinflationsrate von 2%. Dies hat auch einen bestimmten Grund: Die Lohnrigidität. Wir Menschen sind nunmal nicht bereit nominale Lohnkürzungen hinzunehmen. Für Unternehmen besteht somit nur eine Chance, um Lohnkosten real zu senken (ohne Mitarbeiter zu entlassen): Die nominale Löhne steigen weniger stark als die Inflationsrate.

    • @Schildbürger:

      Wie sagte Henry Ford einmal ... "Autos kaufen keine Autos".

      Sinken die Reallöhne, sinkt der Absatz im Binnenmarkt.

      Die Steigerung der Produktivität und die Entwicklung der Reallöhne hat sich seit einigen Jahrzehnten entkoppelt.

      Das eine steigt stetig, das andere stagniert.

      Da auch keine massive Abnahme bei der durchschnittlichen Arbeitszeit zu erkennen ist müsste sich die Steigerung der Produktivität in den Löhnen widerspiegeln.

    • @Schildbürger:

      ...Unternehmen könnten aber auch ihre " Gewinnansprüche ' der Anteilshalter der Firmen, mal etwas runterfahren und an ihre Wertschöpfenden Mitarbeiter weitergeben - so ist es ja nun auch nicht...



      Sie tun fast so, als gebe es nur die eine Lösung auf Kosten der - arbeitenden - Beschäftigten....

      • @Alex_der_Wunderer:

        Ich habe keinesfalls nahegelegt, dass nur die Angestellten die Kosten tragen. Im Gegenteil: Unternehmen fahren in schlechten Zeiten regelmäßig Verluste ein. Arbeitskosten sind jedoch ein bedeutender Kostenfaktor. Wenn die Bilanzzahlen eines Unternehmens rot sind, müssen Angestellte eben auf nominale Lohnsteigerungen verzichten.



        Worauf ich jedoch hinaus möchte: Lohnsteigerungen - auch nicht beim Mindestlohn - sollten nicht über die Inflationsrate geführt werden. Ein weiterer Grund hierfür ist im Übrigen die Lohn-Preis-Spirale.

        Zum Abschluss



        Unternehmen sollten keinesfalls ihre "Gewinnansprüche" senken: Diese sind die Quelle für neue Investitionen (zusammen mit Fremdkapital von Banken und Kapitalmarkt).

        • @Schildbürger:

          ...wie gut das es unserem Familienunternehmrn gut geht...

  • Ein automatischer "Inflationsausgleichsmechanismus" sollte den gesetzlichen Mindestlohn jährlich zum 1. Januar erhöhen.

    Ohne Kommision, ohne politisches Geplänkel und ohne Querschießen von Wirtschaft und FDP.

    Kein Reallohnverlust. Das wär doch das mindeste, was die SPD und Gewerkschaften für Arbeiter und Arbeiterinnen erkämpfen/durchsetzen sollten, oder?

    Wofür sind die Arbeiterinteressensvereinigungen sonst eigentlich gut?

  • "... dafür einsetzen, dass die EU-Mindestlohnrichtlinie umgesetzt wird ..."

    Dachte die Mindestlohnrichtlinie sei für alle Länder (inkl. Deutschland) verbindlich.

    Oder hat sich die deutsche Politikerdenke "Richtlinien (Gesetze) gelten wenn's UNS passt" jetzt komplett durchgesetzt ?

    • @Bolzkopf:

      👍

    • @Bolzkopf:

      Umsetzungsfrist ist Novemver 2024. Erst dann tritt Verbindlichkeit ein. Insoweit hätte die taz ein wenig mehr Rechercheaufwand betreiben können.

  • ...warum soll Lebenszeit, die Menschen bereit sind für Beschäftigungsverhältnisse zur Verfügung zu stellen, unterschiedlich viel Wert sein ?



    Einer hat Natutalent, der andere fühlt sich berufen, der nächste muss sich mühsam eine Qualifikation erarbeiten, alle geben ihre Lebenszeit für unsere Gesellschaft - wer wagt , maßt sich hier eigentlich an , einen Wert über anderer Menschen Lebenszeit zu bestimmen ?

  • Werte SPD, Grüne und FDP



    Könntet ihr eure "Ideen" zuerst mal intern besprechen bevor ihr sie in die Öffentlichkeit hinaus haut und die Koalitionsarbeit in den Medien statt hinter verschlossenen Türen stattfindet?

    • @Rudi Hamm:

      Es gab beim Heizungsgesetz jemanden, von der FDP wahrscheinlich (denn wem anderen würde es nützen?), der den ersten Entwurf an die Springerpresse durchgestochen hat.



      Danach konnte die Ampel nicht mehr intern beraten. Alle wollten volle Transparenz.

  • Die Richtlinie sagt 60% vom Median. Der Median liegt bei 44.074€ im Jahr. Das wäre dann 12,44€ Mindestlohn, der nachdem Kapitalismus-Finanzparadies Luxemburg ohnehin bereits der höchste in Europa ist.

    • @Wombat:

      Wie kommst du darauf?



      44000 x 0,6 = 26400



      26400 ÷ 230 (durchschnittliche Arbeitstage pro Jahr bei 5 Tage Woche) = 115



      115 ÷ 8 (8-Stundentag) = 14,35 €

      • @silicananopartikel:

        Ich bin bei 44.074 ja mit dabei. Auch das 60% davon 26.400€ sind.

        Die durchschnittlichen Arbeitstage sind aber eine völlig falsche Annahme und für die Betrachtung keinesfalls geeignet. 230 Arbeitstage beinhalten bereits den bezahlten Urlaub und du kannst das ja nicht doppelt verdienen.

        Die richtige Rechnung ist 26.400 / 12 Monate / 174 Monatsarbeitsstunden bei 40h Woche = 12,44€. Es ist mir völlig schleierhaft wie man auf 13,5€ kommen kann.

    • @Wombat:

      Verstehe auch nicht, wie man bei der Berechnung auf 13,50 kommt. Wird da das Durchschnittsgehalt genommen?



      Unabhängig davon ist eine Erhöhung um 41 Cent natürlich lachhaft, gleicht sie noch nicht einmal die Inflation aus und ignoriert noch dazu den Fakt, dass wir auch in dem Bereich krassen Mangel an Arbeitskräften haben.

    • @Wombat:

      60% des Medianeinkommens definieren die Grenze zur relativen Armut. Darüber ob man es für gerecht und gerechtfertigt hält Menschen die - oft harte - Vollzeitarbeit leisten dafür mit einem Armutslohn nach Hause zu schicken kann man schon unterschiedlicher Meinung sein.



      Das MiLoG bezieht sich hingegen keineswegs auf 60% des Medianeinkommens, sondern definiert einen fixen Betrag und legt regelmäßige Erhöhungen in die Hände der Komission die mit Vertreten von Arbeitgebern, der Wissenschaft und Arbeitnehmern besetzt ist und die unter der Maßgabe einer Gesamtabwägung Fairness und Wettbewerbsfähigkeit bei nachlaufender Orientierung an der Tarifentwicklung entscheiden soll. Zulezt gab es übrigens etliche Tarifabschlüsse mit zweistelligen Lohnzuwächsen (Post 15%, Groß-/Außenhandel 13%, Bahn 12%, ...). Für eine Entscheidung der Komission genügt ihr eine einfache Mehrheit.

    • @Wombat:

      Die Schweiz hat keinen schweizweiten Mindestlohn, aber die Kantone und Städte dürfen ebenfall Mindestlöhne festsetzen und tuen das teilweise auch.

      Der kantonale Mindestlohn liegt im Kanton Genf bei CHF 24.00/Std., im Kanton Basel-Stadt bei CHF 21.00/Std, im Kanton Neuenburg CHF bei 20.77/Std und im Kanton Jura bei CHF 20.60/Std.

      www.unia.ch/de/arb...on-a-z/mindestlohn

      Ein CHF ist aktuell 1,02 EUR, Sie können die Werte praktisch 1:1 übernehmen.

      • @Sven Günther:

        Bedenkt man wie teuer das Leben in der Schweiz ist, ist deren Mindestlohn auch absolute Untergrenze vor der Armut.